Dass jemand zu Lebzeiten seine eigene Grabschrift verfasst, ist vielleicht
nicht wirklich außergewöhnlich, wenngleich es wohl selten vorkommt. Wie
kunstvoll dies allerdings
▪
Paul
Fleming (1609-1640) mit einem eigens dafür gestalteten ▪
Sonett tut und
welche Intentionen er augenscheinlich damit verbindet, hebt es aus dem Kreis
der verschiedenen poetischen Adaptionen des
Gebrauchtstextes von
Grabinschriften heraus.
Das Gedicht ist weder eine vergleichsweise wenig anspruchsvolle lyrische
Form, wie sie z. B. in Epitaphen verwendet wurde (vgl.▪
Epitaph des
Bildhauers Pock) oder sicherlich auch in der sonstigen zweckgebundenen
Kondolenzlyrik, noch begnügt es sich mit deren Inhalten: Angabe von
Lebensdaten, Würdigung der Lebensleistung, der Verdienste und Tugenden eines
Verstorbenen. Begräbnisgedichte dieser Art gehörten zu den Aufträgen
etlicher Dichter von Gelegenheitsgedichten dieser Art, die am Ende meistens
auf eine pointierte Grabinschrift hinausliefen. Ihre Adressat waren die
Trauergemeinde, die sich anlässlich des Todes eines Menschen
zusammengefunden hat. Was in diesem ehrenden Nachruf zur Sprache kam, waren
"nicht selten Trostargumente oder Gedanken der Mahnung, Hoffnung, der
moralischen Belehrung und der »sinnreichen« Erinnerung an das gemeinsame
menschliche Schicksal." (Kühlmann 1982a,
S.169) Das Memento mori und der Verweis auf den einzigen wirklichen Trost,
die göttliche Gnade des ewigen Lebens, wie es sich der christliche Glaube
vorstellt, sind stets Teil dieses Totengedenkens und die ▪
Hoffnung auf
einen gnädigen Gott häufig expliziert.
Im ▪ Lebensrückblick
des gelehrten Dichters werden seinen aufmerksamen Leser*innen bemerkenswerte Einblicke in dessen ▪"logozentrische
Sprechweise" (Stöcklein 1956) und das dahinter stehende Konzept einer
logenzentrischen Welt gewährt.
Dass er sich im Gegensatz z. B. zu den Epitaphen für die oben dargestellten
Bildhauer, die besonderen Wert auf die bildhauerische Komposition legten, in
seiner Grabschrift auf das Wort, d. h. die Sprache konzentrierte, ist für
einen "Mann des Wortes", wie es Fleming war, leicht nachzuvollziehen.
Allerdings bedeutet Fleming das "Wort" an sich weitaus mehr, weil die
Sprache, die dem Menschen von Gott gegeben ist, "dem Individuum in Sachen
Wahrheit immer schon voraus (ist)." (Willems
2012, Bd. I, S.205) Die "logozentrische Welt" Flemings ist geprägt von
der Vorstellung, dass die Sprache "eine Gabe Gottes (ist), ein
Geschenk, das den Geist des göttlichen Spenders atmet." (ebd.)

"Topos vom Weiterleben in der Dichtung"
(Willems 2012,
Bd. I, S.209)
Fleming ist, so drückt es die Grabschrift aus,
▪ im stoischen Sinne mit sich im Reinen.
(Kühlmann 1982a,
S. )
(Willems 2012,
Bd. I, S. )
(Aurnhammer 2008,
S.727, Anm. 28)
"Zur Stoisierung des Verewigungstopos vgl. Wilhelm Kühlmann: Sterben als
heroischer Akt. Zu Paul Flemings "Grabschr!fft", in: Gedichte tmd
Interpretationen,
Bd. 1: Rettaissance und Barock, hg. von Volker Meid, Stuttgart 1982, S. 167-
175, und prononciert Jochen Schmidt: Der Tod des Dichters und die
Unsterblichkeit
seines Ruhms. Paul Flemings stoische "Grabschrift at({ sich selbst", in:
Zeitschrift
fl.ir deutsche Philologie 123 (2004), S. 45-61. Fleming scheint mir in
seiner eigenen Grabschrift aber die humanistische Selbstverewigung zu
widerrufeiL
Zwar zitiert er zunächst im Oktett des Grabschrift-Sonetts fast
wörtlich Opitzens Übersetzung der Horazischen Ode III, 30 "Horatii: Exegi
n1onun1entun1":
[ ... ] Man wird mich nennen hören.
Biß daß die letzte Glut diß alles wird verstören (V. 6-7)
Der Opitzische Prätext hat folgenden Wortlaut:
[ ... ] man wird mich rühmen hören
So lange man zu Rom denJupiter wird ehren. (V. 5-6)
Doch Fleming scheint im Sextett den humanistischen Unsterblichkeitstopos
gewissemußen zu entkräften, indem er dialektisch der ,Vanitas'
humanistischer
Selbstverewigung das Sterben des gläubigen Christenmenschen entgegenstellt,
der das Diesseits gern verläßt im Wissen: "An mir ist minder nichts/ das
lebet/
als mein Leben" (V. 14). Während Opitz in Vers 6 Horazens Bild des römischen
Kults ("dum Capitolium I scandet cum tacita virgine pontifex" [V. 8-9])
beibehält, ersetzt Fleming diesen Ewigkeitstopos durch die Beschwörung eines
weltgeschichtlichen Endpunkts in der "letzte[ n] Glut" und erinnert somit an
die Vergänglichkeit des Lebens wie des Ruhms des Dichters. Die Vorstellung
von der Vernichtung alles Weltlichen am Ende der Zeiten, die "annihilatio
mundi", war ein zentraler theologischer Begriff in der lutherischen
Orthodoxie
zu Flemings Zeit (vgl. Konrad Stock: Atmihilatio nnmdi. ]ohamz Gerhards
Eschatologie der Welt. München 1971). Auch an die stoische Idee des
zyklischen
Weltenbrands (I:Kmipwcr1s) ist zu denken (siehe Cicero, De natura deomm, II,
118). Möglicherweise konvergieren bei Fleming beide Lehren.