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»Jakob Christoph (Christoffel) von
Grimmelshausen (1622-1676) kann mit der
barocken Liebeslyrik und
vor allem der erotischen galanten Lyrik nicht nur nichts anfangen,
sondern für ihn "(sind) solche Formen des Anhimmelns irdischer
Geliebter schlichtweg Götzendienst" (Willems
Bd. I, 2012, S.234).
In dem nachfolgenden Kapitel hat er den ▪
petrarkistischen Schönheitspreis,
der "sich Körperteil für Körperteil vornimmt und deren
Eigenheiten in exquisiten Vergleichen einkreist" (ebd.,
S.235), mit Hilfe seiner erzählenden Hauptfigur
parodiert, um diese für ihn zutiefst verabscheuungswürdigen
Darbietungen »viehischer Begierden« satirisch zu kommentieren. Als
der Einfältigste der Einfältigen, nichts anderes bedeutet sein Name
Simplicissismus, soll er als Hofnarr am Hof zu Hanau die adelige
Gesellschaft mit seiner Rede unterhalten. Als er als Kalb verkleidet
die Stube betritt, wo sich die adelige Gesellschaft aufhält,
wird er mit der
folgenden Aufforderung seines Herrn konfrontiert wird: "Lass hören / weist du auch eine Dam
zu loben / sichs gebührt?" In einer zum Teil als Dialog
gestalteten Erzählung versucht er sich in seiner Narrenrolle darin
und bringt seine Zuhörer zum Lachen. Zugleich entgeht er dabei auch
der ihm von seinem Herrn angedrohten Strafe, indem er diesen und
seine Gesellschaft zufriedenstellt.
9. Kapitel
Ein überzwerches* Lob einer schönen Dame
Sobald ich ins Haus kam, mußte ich auch in die Stube, weil adelig
Frauenzimmer bei meinem Herrn war, welches seinen neuen Narrn auch
gern hätte sehen und hören mögen. Ich erschiene und stund da wie ein
Stummer, dahero diejenige, so ich hiebevor beim Tanz erdappet hatte,
Ursache nahm zu sagen, sie hätte ihr sagen lassen, dieses Kalb könne
reden, so verspüre sie aber nunmehr, daß es nicht wahr sei. Ich
antwortete: »So habe ich hingegen vermeinet, die Affen können nicht
reden, höre aber wohl, daß dem auch nicht also sei.« – »Wie?« sagte
mein Herr, »vermeinst du dann, diese Damen sein Affen?« Ich
antwortete: »Seind sie es nicht, so werden sie es doch bald werden:
wer weiß, wie es fällt; ich habe mich auch nicht versehen, ein Kalb
zu werden und bins doch!« Mein Herr fragte, woran ich sehe, daß
diese Affen werden sollen? Ich antwortete: »Unser Affe trägt seinen
Hindern bloß, diese Damen aber
allbereit ihre Brüste dann andere
Mägdlein pflegten ja sonst solche zu bedecken.« – »Schlimmer Vogel,«
sagte mein Herr, »du bist ein närrisch Kalb, und wie du bist, so
redest du. Diese lassen billig sehen, was sehenswert ist; der Affe
aber gehet aus Armut nackend. Geschwind bringe wieder ein, was du gesündiget hast, oder man wird dich
karbäitschen1
und mit Hunden in
Gänsstall hetzen, wie man Kälbern tut, die sich nicht zu schicken
wissen.
Laß hören, weißt du auch eine Dam zu loben und abzumalen,
wie sichs gebührt?« Hierauf
betrachtete ich die Dame von Füßen an
bis oben aus und hinwieder von oben bis unten, sahe sie auch so
steif und lieblich an, als hätte ich sie heuraten2 und noch einmal
umfangen wollen. Endlich sagte ich: »Herr, ich sehe wohl, wo der
Fehler steckt; der Diebsschneider ist an allem schuldig, er hat das
Gewand, das oben um den Hals gehört und die Brüste bedecken sollte,
unten an dem Rock stehen lassen; darum schleift er so weit hinten
hernach; man sollte dem Hudler3 die Hände abhauen, wann er nicht
besser schneidern kann. Jungfer,« sagte ich zu ihr selbst, »schafft
ihn ab, wann er Euch nicht so verschänden soll, und sehet, daß Ihr
meines Knäns4 Schneider bekommt, der hieß Meister Paulgen; er hat
meiner Meuder5, unserer Ann und unserm Ursele so schöne
gebrittelte6
Röcke machen können, die unten herum ganz eben gewesen sein;
sie
haben wohl nicht so im Dreck geschlappt wie Eurer. Ja Ihr glaubet
nicht, wie er den fänzigen7 Huren
so schöne Kleider machen können, darinnen sie geprangt wie Barthel.«
Mein Herr fragte, ob dann
meines Knäns Ann und Ursele schöner gewesen als diese Jungfer? »Ach
wohl nein, Herr!« sagte ich, »diese Jungfer hat ja
Haar, das ist so
gelb wie kleiner Kinderdreck, und
ihre Scheiteln sind so weiß und so gerad gemacht, als wann man
Saubürsten8
auf die Haut gekappt hätte;
ja
ihre Haare sein so hübsch zusammengerollt, daß es siehet wie
hohle Pfeifen, oder als wann sie auf jeder Seite ein paar Pfund
Liechter oder ein Dutzent Bratwürste hangen hätte. Ach! sehet nur,
wie hat sie so eine schöne glatte
Stirn ist sie nicht feiner gewölbet als ein fetter
Arsbacken9 und weißer als ein
Totenkopf, der
viel Jahr lang im Wetter gehangen? Immer schad ist es, daß
ihre zarte Haut
durch das Haarpulver so schlimm bemakelt wird; dann wann
es Leute sehen, die es nicht verstehen, dörften sie wohl vermeinen,
die Jungfer habe den Erbgrind10,
der solche Schuppen von sich werfe,
welches noch größer Schade wäre
vor die funklende Augen, die von
Schwärze klärer zwitzern11
als der Ruß vor meines Knäns Ofenloch,
welcher so schrecklich glänzete, wann unser Ann mit einem
Strohwisch12
davorstund, die Stube zu heizen,
als wann lauter Feur darin stecke,
die ganze Welt anzuzünden.
Ihre Backen
sein so hübsch
rotlecht13,
doch nicht gar so rot, als neulich die neue Nestel14
waren,
damit die
schwäbische Fuhrleute von Ulmihre Lätz15
gezieret hatten. Aber die hohe Röte, die sie an den
Lefzen16
hat, übertrifft solche Farbe weit
und
wann sie lachet oder redet (ich bitte, der Herr gebe nur Achtung
darauf), so siehet man zwei Reihen Zähne in
ihrem Maul17
stehen, so
schön zeilweis und zuckerähnlich, als wann sie aus einem Stück
von einer weißen Rübe geschnitzelt wären
worden. O Wunderbild! ich
glaube nicht, daß es einem wehe tut, wann du einen damit beißest. So
ist ihr Hals
ja schier so weiß als eine
gestandene Saurmilch und ihre
Brüstlein, die darunter liegen, sein von gleicher Farbe und ohn
Zweifel so hart anzugreifen wie ein Gaiß18
Mämm19, die von übriger Milch
strotzt. Sie seind wohl nicht so schlapp, wie die alte Weiber
hatten, die mir neulich, da ich in den Himmel
kam, den Hindern butzten20
, da ich in den Himmel kam. Ach Herr! sehet doch ihre
Hände und Finger an, sie sind ja so
subtil21,
so lang, so gelenk, so geschmeidig und so geschicklich
gemacht, natürlich wie die Zügeinerinnen22
neulich hatten, damit sie
einem in Schubsack23
greifen, wann sie fischen24
wollen.
Aber was soll
dieses gegen ihrem ganzen Leib selbst zu rechnen sein, den ich zwar
nicht bloß sehen kann. Ist er nicht so zart, schmal und anmutig, als
wann sie acht ganzer Wochen die
schnelle Katharina25
gehabt hätte?«
Hierüber erhub sich ein solch Gelächter, daß man mich nicht mehr
hören, noch ich mehr reden [106] konnte, gieng hiemit durch
wie ein
Holländer und ließ mich, solang mirs gefiel, von andern
vexiern.26
Das 9. Kapitel, Nach dem Erstdruck von 1668, samt der ›Continuatio‹
von 1669 in: Grimmelshausens Werke in vier Teilen. Band 1, Berlin,
Leipzig, Wien, Stuttgart o.J. [1921], S. 105-107.
(Quelle:
http://www.zeno.org/nid/20004912241, gemeinfrei)
Worterklärungen
*
überzwerch: quer, verdreht, ungeschickt,
unpassend, verdreht, verkehrt, durcheinander,
1
karbäitschen:
2
heuraten: heiraten
3 Hudler:
umgangssprachlich hudeln = eine bestimmte Arbeit zu schnell und damit
nicht sorgfältig genug erledigen; auch im Sinne von schlecht behandeln
bzw. jdn. zurechtweisen; redensartlich bedeutet "nur nit hudle!" etwa
nur langsam machen, nichts überstürzen
4 Knän:
Vater
5 Meuder:
Mutter
6
gebrittelte: gefaltete, in Falten fallende
7
fänzig: elegant, stolz, edel,
kokett
8
Saubürsten: Schweineborsten
9
Arsbacken: Arschbacke, Hintern
10
Erbgrind: erbliche chronische Pilzerkrankung
des Kopfhaares, das zu einer fest anhaftenden, gelblich-bräunliche
Schuppenbildung führt
11
zwitzern: glitzern, schimmern; flimmern;
auch: sich unruhig, zitternd hin und her bewegen
12
Strohwisch: Strohbesen
13
rotlecht: rötlich
14
Nestel: Band, Schnur zum Zubinden
15
Lätz: Latz, Hosenlatz als herunterklappbarer
Hosenschlitz
16
Lefzen: Lippen, Mundwinkel
17
Maul: derb umgangsssprachlich für Mund
18
Gaiß: Geiß, weibliche Ziege
19
Mämm: Zitze, Euter (
20
butzten: den Hintern sauber machen, reinigen
21
subtil: hier etwa: fein gestaltet
22
Zügeinerinnen: Zigeunerinnen, alter,
mittlerweile als rassistisch angesehener Begriff für Angehörige
einer Volksgruppe (Sinti und Roma), die über weite Länder verstreut
und meistens nicht sesshaft lebt; umgangssprachlich, im Allgemeinen
als Abwertung für Menschen gebraucht, die obdachlos sind oder nicht
sesshaft leben; die Volksgruppe wurde und wird auch immer wieder als
Ganzes einer größeren Neigung zu kriminellen Taten bezichtigt,
insbesondere des (Taschen-)Diebstahls, mit dem sie ihr Herumziehen
ohne festen Broterwerb ("Zigeunerei") finanzierten; solche und
ähnliche Vorurteile treffen diese Volksgruppe bis heute
23
Schubsack: Sack, in dem Verschiedenes
hineinschieben kann;, weite Tasche in einem Kleidungsstück
24
fischen: herausfischen, h: im Sinne von
unbemerkt bestehlen
25
schnelle Katharina: Form einer
heftigen Durchfallerkrankung (schnelle katrine), die in ganz
Deutschland weit verbreitet war
26
vexiern: zum besten halten, foppen,
verspotten, sein Spiel mit jemandem treiben
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
03.09.2023