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Studentenleben in der frühen Neuzeit
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Überblick
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Das
Leben in der Burse
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Das Aufnahmeritual: die
Deposition
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Pennalismus
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Trinkgelage in Pluderhosen - Studentisches "Feiern" als öffentliches
Ärgernis
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Studentensprache
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Textauswahl
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Bausteine
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Das Alltagsleben der Studenten im Barock ist von besonderen
Merkmalen gekennzeichnet, die
das
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Studentenleben in der frühen Neuzeit des ausgehenden 16. bis zum
Beginn des 18. Jahrhunderts ausmachen.
Wer in dieser Zeit an einer der
Universitäten im deutschsprachigen Raum studiert, tut dies in
einer Zeit großer politischer und gesellschaftlicher Veränderungen.
Mitten in der ▪
Bildungsrevolution dieser Zeit, die sich im Kontext von
Konfessionalisierung und Territorialisierung des sogenannten Alten
Reiches, des »Heiligen
Römische Reiches, gehört er zu der wachsenden Zahl junger Männer
vor allem aus dem städtischen Bürgertum, die im Aufbau der
Bürokratie des sich entwickelnden frühneuzeitlichen Staates die
Chance sahen, sich eine soziale Existenz zu sichern und
gegebenenfalls sozial weiter aufzusteigen.
Eine Universität
war zu dieser Zeit ein ▪
Personenverband mit besonderen Rechten, die ihr und damit allen
Universitätsangehörigen von der weltlichen und/oder geistlichen
Obrigkeit gewährt wurden. Wer in den Verband durch Aufnahme in das
Matrikelverzeichnis aufgenommen wurde (Immatrikulation)
und die archaisch-burlesken Aufnahmerituale der ▪
Deposition,
die in symbolischen Gewalthandlungen den Neuling, auf die Regeln der
Universität verpflichtete, über sich hat ergehen lassen, war
rechtlich gesehen Student. Dieser Status brachte vor allem
ständische Vorteile mit sich.

Äußeres Zeichen war
zunächst einmal, dass die Studenten Kleidervorrechte besaßen und aus
dem sonst gängigen Raster ständischer
»Kleiderordnungen
herausfielen, die jedem Stand eine bestimmte Kleidung vorschrieben.
Sie waren gehalten "akademische Kleidung" zu tragen, die sich
zunächst an kirchlichen Gewändern orientierte. So hatten sie einen
mönchartigen Kapuzenmantel (»Talar)
zu tragen und dazu ein »Birett
oder »Barett, wie es auch an den Fakultäten der altehrwürdigen
Pariser Universität üblich war. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts
trugen allerdings nur noch die Professoren Talare, die auch heute
noch an den Universitäten immer wieder einmal bei bei
besonderen, feierlichen Anlässen wie etwa Verleihungen von
Ehrentiteln, Amtseinführungen oder Jubiläen getragen werden.
Wer Student war,
wollte sich aber auch von allen anderen, den sogenannten
"Philistern", abheben und zeigen, dass
sein Status etwas Besonderes war. Die Art und Weise, wie sich
kleideten, war damit auch immer wieder Selbstdarstellung. "Der
flotte Bruder Studio ging dazumal einher in Spitzbart und langem
Haar, auf welchem ein Schlapphut mit Federbusch trotzig in die
Stirne gerückt war. Ein breiter Halskragen war über das geschlitzte
Wams geschlagen, über welchem ein weiter Ärmelmantel getragen wurde.
An die umfänglichen Pluderhosen schlossen sich bespornte Stiefeln
mit offenen, die Waden zeigenden Stulpen an. Das
Stammbuch, eine
echt akademische Erfindung, durfte dem Gürtel nicht fehlen. Ein
Stoßdegen oder Hieber von gewaltiger Länge und mit breitem
Stichblatt, sowie die bald vom deutschen Studenten unzertrennliche
Tabakspfeife und auf Wanderungen ein tüchtiger Knotenstock
vollendeten die Ausrüstung des Burschen." (Scherr
1909, Bd. 2, S.159) Wohin es führte, wenn die Studenten aber
dabei weit über ihre Verhältnisse lebten, hat »Hieronymus Dürer (1641-1704)
in seinem moralisierenden Roman ▪ Tychander (1668),
wo aus rein männlicher Sicht erzählt, die Titelfigur Opfer seiner
Gelage, Ausgaben für teure Kleidung und "Buhlerei" wird,
Student zu sein,
bedeutete aber auch über die Stränge zu schlagen und die
"Philister", also alle Nicht-Studenten auch immer wieder zu
provozieren. Da war Absingen obszöner und
sonstiger Sauflieder (▪
Beispiel) noch das geringste Übel, das Stören von Hochzeiten und anderer
privater Feste schon schlimmer, und einfach mal so, der Gaudi wegen, ein
paar
Fenster einwerfen,
ging den meisten allerdings zu weit. Dass Studenten, wenn
möglich auch jungen Frauen im wahrsten Sinne des Wortes an die
Wäsche gingen und ihnen die Röcke hoben (Unterwäsche wurde meistens
darunter nicht getragen) oder sie beim Tanz "verdrehten" oder
"abstießen", sie umwarfen und damit entblößten, waren Unsitten, die so
manchem Zeitgenossen, der ohnehin kaum aushielt, dass sich viele
Studenten nicht an die vorgeschriebene Kleidung hieltem, sondern in
ihren "unzüchtigen" »Pluderhosen
umherzogen, entschieden zu weit gingen. (vgl.
ebd., S.63)
So
verwundert es nicht, dass man mancherorts daran ging, den Studenten
"den Umgang mit verdächtigen Frauenzimmern(n) und die Verführung von
Bürgertöchter(n)" (ebd.)
regelrecht zu verbieten. Was ihnen blieb, war der Gang ins "fünfte
Kollegium", wie Studenten mancherorts die Bordelle und
Frauenhäuser nannten, in denen wie in den Universitätsstädten
Dillingen, Frankfurt a. M. und an der Order, Halle, Jena,
Ingolstadt, Köln, Rostock, Straßburg und Wien (vgl.
ebd. S.68)
Prostituierte ihre Dienste anboten.
Geselligkeitskultur, Saufexzesse und Störung der öffentlichen
Ordnung
In den
Universitätsstädten und ihrer näheren Umgebung kam es immer wieder
zu Auseinandersetzungen unter den Studenten und vor allem auch mit
anderen Gruppen, wie z. B. Handwerksburschen und Soldaten.
Hinzukamen immer wieder Konflikte wegen den exzessiven Saufgelagen,
die in vielen Fällen die Obrigkeiten der Städte, aber auch die
Universitäten selbst, immer wieder auf den Plan riefen, um
studentischen Umtriebe, die oft auch in Handgreiflichkeiten und
Prügeleien, nicht selten auch in Messerstechereien u. ä. mündeten.
Der Degen, den die Studenten trugen, jedenfalls scheint,
insbesondere unter Alkoholeinfluss, zur Verteidigung der "Ehre"
vergleichsweise häufig, und das nicht nur bei Duellen, zum Einsatz
gekommen zu sein.
Mancherorts wurden wie in Tübingen Regelungen
erlassen, die
den Bürgern der Stadt oder Universitätsangestellten bei strenger
Strafe verboten, heimliche Trinkstuben für Studenten zu unterhalten
und auch Wirte, die sie einrichteten, mussten mit einer Strafe
rechnen. Zudem wurde verfügt, dass die Eltern für Zechschulden
ihrer Söhne nicht aufzukommen hatten. (vgl.
Bauer 1926,
S.95) Durchschlagenden Erfolg hatten solche Maßnahmen aber offenbar
nicht. Man konnte, um sich weiter zu besaufen, ja einfach in die
Umgebung, in die sogenannten Bierdörfer, ausweichen.
Aber auch an den Universitäten ist man gegen diese studentischen
Umtriebe immer wieder vorgegangen. So ist aus Jena z. B. bekannt,
dass eine Policey-Ordnung gegen das "Vollsaufen und Volltrinken"
erlassen wurde. (ebd.1926)
und auch andere Universitätsstädte zogen nach, auch wenn sie damit
doch auf verlorenem Posten standen. ▪
Trinksucht war ein gesellschaftliches Problem der Zeit, Trunkenheit,
sofern es nicht gerade im Koma endete, war gesellschaftsfähig,
Alkohol floss überall in Mengen, wo Menschen "feierten" oder
zusammenkamen.

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Die Klagen von Obrigkeiten, Bürgern und Predigern aller
Konfessionen über die Studenten gehörten, so kann man fast meinen,
zum "guten Ton" aller "Moralapostel" der Zeit. Dabei spielte keine
Rolle, dass das, was sich im Umfeld dieser oft alkoholtrunkenen
Geselligkeitskultur, eben auch "selbstverständlicher, gemeinschafts-
und identitätsstiftender Bestandteil der studentischen Kultur (war)
wie gemeinsames Musizieren und Tanzen, Spaziergänge, Mummenschanz,
Ball- und andere Spiele." (Bernhardt/Krug-Richter
2013 S.8)
Da Völlerei - und übertriebenes Saufen war ein Teil davon - als
Todsünde galt, ging man auch dazu über, den Sündern ihre Zukunft so
drastisch wie nur möglich auszumalen.
So hielt ▪
Johann Michael
Moscherosch (1601-1669) in seiner Prosasatire ▪ "Philander
von Sittewald" den saufenden Studenten den Spiegel vor. Die Hauptfigur
Philander hat dabei Gelegenheit, die Hölle aufzusuchen. Bei seinem Besuch in der
Hölle gelangt er dabei in einen Raum, wo die frevelhaften ▪
Studenten in einer Art Gefängnis zusammengepfercht sind und ihre
Höllenstrafe erwarten müssen. Womöglich waren es Erfahrungen des
Autors an der Universität von Straßburg, die ihm bei der satirisch
gewiss weit überzeichneten Beschreibung des Saufgelages der
Studenten in der zweiten Hälfte des 30-jährigen Krieges als Vorlage
gedient haben. Das ▪
Komasaufen der Studenten führt sie jedenfalls, ohne überhaupt
noch einmal zur Besinnung zu kommen, direkt in die ewige Verdammnis.
Das gesellige Vollsaufen, man würde es heute wohl Komasaufen
nennen, war also unter den Studenten der Zeit weit verbreitet. Als
Teil der studentischen Kultur wurde es aber auch immer wieder
"kultiviert" und war Gegenstand von allerlei humoristischen Texte,
die eine Art "Ehrenkodex" für das Trinken in studentischer Runde
verkündeten. Allerdings waren diese Versuche meist nicht ernst
gemeint, sondern das, was sie in einem speziellen ▪
Zech-Komment an
geschriebenen und ungeschriebene Verhaltensregeln aufstellten,
diente mehr der Unterhaltung und weniger der tatsächlichen
Kultivierung des allseits praktizierten Komasaufens der Studenten.
Parodistisch, unterhaltend-disputierend und mit viel Humor wurde
sich da mit den vielfältigen Erscheinungen und Folgen beim
geselligen Betrinken bis ins Detail hinein auseinandergesetzt. Dabei
werden alle nur denkbaren Fragen erörtert, die beim gemeinsamen
Saufen auftreten konnten, wie z. B Frage, was soll geschehen solle,
wenn jemand bei einem Rundtrunk aus einem Gefäße in die Kanne nießen
oder husten oder, während dieser lief, dringend urinieren müsse.

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Max Bauer
hat in seiner 1925 erschienenen "Sittengeschichte des deutschen
Studententums“ einen dieser ▪"Ehrenkodexe"
dargerstellt.
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
21.02.2022
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