
Die Arbeit der literarischen Gesellschaften kann auch unter dem ▪Aspekt
der Sozialdisziplinierung im 16. und 17. Jahrhundert betrachtet werden.
Den sie "(verband), so unterschiedlich sie in Aufgabenstellung, Wirksamkeit
und Produktion sie auch gewesen sein mögen, (...) neben anderem die gemeinsame
Aufgabe der Vereinheitlichung, Reglementierung und damit
Disziplinierung der Rechtsschreibung." Dabei habe, das erwachende
Interesse erwachende Interesse an der deutschen Muttersprache
allerdings "nicht direkt" auf ihre Disziplinierung hingezielt. Stattdessen
habe sich vielmehr "ein nationales, nationalstaatliches Bewusstsein des
nationalen Erbes" angenommen, zu dem eben auch die Sprache gehörte. Indem
sie "gehegt und gepflegt" worden sei, sei sie auch "diszipliniert" worden.(Schulze
1987, S.290f.)

Zu Beginn des 17. Jahrhundert ist die deutsche Literatur von zwei ganz
verschiedenen poetischen Traditionen geprägt.
Da ist auf der einen Seite die neulateinische Gelehrtendichtung und auf der
anderen Seite die volkssprachliche Dichtung, manchmal auch Volkspoesie
genannt. Wenn man - wofür einiges spricht - "die nationalistischen
Implikationen der Volksbegriffe des 19. Jahrhunderts" vermeiden will,
kann sie mit
Willems (2012, Bd. I, S.72) .man auch "Popularliteratur"
(ebd.)
nennen.
Die neulateinische Gelehrtendichtung
Was die neulateinische Gelehrtendichtung zustande brachte, waren hoch
artifizielle Werke, die sich durchaus mit dem messen konnte, was in dieser
Sprache ansonsten in Europa gedichtet wurde. Was sie schrieben, richtete
sich ausschließlich an das gelehrte Publikum und erreichte "nur die eng
umschränkten, esoterischen Zirkel der lateinkundigen Humanisten." (Willems
2012, Bd. I, S.70). Was die Humanisten in der Literatur bewegten,
spielte sich in Neu-Latein ab, der internationalen Sprache dieser auf
vielfältige Weise miteinander vernetzten Schicht. Das gedankliche und
sprachliche Anspruchsniveau war dementsprechend auch am (gelehrten) Horizont
dieser Leser orientiert und ihre neulateinischen Texte konnten daher
auch "mehr mit gelehrten Kenntnissen und kenntnisreichen Anspielungen,
kühnen Bildern und gewagten Formulierungen arbeiten als Werke, die auf den »gemeinen
Mann« zielten." (ebd.,
S.71). Dichtung, die einen "intellektuellen Anspruch erhebt" (Wels
2018, S.166f.) findet also in lateinischer Sprache statt. Sie ist
insofern auch "ein ausschließlich akademisches Phänomen" (ebd.)
Das zeigt sich beim neulateinischen Schultheater, setzt sich "in der
der gesamten Versdichtung fort, die als Schulübung im Grammatikunterricht
mit der Lektüre der antiken Dichtung beginnt und in eine Nachahmung dieser
antiken Dichtung mündet." (ebd.,
S.166f.)
Die deutschsprachige Popularliteratur
Auf der anderen Seite gibt es eine deutschsprachige Dichtung, die
Popularliteratur, die sich an Nicht-Gelehrte
richtete, an die wenigen, die zu dieser Zeit lesen konnten und sich
Lesestoffe leisten konnten, oder mittelbar durch Vorgelesenes mit
literarischen Stoffen in Berührung kamen. Zur Popularliteratur zählen z. B.
der
Meistergesang, aber auch Bibeldramen, Prosarome und die deutschsprachige
Lieddichtung. Allen diesen Werken hat man im Hinblick auf die humanistische
Entwicklung der Zeit eine Bildungsferne attestiert und vor allem immer
wieder betont, dass ihr ein "besonderer Stilwille oder überhaupt eine
Sensibilität für stilistische Fragen" (Wels
2018, S.166f.) abgeht.
Da sie vom humanistischen Diskurs weitgehend abgekoppelt war, blieb die
deutschsprachige Popularliteratur "insgesamt stärker und länger dem
mittelalterlichen Erbe verhaftet" (Willems
2012, Bd. I, S.70) und wurde von neuen Entwicklungen meistens nur
indirekt, "mit einer gewissen Verzögerung und in abgeschwächter, wenn nicht
abgefälschter Form" (ebd.)
berührt.
Dass es im deutschsprachigen Raum bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts keine
intellektuell anspruchsvolle deutschsprachige Dichtung gab, ist, wenn man
dies mit dem europäischen Ausland vergleicht, zumindest ungewöhnlich. So
entwickelte sich in verschiedenen Stadtstaaten Italiens und an einigen
Fürstenhöfen dort eine volkssprachige Dichtung, in Frankreich im 16.
Jahrhundert am Königshof und in England am Hofe von Elisabeth I. ebenso. In
deutscher Sprache anspruchsvoll zu dichten, war ein No-Go für alle, im In-
und Ausland, die auf die "barbarische" deutsche Sprache mit Verachtung
herabsahen.
Martin Opitz und Gründungslegende der deutschen Literatur
Es gehört zu den lange Zeit gepflegten Urteilen, im "Dichtervater" ▪
Martin Opitz (1597-1639) den
Begründer und mit seiner ▪
Literaturreform
den dominierenden Faktor für die Entwicklung der (gehobenen)
deutschsprachigen Literatur zu sehen. Nicht nur dass man damit "das taktisch
geprägte Traditionsverhalten" (Niefanger
2012, S.18) weitgehend ignoriert, man sitzt damit auch einer von Opitz
und seinen Epigonen sorgfältig gestrickten "Gründungslegende
der deutschen Literatur" (ebd.)
auf, die sich auch in den zahlreichen Gedichten auf Martin Opitz nach
dessen Tod widerspiegeln. So hat Quirinus Kuhlmann (1651-1689) in einem dem
humanistischen Dichterlob verpflichteten
Epigramm Opitz den »Homer
Schlesiens genannt und ihn damit "zum Vater und Inbegriff der deutschen
Dichtung erklärt" (Willems
2012, Bd. I, S.133, Verlinkung d. Verf.) und auch ▪
Hofmannswaldau
(1618-1679) sagt von ihm, "er habe »Venus,
die Göttin der Liebe, deutsch reden gelehrt" (Verlinkung d. Verf.), womit
nicht weniger gemeint ist, als dass Opitz "als erster die deutsche Sprache
dahin gebracht habe, auf angemessene, poetisch vollgültige Weise von der
Liebe zu reden, dass er der Vater des deutschen Liebesgedichts sei."(ebd.)
und damit die Literatur vor ihm abzuwerten und für defizitär zu erklären.
Erst mit ihm komme es zu einer Kunstliteratur bzw. Kunstdichtung.
Diese "Gründungslegende
der deutschen Literatur" (Niefanger
2012, S.18, Hervorh. d. Verf.) ist aus etlichen Gründen mehr als
fraglich, so dass es angebracht zu sein scheint, "von einem sukzessiven
Erneuerungsprozess zu Beginn des 17. Jahrhunderts zu sprechen" (ebd.)
in dessen Verlauf Opitz vor allem im Bereich der Vers- und Stillehre Akzente
setzen konnte, die zu einer Neubesetzung des literarischen Feldes in der
Auseinandersetzung mit vor allem der neulateinischen Gelehrtendichtung
führte.
"Unmittelbares Vorbild der Fruchtbringenden Gesellschaft waren die italieni-
schen Akademien, wie sie Fürst Ludwig von seiner Italienreise kannte. Das
Re- gelwerk dieser Gesellschaften waren die Hofmannstraktate.79 „Höfische
Conver- satio, welche zugleich den Umgang und das Gespräch bei Hofe meint
und sich darüber hinaus als vorbildlicher, ‚zivilisierter’ Verkehr der
menschlichen Gesell- schaft zu legitimieren bestrebt war“, ist der Zweck der
Fruchtbringenden Gesell- schaft“.80 Sie repräsentiert damit eine
„aristokratisch geprägte Wissens-, Verhal- tens- und Geselligkeitskultur“,
wie Andreas Herz geschrieben hat. (Andreas Herz: Der edle Palmbaum und die
kritische Mühle. Die ‚Fruchtbringende Gesell- schaft‘ als Netzwerk höfisch-adeliger Wissenskultur der frühen Neuzeit. In:
Denkströme. Journal der sächsischen Akademie der Wissenschaften 2 (2009), S.
152–191, hier S. 168.) »Die Reihen der FG [also der Fruchtbringenden Gesellschaft] bevölkerten die
christlich-humanistisch akkulturierten jüngeren
höfisch-administrativ-militä- rischen Führungsschichten überwiegend
reformierter oder lutherischer Kon- fession, die sich die neuen
Leitvorstellungen höfisch-höflicher Gesittung zu eigen gemacht hatten. Sie
hatten Bildungs- und Kavaliersreisen einschließlich Universitätsaufenthalten
hinter sich, waren, auch ohne selbst schriftstellerisch in Erscheinung zu
treten, den Künsten und Wissenschaften gegenüber aufge- schlossen und hatten
im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges genügend Er- fahrungen mit
politisch-militärischen Konflikten, sozialen Notständen und erbitterten
dogmatischen Kontroversen, um auch dem harten Unglück „mit Manier“ zu
begegnen und Entscheidungen mit Augenmaß fällen zu helfen. Freilich: keine
Sprach- oder Literaturgeschichte verzeichnet all die Alvensle- bens,
Börstels, Knochs, Kospoths, Krosigks, die Bodenhausens, Dieskaus, Geu- ders,
Ortenburgs, Pfaus, Trothas usw. Sie sind in der deutschen Kulturgeschich- te
unbeschriebene Blätter. Und doch waren sie häufig Förderer, Mäzene oder
Büchersammler, versuchten sich an Übersetzungen, Gelegenheitsdichtungen,
geistlichen Liedern oder kleinen Satiren, wandten Zeit und Geld an
wissenschaftliche Studien und künstlerische Interessen. Kurz: es waren
überwiegend gebildete, in vielerlei Amtsgeschäften erfahrene und erprobte
Dilettanten.«( Andreas Herz: Philipp von Zesen und die Fruchtbringende
Gesellschaft. In: Philipp von Zesen. Wissen – Sprache – Literatur. Hg. v.
Maximilian Bergengruen und Dieter Martin. Tü- bingen 2008, S. 181–208, hier
S. 195.) (Wels 2018,
S.189)
"Fälschlich ist die Fruchtbringende Gesellschaft deshalb in der älteren
Forschung als Sprachgesellschaft bezeichnet worden. Auch wenn sie mit einem
Teil ihrer Bestrebungen in die Vorgeschichte der wissenschaftlichen
Akademien gehört, steht sie doch vor allem im Kontext der höfischen
Bewegung, neben den anderen Adelsgesellschaften, wie etwa dem Orden
Temperantiae des Landgrafen Moritz von Hessen-Kassel, der seinen Mitgliedern
Mäßigkeit im Alkoholkonsum zur Aufgabe gemacht hatte,83 oder neben der
adligen Damengesellschaft, die unter dem Namen der Getreuen Gesellschaft
(auch La noble Academie des Loyales und Güldener Palmorden) von Fürstin Anna
von Anhalt-Bernburg gegründet wor- den war. Für die Zusammenkünfte dieser
Getreuen Gesellschaft waren folgende Tätigkeiten vorgesehen:
»Wann die Glieder zusammen kommen/ es sei sämptlich oder absonderlich/ so
sollen Sie ihre Zeit/ wie auch sonsten/ mit Ehrlichen/ Ihnen und ihrem
Stande wohl anstehenden auch frölichen Ubungen und Gesprächen zubringen/ un-
ter welchen auch diese sein sollen/ daß Sie sich befleißigen/
unterschiedlicher Sprachen/ allerhand schöner Hand-Arbeit/ auch anderer
feiner künstlicher Sa- chen/ darunter auch die Musick/ Gedichte/ und
ingemein in allem dem/ was ihnen und ihres gleichen rühmlich ist/ und wohl
anstehet/ nach einer jeden Fähigkeit. (Zitiert nach Johann Christoph
Beckmann: Historie des Fürstenthums Anhalt. Zerbst 1710. Ndr. Dessau 1995,
Bd. II.2, S. 336.«" (Wels
2018, S.190)
"Dichtung im engeren Sinne macht nur einen kleinen Teil der
zivilisatorischen Bemühungen dieser höfischen Gesellschaften aus. Es ist vor
allem die schriftliche und mündliche Konversation, mithin eben der höfische
Stil und die „zierlichen sitten“, wie sie sich gerade im sprachlichen Umgang
zeigen, die den Kern der gesellschaftlichen Bemühungen bilden. Die
Korrespondenz zwischen den Mit- gliedern der Fruchtbringenden Gesellschaft
wurde im sogenannten „Erzschrein“ gesammelt und bei Gelegenheit auch
gedruckt. Die Satzung der Getreuen Ge- sellschaft erlegt ihren Mitgliedern
die Führung eines Briefwechsels ausdrücklich auf.90 Dichtung – wie das petrarkistische Sonett oder der höfische Roman – ist eine
Form des höfischen Umgangs, eine Übung der „conversatio“, beileibe aber
nicht die einzige oder gar die bevorzugte. „Schöne Hand-Arbeiten“ haben in
diesen Gesellschaften denselben Status wie ein Sonett oder ein
„Gesprächsspiel“, oder eben der Verzicht auf übermäßigen Alkoholkonsum. Das
ändert sich in den später gegründeten Gesellschaften, wie dem Pegnesischen
Blumenorden, der Deutschgesinnten Genossenschaft oder dem Elbschwanenorden.
In ihnen nimmt das sprachpflegerische und dichterische Interesse weitaus
größeren Raum ein. Richtungsweisend für diese späteren Gesellschaften war die Fruchtbringende
darin, dass sie die Mitgliedschaft nicht auf den Adel beschränkte, sondern
sich für die ‚Nutzbringenden’ aller Stände öffnete.91 Dies konnte keineswegs
als selbst- verständlich gelten. Noch 1648 strebte der standesbewusste
Adlige Dietrichstein die Umwidmung der Fruchtbringenden Gesellschaft in
einen Ritterorden an, un- ter Ausschluss der nicht-adligen Mitglieder. Fürst
Ludwig lehnte dies mit der Begründung ab, der Zweck der Fruchtbringenden
Gesellschaft sei „auf die Deut- sche sprache und löbliche tugenden, nicht
aber auf Ritterliche thaten alleine ge- richtet, wiewohl auch solche nicht
ausgeschlossen“. (Fürst Ludwig in einem Brief vom 18.1.1648. In: Der
Fruchtbringenden Gesellschaft ältester Ertzschrein. Briefe, Devisen und
anderweitige Schriftstücke. Hg. v. Gottlieb Krause. Leipzig 1855, Ndr.
Hildesheim, New York 1973, S. 98. Vgl. Conermann: Die Fruchtbringende
Gesell- schaft und ihr Köthener Gesellschaftsbuch S. 31.) Angesichts der Tatsache, dass die meisten gerade der adligen Mitglieder kei-
nerlei Anstalten machten, sich sprachpflegerisch oder literarisch im
weitesten Sinne zu betätigen, muss dies nicht erstaunen. [...] Die höfische
Gesellschaft ist das Ideal des gesitteten Umgangs. Dieses Ideal ist von
Standesschranken unabhängig. Es ist der gesellige Umgang, die Gesellschaft als solche, die ‚Frucht
bringen‘ soll. Diesem „fruchtbringenden“ Ideal der Gesellschaft hat Opitz in
seiner „Poete- rey“ die stilistischen Regeln gegeben. In deren letzten
Sätzen wird dieses sowohl stilistische wie gesellschaftliche Ideal klar
benannt, wenn Opitz dort fordert, seine Zeit nicht mit „Fressereyen/
Bretspiel/ vnnütze[m] geschwätze/ verleumb- dung ehrlicher leute“ oder der „lustige[n]
vberrechnung des vermögens“ zu ver- schwenden, sondern vielmehr die „vnvergleichliche
ergetzung“ der Dichtung zu suchen.(Opitz: Poeterey S. 74f.) Dichtung,
wie Opitz sie will, ist eine Form der gelebten Höflichkeit." (Wels
2018, S.192)

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Dreißigjähriger
Krieg (1618-1648)
▪
Überblick
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Zeittafel
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Bevölkerungsverluste
▪
Alltag zwischen Krieg und
Frieden
▪
Der
Westfälische Friede 1648
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Quellenauswahl
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
26.01.2022
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