"Der protestantische schlesische Pfarrerssohn
Gryphius steht
für die barocke Vergänglichkeitsklage "Es ist alles eitel" - unter diesem
programmatischen Titel dichtete er Hammerzeilen wie: "Was itzt so pocht und
trotzt, ist morgen Asch und Bein." Der katholische Patrizierspross Rubens
dagegen ist ein Prahlhans sinnlicher Prachtentfaltung - schnaubende,
steigende Rösser, üppige, hinschmelzende Weiberleiber, wimmelndes
Schlachtengetümmel, Löwenjagd, Festschmaus, Frauenraub, Venusgier,
dargeboten im Stil eines phantastisch bewegten Illusionismus vor
theatralischen Landschafts- oder Palastprospekten, oft mit dynamisch
verwirbelten Spiral- oder dramatisch kippenden Diagonalkompositionen.
Beide Gesichter der barocken Kultur muten erstaunlich gegenwärtig an: Auch
wir kennen die angstvolle Ahnung weltumspannender Nichtigkeit und
Flüchtigkeit, grundiert von akuter Wirtschaftskrise, nicht enden wollenden
Selbstmordattentaten, religiösen Zweifeln, drohenden Klimakatastrophen und
den durch zahlreiche Publikationen aktualisierten Erinnerungen an die
tödlichen Materialschlachten des 20. Jahrhunderts; und zugleich ist uns jene
- auch medienbedingte - Ich-Schwäche vertraut, die hektisch Zuflucht sucht
bei der penetrantesten Schönheits- und Körperobsession aller möglichen
Porno-, Sex- und Wellness-Varianten.
Der Glanz und der Tod, das große Festmahl mit Musik und Tanz und darüber die
alles Irdische zermalmende Ewigkeit - gewiss kein Gegensatzpaar, das im 17.
Jahrhundert erfunden worden wäre. Aber die unvermittelte, heftige, jähe Art
zu erleben, in der dieses Widerspiel von Schönheit und Vergänglichkeit immer
wieder ein paradoxes, extremes Lebensbild der Zerrissenheit inszeniert, etwa
in jeder zweiten Tageszeitung - das verbindet durchaus unsere Tage mit dem
Zeitalter des
Dreißigjährigen Krieges und des höfischen "Larvenspiels"
(Johann Christian Günther) und öffnet selbst die film- und fernsehstrapazierten Augen unserer Zeitgenossen barockem Zeitempfinden.
Jedenfalls wurden die Bilder, Verse und Klänge des 17. und frühen 18.
Jahrhunderts lange nicht mehr so begierig wahrgenommen wie in jüngster Zeit."
(aus: Joachim Kronsbein, Johannes Saltzwedel u. Mathias Schreiber, Der Glanz
und der Tod, in: Der Spiegel, 11/2004, S. 168f.)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
17.07.2021