"Wer
der barocken Liebeslyrik im Zeichen ... erlebnishermeneutischer Kategorien
begegnet, wird die irritierende Erfahrung machen, sich historisch nachhaltig
verzettelt zu haben. Liebe ist in der Lyrik des 17. Jahrhunderts kein
Gefühl. [...] Anders als in den lyrischen Texten späterer Jahrhunderte
offenbart sich Lesern in den barocken Textexempeln [...] kein Versprechen,
einer unmittelbaren Erlebnisfülle begegnen zu können. [...] Barocke
Literatur ist rhetorisches Sprechen, also generalisierte und auf
Generalisierung zielende, repräsentierende Rede, zu deren kunstvoll
produzierten, affektiven Bewegungen eine authentische Individualität sich
ebenso störend wie missverständlich verhalten würde. [...] Als lyrischer
Text ist Liebe keine emotionale Grundbefindlichkeit menschlicher Existenz,
sondern ein regelhaftes Ausdrucksverhalten, das (nicht allein) im 17.
Jahrhundert von kulturellen Codes gesteuert wird. Liebe ist, anders
formuliert, [...] eine Textfigur, die die Art und Weise der Sinnproduktion
und Bedeutungserzeugung im Text festlegt. [...] Weil Poeten immer in die
Gefahr verstrickt sind, keine Einfälle zu haben und damit der „Blödigkeit“
ausgeliefert sind, benötigt das Barock spezifische Verstärkungen der
poetischen Erfindung. Die „Liebessachen“ (Opitz) bilden hierauf die
prominenteste Antwort des Barock.“
(aus: Stöckmann 2003, S. 23f.)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
18.01.2022