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Grundlagen der Textanalyse und Interpretation
▪
Überblick
▪
Hermeneutische Modelle
▪
Antihermeneutische
Modelle
▪
Überblick
▪
Dekonstruktivistisches Modell
▪
Kontextuelles Modell
▪
Kontextualisierung der werkimmanenten Interpretation
bei der schulischen Textinterpretation
Mit der seit den 1970er
Jahren kritischen Betrachtung der ▪
Werkinterpretation
(▪
Über Fragen und Antworten zu einem textnahen Textverständnis
gelangen) ist, so
Spinner (2010),
"das Hinzuziehen von Kontexten
im Unterricht immer wichtiger geworden (sog. 'Integrationsmethode
[...])" (ebd.),
zumal mehr und mehr erkannt worden sei, dass "kein Interpretieren ohne
Kontextbezug aus(komme), wenn nicht explizit dann implizit auf der
Grundlage von Vorwissen, das einfließt." (ebd.,
S.213) Dies habe zu verschiedenen schulischen Formen der Arbeit mit
Kontexten geführt.
Die ▪
antihermeutisch ausgerichtete ▪
kontextuelle Interpretationsmethode geht dabei so weit, dass sie jede
Interpretation für prinzipiell kontextgebunden und kontextabhängig sieht.
Für sie steht fest, dass Bedeutungserzeugung und Sinnkonstruktion von Texten
immer über Kontexte erfolgt und die ▪
hermeneutisch
ausgerichtete ▪
werkimmanente
Interpretationsmethode damit auf grundsätzlich falschen
Voraussetzungen beruht.
Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass trotz der Kritik an dem ▪
hermeneutischen Ansatz der besondere "Verstehens- und
Auslegungsprozess", der damit beschrieben wird, weiterhin als "die theoretische Basis
jeglicher Interpretation" und ihrer verschiedenen Zugänge und
Umgangsweisen von Literatur gilt. (vgl.
Becker/Hummel/Sander 22018,
S.193)
Und insbesondere seine
textnahen Deutungshypothesen und
Begründungen sind Vorzüge, auf die der schulische Literaturunterricht im
Allgemeinen nicht verzichten kann und will.
So ist das von
der werkimmanenten Methode favorisierte
textnahe Verstehen noch immer einer der
möglichen Wege, zu einem intersubjektiv kommunizierbaren
Textverständnis zu
gelangen. Dies betrifft vor allem die besondere Art der Interaktion mit dem Text
in einer sukzessiv sich entwickelnden ▪
gedanklichen Zirkelbewegung von
Fragen und Antworten (▪
hermeneutischer Zirkel).
Solche Überlegungen
können indessen die Tatsache, dass letztlich "alle Textdeutungen über
Kontexte ausgeführt worden sind" (Steinmetz 1995, S.482),
nicht schmälern. Und dementsprechend ist die ▪
Kontextualisierung der werkimmanenten Interpretation schon seit über
zwei Jahrzehnten Standard der Abiturprüfung. Zur Bewältigung der dazu
passenden Schreibaufgaben muss der Schreiber auf sein
deklaratives und
prozedurales
(Vor-)Wissen (Weltwissen,
Fachwissen,
Sprachwissen
und
thematisches Wissen)
zurückgreifen.
Auch ▪
kognitionspsychologisch gesehen hängen die Fähigkeit und die
Möglichkeiten des einzelnen zur ▪
Sinnkonstruktion
eben oft mehr von diesem textexternen Wissen
ab als von den enger gefassten Fähigkeiten zur Textanalyse.
Es ist also immer
der oder die Person im Vorteil, die über ein großes und breitgefächertes Vorwissen verfügt, um den ▪
Motor der Inferenzbildung über ▪
enge und ▪
Brücken-Interenzen hinweg mit ▪
elaborativen Inferenzen
richtig auf Touren zu bringen. So kann man nämlich das. was man liest und analysiert,
auf der Grundlage von Hypothesen in einer Text-Leser-Interaktion zu ▪
einem plausiblen Bedeutungs- bzw. Sinnzusammenhang zu
konstruieren. Zudem helfen sie auch, ▪
Erfahrungen alltäglicher
Fremdheit und ▪
struktureller Fremdheit zu überwinden, indem begriffliche Unklarheiten oder
Schwierigkeiten bei der Herstellung von Bedeutungszusammenhängen auf
Textebene durch Einbeziehung ihres textuellen Kontextes geklärt werden.
Das Gelesene
wird beim Lesen durch das vorhandene
deklarative und
prozedurale
Wissen
(z. B.
Weltwissen, aktives Wissen,
Erfahrungswissen,
Fachwissen,
Sprachwissen,
Gattungswissen,
Textmusterwissen,
thematisches Wissen) des Lesers kontextualisiert und damit "angereichert".
Die Erweiterung dieses Wissens kann aber auch das Ziel mehr oder weniger
geleiteter Kontextualisierungshandlungen sein. So kann man bisher nicht
Gekanntes historisches Kontextwissen über die Zeitumstände, in denen ein
Text entstanden ist, über den Autor bzw. die Autorin eines Textes oder auch
literaturwissenschaftliche Darstellungen zum Text oder zu seinem Thema
heranziehen, um damit die eigene Sinnkonstruktion zu erweitern und zu
vertiefen.
Die
Bedeutung von Fachwissen unterschiedlicher Art wird auch in den
▪
Bildungsstandards im
Fach Deutsch für die Allgemeine Hochschulreife (KMK
18.10.2012) (BISTA-AHR-D
2012) herausgehoben. Im
▪
Kompetenzbereich
▪
Sich mit literarischen
Texten auseinandersetzen wird betont, dass sich die
Schülerinnen und Schüler literarische Texte "unter reflektierter
Nutzung von fachlichem Wissen" (»
Bildungsstandards
im Fach Deutsch für die Allgemeine Hochschulreife,
S.18) erschließen können. Weiter heißt es: "Sie verfügen
über ein literaturgeschichtliches und poetologisches
Überblickswissen, das Werke aller Gattungen umfasst, und stellen
Zusammenhänge zwischen literarischer Tradition und
Gegenwartsliteratur auch unter interkulturellen Gesichtspunkten
her." (ebd.)
In den meisten Standards für das grundlegende und das erhöhte Niveau
spielt das Wissen, nicht immer spezifizierbar nach allgemeinem
Weltwissen und Fachwissen und das Kontextwissen eine zentrale Rolle. In
insgesamt acht Standards (Lit-3, Lit-4,
Lit-7, Lit-8,
Lit-10, Lit-12,
Lit-13 und Lit-15 wird
dabei entweder indirekt oder direkt auf die Bedeutung der Heranziehung
von Kontexten bei der Textinterpretation verwiesen. Dazu gehören Aspekte der Gattungspoetik
(Lit-3, Lit-12) der Epocheneinteilung und der Literaturgeschichte (Lit-3),
motiv-, form- und kulturgeschichtliche Fragen (Lit-4),
literarisches Fachwissen (Lit-7) und Wissen, das
mit dem Verhältnis verschiedener literarischer Texte und Kontexte zu tun
hat (Lit-8). (vgl.
ebd.)
In den meisten Standards für das grundlegende und das erhöhte Niveau
spielt das Wissen, nicht immer spezifizierbar nach allgemeinem
Weltwissen und Fachwissen, die zentrale Rolle. Zumindest vier
Standards (Lit-3, Lit-4,
Lit-7, Lit-8, Lit-10). Lit-12,
Lit-13 und Lit-116 nehmen eindeutig
"auf textexterne Aspekte Bezug, die entweder als fachliches Wissen oder
als zu rezipierender Kontext zur Anwendung zu bringen sind." (Frederking/Wieser
2015, S.182) Dazu gehören Aspekte der Gattungspoetik,
der Epocheneinteilung und der Literaturgeschichte (Lit-3),
motiv-, form- und kulturgeschichtliche Fragen (Lit-4),
literarisches Fachwissen (Lit-7) und Wissen, das
mit dem Verhältnis verschiedener literarischer Texte und Kontexten zu tun
hat (Lit-8).
Auf dem •
grundlegenden Niveau sollen die Schülerinnen und Schüler
-
"ihr Textverständnis
argumentativ durch gattungspoetologische und literaturgeschichtliche
Kenntnisse über die Literaturepochen von der Aufklärung bis zur
Gegenwart stützen" können (•
Lit-3)
-
"relevante Motive,
Themen und Strukturen literarischer Schriften, die auch über Barock
und Mittelalter bis in die Antike zurückreichen können, vergleichen
und in ihre Texterschließung einbeziehen" können (•
Lit-4)
-
"die besondere
ästhetische Qualität eines literarischen Produktes aufgrund eines
breit angelegten literarischen Vorwissens erfassen und ihre Befunde
in das Textverständnis einbeziehen" können (•
Lit-7)
-
"diachrone und
synchrone Zusammenhänge zwischen literarischen Texten ermitteln und
Bezüge zu weiteren Kontexten herstellen" können (•
Lit-8)
-
"literarische Texte
auf der Basis von nachvollziehbaren, sachlich fundierten Kriterien
bewerten und dabei auch textexterne Bezüge wie Produktions-,
Rezeptions- und Wirkungsbedingungen berücksichtigen" können (•
Lit-10)
Auf dem •
erhöhten Niveau
sollen sie
-
im Rahmen eines breiter gefächerten
Wissens um verschiedene Kontexte, die für die Texte herangezogen
werden können, "den besonderen poetischen Anspruch und die
ästhetische Qualität literarischer Texte vor dem Hintergrund ihrer
Kenntnisse in den Bereichen Poetologie und Ästhetik erläutern"
können (•
Lit-12)
-
"Kenntnisse
wissenschaftlicher Sekundärtexte, philosophischer Schriften und
historischer Abhandlungen in die Kontextualisierung literarischer
Werke einbeziehen" können (•
Lit-13)
-
"ihre literarischen
Wertungen differenziert begründen und dabei auf ihr größeres und
komplexeres Kontextwissen zurückgreifen" können (•
Lit 15)
Insgesamt gesehen
hat die •
Kompetenzorientierung des
Literaturunterrichts dabei "die Rolle fachlichen Wissens für
die Lösung fachlicher Probleme wieder stark akzentuiert." (Born/Kämper-van
den Boogaart 320219, S.91) Zu diesem Fachwissen
gehört, je nachdem wie man den Begriff definiert, eben auch das
Wissen um relevante Kontexte.
Je nach Design der Aufgabe, als
Lern-,
Übungs- oder
Leistungsaufgabe, kann dieses Wissen in einem eigenverantwortlichen
Lernprozess von den Lernenden selbst recherchiert und herangezogen
werden, oder durch entsprechende Vorgaben gelenkt werden. Gelenkte
Kontextualisierungsaufgaben können dabei bei ansonsten
offenem Aufgabenformat
als
Advance Organizer bzw.
Relevanzinstruktionen vor allem die intertextuelle und
extratextuelle Inferenzbildung wirksam unterstützen.
Im Übrigen hat sich natürlich auch die Literaturdidaktik und die Praxis der
Textinterpretation in der Schule
schon
seit längerer Zeit von der "lupenreinen" werkimmanenten Interpretation,
sofern es sie je überhaupt so gegeben hat, verabschiedet.
Zu den
▪
Operationen bei der Textinterpretation
gehört die Kontextualisierung, z. B. durch das Entwickeln von
literaturgeschichtlichen, gattungsgeschichtlichen,
geistesgeschichtlichen, biographischen, politisch-sozialen Bezügen heute
nicht nur dazu, sondern soll auch Umgangsweisen mit literarischen
Texten einen Riegel vorschieben, welche die historischen Bezüge eines
dichterischen Werkes zugunsten einer verfehlten Vorstellung von "zeitloser Dichtung"
ausblenden. Zugleich soll damit
auch der Bedeutung entsprechenden Grundlagen- und Orientierungswissens für
das Verstehen literarischer Texte Rechnung getragen werden.
Das Konzept, mit der man den
Fehlorientierungen der werkimmanenten Interpretation dabei zu Leibe rückt,
ist die ▪
Kontextualisierung der werkimmanenten Interpretation, bei welcher der
literarische Text auf lokaler Textebene weiterhin werkimmanent und
strukturierend erschlossen werden soll, um im Anschluss daran, das gewonnene
Textverständnis unter Einbeziehung bestimmter inter- oder extratextueller
Kontexte auf seine Stichhaltigkeit und Konsistenz zu prüfen und ggf. mit den
aus den verschiedenen Kontexten gewonnenen Informationen zu bestätigen, zu
modifizieren, anzureichern und/oder zu erweitern.
Nach
Spinner (2022a,
S.169-190) sind folgende ▪
kognitiv-analytische
Zugänge bzw. Umgangweisen mit Texten für den Umgang mit Fachwissen und
damit auch für die schulische Kontextarbeit
relevant: