Ein
• literarisches
Gespräch kann als Interpretationshandeln nach
Zabka (2003,
vgl.. Ehlers
2016, 8.1.4. Das literarische Unterrichtsgespräch,
Kindle-Version) sechs verschiedene Funktionen erfüllen. Diese
spiegeln sich auch in den verschiedenen •
Kompetenzen wieder, die in
literarischen Gesprächen erworben werden können.
Dabei kann
es helfen, ein zentrales Motivationsproblem im Umgang mit Literatur
im Unterricht zu überwinden. Dieses besteht darin, "dass es für die
Schüler keinen erkennbaren Grund gibt, Sinnzusammenhänge zu
analysieren und interpretierend zu erklären, nachdem sie ihr
Verstehen zum Ausdruck gebracht, ein Werturteil formuliert oder den
Gegenstand durch eigene Gestaltungen künstlerisch gedeutet haben." (Zabka 2003,
S.31)
Funktion |
Verhaltensaspekte |
subjektiv-expressive Funktion |
Leser*innen und/oder Interpret*innen artikulieren im
Zuge ihres "expressiven Interpretierens" (Zabka
2003, S.23), ihre
subjektiven Sichtweisen und Meinungen zum Text. Das kann
die "äußere Beschaffenheit von Menschen, Gegenständen
und Orten, die Gefühle und Motive der handelnden
Figuren, Anmutungen sprachlicher Formulierungen wie z.
B. einer ungewohnten Metapher – und anderes mehr" (ebd.)
betreffen. Dabei ist besonders wichtig zu verstehen,
dass derartige expressive Interpretationshandlungen (expressives
Interpretieren) eben "nicht nur das zum Ausdruck
(bringen), was bereits zuvor verstanden wurde, sondern
auch manches, das aufgrund des expressiven Handelns
selbst überhaupt erst verstanden wird." (ebd.)
Im literarischen Gespräch kann das expressive
Interpretieren, das sich in der Artikulation von
vielfältigen
Erstleseeindrücken in einer Öffentlichkeit äußert,
damit auch Anlässe dafür schaffen, etwas zu behaupten (behauptendes
Interpretieren), etwas zu erklären (erklärendes
Interpretieren) oder etwas zu erörtern (erörterndes
Interpretieren) |
hermeneutische
Funktion |
Im
Gespräch wird das erste intuitive Textverständnis
modifiziert und differenziert. |
argumentative, behauptende Funktion |
Jede/r
Teilnehmer*in macht als Leser*in Behauptungen über einen
Text oder Teilaspekte eines Textes. Die
Behauptungsstruktur entsteht beim Übergang des eigenen
Verstehens ("ich verstehe den Text so") zu einer
Feststellung über den Text, die mit dem
Geltungsanspruch verbunden ist, dass der Text (aber auch
ein anderer Gegenstand), so wie man ihn versteht, auch
gemeint oder wenigstens verstehbar ist
("der Text/die Textstelle bedeutet"); solche
Interpretationsbehauptungen können a) zur Präzisierung
der zunächst gewonnenen eigenen Vorstellungen (expressives
Interpretieren) führen und damit das ästhetische
Urteil differenzieren; b) ästhetische Erfahrungen
mit Begriffen konzeptualisieren und kognitiv
repräsentieren und c) die Kommunikation und
Verständigung über ästhetische Wahrnehmungen und
Erfahrungen mit anderen ermöglichen, da sie von den
anderen Teilnehmer*innen in Frage gestellt werden können
und plausibel begründet werden. |
erklärende Funktion |
Jede/r
Teilnehmer*in (einschl. der Lehrperson) kann bei
Nicht-Verstehen, Missverstehen oder Verstehensproblemen
des anderen mit seinen interpretatorischen Erklärungen (erklärendes
Interpretieren) Hilfen anbieten. Dabei müssen sich
die erklärenden Interpretationen auf nachprüfbare
Eigenschaften des Textes bzw. Gegenstandes mit einem
ebenso nachprüfbaren Wissen argumentativ beziehen. (vgl.
Zabka 2003, S.25) |
erörternde Funktion |
Jede/r
Teilnehmer*in kann im Gespräch "über verschiedene
Verstehensmöglichkeiten, die gleichermaßen plausibel
erscheinen" (vgl.
Zabka 2003, S.25) nachdenken, andere und seine Interpretation reflektieren und
abwägen. Strukturell erzeugte Mehrdeutigkeit des Textes
bzw. Gegenstandes erlaubt bei der Sinnkonstruktion auch die Heranziehung
unterschiedlicher Kontexte und ermöglicht damit auch die
Erfahrung, "dass eine einheitliche Sinnerklärung im
Widerspruch steht zu eben jener Mehrdeutigkeit des
Gegenstandes, die solche Erklärungen provoziert." (ebd.,
S.30) Die mehrfache Kontextualisierung verdeutlicht z.
B. die Interpretation von ▪
Franz Kafkas (1883-1924)
Parabel "Der
Aufbruch", die unter Heranziehung ganz
unterschiedlicher Kontexte zu ganz verschiedenen ▪
allegorischen
Interpretationen führt. Erörterndes Interpretieren
kann also zu Bewusstsein bringen, dass es auch einen
"besonderen, nicht restlos rationalisierbaren Charakter
ästhetischer Erfahrung" (ebd.) |
kommunikativ-kooperative Funktion |
Jede/r Teilnehmer*in ist
gehalten, sich wechselseitig ▪zuzuhören, auf den anderen
einzugehen, die unterschiedlichen Lesarten miteinander zu
vergleichen und damit auch die eigene subjektive Lesart
zu relativieren. |
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
18.09.2024
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