Der ▪
handlungs- und produktionsorientierte
Literaturunterricht (HPU), der vor allem seit Mitte der 1980er Jahre bis
zur Jahrtausendwende • den
literaturdidaktischen Diskurs in Deutschland bestimmt hat, setzt seinen Hauptakzent auf Aspekte, die zur ▪
literarästhetischen Produktionskompetenz
gehören, ohne dass seine Methoden diese vollständig erreichen. (vgl.
Kepser/Abraham
42016, S.81)
Sein methodischer Ansatz ist dadurch
gekennzeichnet, dass er "ein besseres Verstehen literarischer Texte
durch Zugänge anstrebt, die ihrerseits literarästhetische Mittel
nutzen." (Heiser 2024,
S.16)
Allgemein versteht man unter handlungsorientiertem Unterricht einen
ganzheitlich konzipierten, schüleraktiven Unterricht, bei dem die
Produkte, die im Rahmen bestimmter Handlungen zustande kommen, den
methodischen Schwerpunkt des Unterrichtsgeschehens bilden. Im Grunde
genommen geht es dabei um ein Lernen, das sich im Idealfall in einer
harmonischen Balance von Kognition, Affekt und Psychomotorik
vollzieht.
Im
Literaturunterricht wird die Handlungsorientierung mit handlungs- und
produktionsorientierten Verfahren (HPV) im Umgang mit literarischen
Texten umgesetzt. Die immer wieder vorgenommenen Versuche, die beiden
Attribute "handlungsorientiert" und "produktionsorientiert"
gegeneinander eindeutig abzugrenzen, sind für die schulische Praxis
wenig relevant. Aus diesem Grund empfiehlt es sich die "Doppelformel der
'Handlungs- und Produktionsorientierung' als einen gemeinsamen Terminus
für das [...]Methodenrepertoire zu verwenden, bei dem Schüler*innen sich
auf implizit-literarästhetischer Ebene mit literarischen Texten
auseinandersetzen." (Heiser
2024, S.19)
Dennoch
soll an dieser Stelle der Begriff des Handelns zur Verdeutlichung kurz
beleuchtet werden. Er steht im HPU für "Tätigkeiten [...], die auf die
Erstellung eines Produktes zielen." (Ehlers
2016, 8.2 8.2 Handlungs- und produktionsorientierte Verfahren,
kindle-Version) Die »Handlungsprodukte,
die dabei erstellt bzw. gestaltet werden sind sehr vielfältig. Darunter
fallen Mediendokumente aller Art, wie z. B. geschriebene Texte,
Text-Bild-Collagen, Bilder, oder Ton- und Videoaufnahmen, Inszenierungen
aller Art wie Rollenspiele, Theateraufführungen sowie Events und Feste
oder auch einfach bestimmte Formen von Diskussionen. Dabei verweist das
Attribut ›produktiv‹ "auf die enge Verbindung von Literatur, Verstehen
und Schreiben. Durch schreibende Veränderung, Umformung, Ergänzung oder
Weiterführung eines Textes soll der Leser Einsichten in ästhetische
Eigenschaften und Strukturen eines literarischen Textes gewinnen und zu
Teilverständnissen gelangen." (ebd.)
Wenngleich sich die handlungs- und produktionsorientierten Verfahren,
wie sie von ihren Befürwortern vorgeschlagen werden, in den oben
genannten Zielen konvergieren, werden dabei auch unterschiedliche
Akzente gesetzt, die zum Teil mit den unterschiedlichen Text- und
Kompetenzbegriffen zu tun haben, die ihnen zugrunde liegen.
Nickel-Bacon (2006, S.16, pdf) hat diese in aller Kürze wie folgt
charakterisiert:
"Während etwa Haas ganz auf die affektiv-emotionale Dimension
praktischer Produktion abstellt (Haas,
1997) und Rupp kulturelles Handeln anzielt, indem er die von
Schüler(innen) verfertigten Anschlusstexte mit literarischen Texten
prinzipiell gleichsetzt (Rupp,
1987), geht es bei der kreativen Textrezeption sensu Waldmann mehr
um das 'learning by doing' zur Vermittlung literarischer Sprach- und
Gattungskonventionen (Waldmann,
1984, 1988). Spinner hingegen nutzt die produktionsorientierten
Verfahren vornehmlich zur Vorstellungsbildung, mit der
Verstehensprozesse unterstützt werden sollen (Spinner, 1987)
"Wenn Texte, wie
Spinner
(2007/2022, S.63) betont, "nicht nur gelesen, besprochen,
mündlich und schriftlich analysiert werden", sondern "Schülerinnen und Schüler auch gestaltend, das heißt literarisch
schreibend, szenisch spielend, malend, musizierend mit Texten
umgehen", erfüllt ein solches Vorgehen mehrere Funktionen:
Es
-
schaffe eine
Verbindung zwischen subjektiver Erfahrungswelt und Wahrnehmung
des Textes
-
unterstütze die
imaginative Vergegenwärtigung des Textes im Kopf des Lesers
-
richte den Blick
auf die Machart von Texten, weil der Leser auch die Perspektive
eines Produzenten übernehme
-
rege die Fantasie
an und fördere einen wahrnehmungsintensiven, ästhetischen Zugang
zu Texten.
(vgl.
ebd.)
Dass sich handlungs-
und produktionsorientierte Verfahren ganz und gar nicht textfern um
"verstümmelte Texte" herumbewegen und die ästhetische Qualität
literarischer Texte verkennen, lässt sich
•
kognitionspsychologisch begründen. Wenn die HPV auf einen bestimmten
Text bezogen werden, fördern sie nämlich in besonderer Weise die
• Bildung von Inferenzen
beim
• Lesen,
die als "Motor der Sinnkonstruktion beim Lesen" (Christmann
2015, S.172) angesehen werden können und die für die Herstellung
eines kohärenten Textverständnis von Bedeutung sind.
Wenn also ein
literarischer Text bzw. eine Geschichte ▪
weitererzählt
oder unter einer anderen Figurenperspektive
erzählt werden soll, wird ein zielbezogenes Lesen aktiviert, das
unter dem Blickwinkel selbstgewählter Relevanzkriterien eine erhöhte
Inferenzaktivität beim Lesen in Gang bringt. (vgl. auch
Ehlers 2016, ebd.)
Auf der anderen Seite ist die Bildung von Inferenzen, gemessen an allen
möglichen, durch vorgegebene Relevanzkriterien auch eingeschränkt.
Neben der •
Rezeptionsästhetik, die mit ihren •
Grundannahmen u. a. darauf •
zielt, die Anteile, die der Leser bei der Entstehung
(Realisation) des literarischen Werkes besitzt, bewusst zu machen
und die Sinnbildung als Resultat eines komplexen
Konstruktionsprozesses im Bewusstsein des Lesers versteht, haben die
Befürworter der Handlungsorientierung auch auch Positionen des
Poststrukturalismus für die literaturtheoretische Fundierung ihres
Ansatzes herangezogen.
Da dieser Texte als
"dynamische Gebilde" begreife, die von verschiedenen, oftmals auch
einander widersprechenden Bedeutungen durchzogen sein könnten, könne
der Umgang mit ihnen eigentlich "nur in einem Eingreifen und einem
Dekonstruieren (Aufbrechen) der scheinbaren Geschlossenheit
bestehen." (Spinner
1993, S.18)
Man hat immer wieder
den Versuch unternommen, handlungs- und produktionsorientierte Methoden
vom • kreativen Schreiben i. e. S.
abzugrenzen. Dem wird, zumal diese Unterscheidung unterrichtspraktisch
wohl wenig Relevanz besitzt, nicht gefolgt. Wir verwenden, aller
Einwände zum Trotz, den Begriff kreatives Schreiben als •
Oberbegriff für Schreibaufgaben in der Schule, die mehr oder weniger
auf einem kreativen Prozess bei der Textgestaltung beruhen, weil sie
- einfach ausgedrückt - uns ermöglichen, literarische Texte "anders
zu sehen" als gewohnt. Dabei beschreiten sie im Umgang mit dem Text
und mit den dabei gemachten Erfahrungen in gewisser Weise Wege, die
•
abseits
ihrer sonst üblichen Denk- und
Verhaltensmuster und Schemata liegen. (vgl.
Dries 1982, S.89)
Handlungs-
und produktionsorientierte Methoden haben, bieten eine ganze Reihe
besonders motivierender Möglichkeiten im Umgang mit literarischen
Texten, besitzen aber im • Vergleich mit
den den beiden anderen gängigen Verfahren, dem hermeneutisch
interpretierenden und dem textanalytischen Verfahren, allerdings
auch Nachteile.
In neueren
Literaturdidaktiken wird dabei immer wieder betont, dass sie nur in
Verbindung mit kognitiv-analytischen Verfahren zu einem vertieften
Verstehen literarischer Texte beitragen können.
So betont
Ehlers
2016, 8.2 8.2 Handlungs- und produktionsorientierte Verfahren,
kindle-Version), dass handlungs- und produktionsorientierte Verfahren (HPV)
"nicht dazu dazu geeignet sind, systematisch Verstehensprozesse
anzuleiten und erforderliches historisches und kulturelles Wissen zu
erwerben".
Leubner/Saupe/Richter (2016, S.240) stellen heraus, dass die HPV
sich lediglich auf lediglich" auf eine Teilleistung des Textverstehens"
richten: "Sie können als 'Wege' oder 'Instrumente' gelten, die erheblich
dazu beitragen, dass eine bestimmte Teilleistung erbracht werden kann
und in welcher Weise sie erbracht wird. Eine sinnvolle Auswahl und
Abfolge der Methoden ist dementsprechend eine Grundlage der ergiebigen
Phasierung von Unterricht."