Kognitiv-analytische Zugänge
zu literarischen Texten basieren
auf verschiedenen mentalen Prozessen, mit denen literarische Texte in
ihrer ästhetischen
Gestalt untersucht, ihrer Wirkung beurteilt und in bestimmte Kontexte
eingeordnet werden können. Sie beruhen auf
deklarativem und
prozeduralen
Wissen, das in vorangegangen Lernprozessen in der Auseinandersetzung
bzw. Rezeption von Texten erworben worden ist oder in der Arbeit mit
literarischen Texten erworben werden soll.
Wer über entsprechendes Fachwissen verfügt, hat gewöhnlich Vorteile bei
bei der •
Sinnkonstruktion
und bei der mentalen Repräsentation. Und dies ist zunächst unabhängig
davon, wie das Fachwissen erworben worden ist. Allerdings weiß man aber
auch, dass erworbenes Fachwissen ganz allgemein "keineswegs immer
das Verstehen von Texten fördern, sondern sogar auf Abwege führen" kann
(Frederking/Wieser
2015, S.206, vgl.
Spinner (2022a,
S.164ff.) Wenn
begriffliches Wissen, wie es dem deklarativen Fachwissen zugrunde liegt,
allerdings überwiegend kognitiv-analytisch vermittelt wird, kann dies
für den Umgang mit literarischen Texten bei den Schülerinnen auch
ungünstige Effekte haben. Sie suchen nämlich dann oftmals einen Text
nach den gelernten Kriterien ab, ohne sich über die Funktion der
eingesetzten Mittel zur ästhetischen, formalen oder
sprachlich-stilistischen Gestaltung für das Textganze im Klaren zu sein. (vgl.
Knopf 2009,
S. 316) Dass sich Schülerinnen und Schüler bei ihren Interpretationen
eigentlich meistens schwer tun, den Funktionszusammenhang von Form und
Inhalt plausibel zu erläutern, ist dabei natürlich keine neue
Erkenntnis.
Dennoch ist und bleibt die Textbetrachtung unter Berücksichtung und
Reflexion von spezifischen Wissensbeständen"
wie "z. B. zeit-, literatur- und mediengeschichtliche Kenntnisse,
Gattungs- und Genrewisssen, Wissen über Textsorten und -funktionen,
poetologische und ästhetische Aspekte und Wissen um mediale Spezifika"
der wichtigste Entwicklungsschritt der auf der Sekundarstufe II
vollzogen wird. (Frederking/Wieser
2015, S.180) Dabei gewinnt die kritische Reflexion über die
dem Fachwissen jeweils zugrunde liegenden Ansätze und die Anwendbarkeit
bestimmter Konzepte mit ihren Kategorien in der Sekundarstufe II im
Vergleich zur Sekundarstufe eine viel größere Bedeutung.
Die
Bedeutung von Fachwissen unterschiedlicher Art wird auch in den
▪
Bildungsstandards im
Fach Deutsch für die Allgemeine Hochschulreife (KMK
18.10.2012) (BISTA-AHR-D
2012) herausgehoben. Im
▪
Kompetenzbereich
▪
Sich mit literarischen
Texten auseinandersetzen wird betont, dass sich die
Schülerinnen und Schüler literarische Texte "unter reflektierter
Nutzung von fachlichem Wissen" (»
Bildungsstandards
im Fach Deutsch für die Allgemeine Hochschulreife,
S.18) erschließen können. Weiter heißt es: "Sie verfügen
über ein literaturgeschichtliches und poetologisches
Überblickswissen, das Werke aller Gattungen umfasst, und stellen
Zusammenhänge zwischen literarischer Tradition und
Gegenwartsliteratur auch unter interkulturellen Gesichtspunkten
her." (ebd.)
Kognitiv-analytische Zugänge im Literaturunterricht
Es gibt entsprechend
der Wissensbestände, die im
Literaturunterricht der Sekundarstufe II herangezogen werden sollen,
eine größere Zahl von ▪
kognitiv-analytischen Zugänge bzw. Umgangweisen
unterscheiden, in denen das
Fachwissen eine entscheidende Rolle spielt. Wer will, kann das auf
literarische Texte bezogene Vorwissen der Schülerinnen und Schüler
danach einteilen, ob es "Wissen um die Gestaltungsmerkmale bzw. -konventionen
von Texten und Medien" darstellt oder "Wissen, welches sich auf
Entstehungs-, Produktions- sowie Rezeptionskontexte bezieht." (Frederking/Wieser
2015, S.206)
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Spinner (2022a,
S.169-190) hebt die folgenden ▪
kognitiv-analytischen Zugänge bzw. Umgangweisen
unterscheiden, in denen das
Fachwissen eine entscheidende Rolle spielt, dabei sprechen wir hier in
leichter Abwandlung von literaturgeschichtlichem statt
literaturgeschichtlichem (Epochen-)Wissen.
Folgt man der von
Frederking/Wieser (2015, S.206) vorgeschlagenen
Unterscheidung, dann rücken eine Reihe von Fragen in den Blick, die
damit zusammenhängen.
So gilt es nach Ansicht
der beiden Autor*innen z. B. im Wissensbereich Gestaltungsmerkmale
bzw. -konventionen von Texten und Medien zu prüfen, welche
Wissensbestände sich zum Textverstehen wirklich eignen. Die Fragen, die
sich dabei aufdrängen, reichen in jeden Bereich des Umgangs mit
Literatur in der Schule: Welche rhetorischen Mittel sollen Schüler und
Schülerinnen kennen? Was müssen sie über Literaturepochen, Gattungen und
Textsortenmerkmale wissen? Welche Aspekte der Erzähltextanalyse müssen
sie mit welchen Kategorien erschließen können? Welche Elemente der
"Filmsprache" müssen sie kennen?
Ähnliche Fragen lassen
sich auch für den Wissensbereich Entstehungs-, Produktions- sowie
Rezeptionskontexte stellen, wobei hier wohl der die Förderung eines
reflektierten Umgang mit literaturgeschichtlichem Wissen im Mittelpunkt
steht. Literaturgeschichtliches Wissen
kann nur dann sein Potenzial für das Textverstehen entfalten, wenn
die Schülerinnen und Schüler in literarischen Texten "nicht Merkmale von
Epochen (...) 'wiedererkennen', sondern in der Auseinandersetzung mit
Texten und Quellen eines historischen Zeitraums eigenständig die
Diversität, aber auch bestehende Zusammenhänge rekonstruieren."
(ebd.,
S.207)
Gattungswissen gehört zu den wohl am weitesten verbreiten Zugängen
zur literarischen Texten im Literaturunterricht. Dementsprechend gehören
Gattungsfragen auch zu den Fragen, mit der sich die Literaturdidaktik
immer wieder beschäftigt. Unstrittig ist dabei, dass Kenntnisse
über • literarische Gattungen
ihrem Besitzer gewöhnlich Vorteile bei der •
Sinnkonstruktion
und bei der mentalen Repräsentation verschaffen. Und dies ist unabhängig
davon, wie das Gattungswissen erworben worden ist. Allerdings ist
genau die Art und Weise, wie Gattungswissen, Gattungs- und/oder
Textsortenmerkmale im Literaturunterricht erworben werden sollen, in der
Literaturdidaktik strittig.
Das Textanalysewissen ist eine Voraussetzung für vielfältige Operationen, die bei der schulischen Textarbeit an
literarischen Texten gemeinhin durchgeführt werden. Dabei unterscheidet
sich dieses Wissen danach, ob es sich auf •
erzählende, •
dramatische,•
lyrische Texte,•
literarische Zweckformen,
• Filme oder Comics bezieht, die man
als die grundlegenden fiktionalen
Großgattungen ansehen kann. (vgl.
Kepser/Abraham 42016, S.51ff.)
Zum Textanalysewissen gehören dabei, ohne Anspruch auf Vollständigkeit
und textlinguistisch gesprochen,
Textmusterwissen
und
Textsortenwissen und
Textstrukturwissen.
Hinzukommen Sprachwissen
und rhetorisches Wissen sowie
Stilwissen.
Konkreter gesagt, geht es dabei um allgemein um Kategorien bei der
rhetorisch-stilistischen Analyse (•
Figuren und Tropen,
Metapher, Anapher, Parallelismus etc..). Ferner dreht es sich um •
Strukturbegriffe der
Erzähltextanalyse und um •
Grundbegriffe zur Gedichtinterpretation
(z. B. Strophenform, Reimschemata, Metrik etc.). Außerdem geht es um
Begriffe und Konzepte der •
Argumentationslehre bei der Analyse verschiedener •
literarischer
Zweckformen oder um Kategorien, die bei der •
Film- oder Comic-Analyse verwendet
werden.
Kognitiv-analytisch ausgerichtet sind auch viele •
Schreibaufgaben
zur •
Textinterpretation in der Schule. Sie organisieren und •
strukturieren den
Schreibprozess, je nach Methode auf unterschiedliche Art und Weise,
und lassen sich in vier verschiedene •
Organisationsformen unterteilen:
Bei
allen genannten Organisationsformen, die auf kognitiv-analytischen
Verfahren beruhen, spielt das
Fachwissen eine große Rolle.
Im ▪
Rahmenkonzept des untersuchenden Erschließens literarischer Texte
hat man, neben anderen Aspekten, auch diesem entsprechend
Rechnung getragen. Auch wenn dieses Konzept, das auf die •
Einheitlichen Prüfungsanforderungen in
der Abiturprüfung Deutsch 2002) zurückgeht, inzwischen im Zuge der
• Kompetenzorientierung des
Literaturunterrichts von
• Bildungsstandards zur Auseinandersetzung mit literarischen Texten
abgelöst worden ist, ermöglicht es doch eine Gesamtschau über das
Ineinandergreifen verschiedener Aspekte bei einem kognitiv-analytischen
Zugang zu literarischen Texten.
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
31.07.2024
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