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Textauswahl

Daniel Defoe: Robinsons Bilanz nach vier Jahren Inselaufenthalt

Robinsonmotiv/Robinsonade

 
FAChbereich Deutsch
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Baustein: Strukturskizze

Mitten in diesen Arbeiten ging das vierte Jahr meines Aufenthalts auf der Insel zu Ende. Ich feierte den Jahrestag mit derselben Andacht und in gleicher Sammlung des Gemüths als die frühern Male. Denn durch fortwährendes Studium und ernstliches Forschen in Gottes Wort und mit Hülfe seiner Gnade war ich zu einer viel tieferen religiösen Erkenntniß als früher gelangt. Ich sah jetzt alle Dinge anders an als sonst. Die Welt betrachtete ich jetzt als etwas mir Fernliegendes, das mich Nichts anging, davon ich Nichts zu erwarten hätte und danach mich nicht verlangte. Ich hatte jetzt Nichts mehr mit ihr zu schaffen, noch war es wahrscheinlich, daß ich es je wieder haben würde. Darum stellte ich sie mir vor, wie wir vielleicht im Jenseits thun werden, als einen Ort, an dem wir gelebt, den wir aber verlassen haben, und wohl konnte ich sagen, wie Vater Abraham zum reichen Manne: »Zwischen mir und Euch ist eine große Kluft befestiget«.

Vor allen Dingen war ich hier abgesondert von aller Bosheit der Welt. Für mich gab es weder Fleischeslust, noch Augenlust, noch Eitelkeit des Lebens. Ich begehrte Nichts, denn ich besaß Alles, was ich genießen konnte. Ich war Herr der ganzen Insel; wenn es mir beliebte, konnte ich mich König oder Kaiser des Landes nennen, das ich in Besitz genommen hatte. Es gab keinen Rivalen, keinen Prätendenten neben mir, Keinen, der meine Herrschaft angefochten oder getheilt hätte. Ich hätte ganze Schiffsladungen voll Korn produciren können, aber ich vermochte sie nicht nutzbar zu machen, und darum säete ich nur eben so viel aus, als mein eigener Bedarf erforderte. Auch Wasser- und Landschildkröten hatte ich in Menge, aber mehr als von Zeit zu Zeit eine einzige konnte ich nicht verwenden. Ich besaß Bauholz genug. um eine ganze Flotte von Schiffen damit bauen, und Trauben genug, um mit ihnen als Wein oder Rosinen diese Flotte vollständig befrachten zu können. Jedoch was half mir das, was ich nicht nützen konnte? Ich hatte genug zu essen und meine Lebensnothdurft zu befriedigen, was sollte ich mit dem Uebrigen machen? Wenn ich mehr Thiere tödtete, als ich aufessen konnte, so mußte das Fleisch von dem Hund oder den Würmern gefressen werden. Säete ich mehr Korn, als ich verbrauchen konnte, so verdarb es; die Bäume, die ich fällte, blieben liegen und verfaulten; ich konnte sie zu nichts Anderem als zu Brennholz verwenden, und auch das brauchte ich nur, um meine Speisen zu bereiten.

Kurz, Natur und Erfahrung lehrten mich, bei genauer Betrachtung, daß alle guten Dinge dieser Welt nicht mehr Werth für uns haben, als in so weit wir sie gebrauchen können. Wie viel wir auch immer anhäufen mögen, um es Anderen zu geben, wir genießen nur gerade so viel, als wir selbst nöthig haben, und nicht mehr. Der habgierigste, gewinnsüchtigste Geizhals in der Welt würde vom Laster der Begehrlichkeit geheilt worden sein wenn er an meiner Stelle gewesen wäre; denn ich besaß ja unendlich viel mehr, als ich je verwenden konnte. Es blieb mir Nichts zu wünschen übrig, außer einigen Kleinigkeiten, die mir allerdings sehr willkommen gewesen sein würden. Ich war, wie ich früher erwähnt habe, im Besitz eines Beutels voll Geld, das aus Silber und Gold ungefähr im Werth von sechsunddreißig Pfund Sterling bestand. Aber, du lieber Gott! da lag nun das schlechte, erbärmliche, unnütze Zeug; ich hatte keine Art von Verwendung dafür, und oft dachte ich bei mir, wie gern ich eine Handvoll davon für eine Anzahl Tabakspfeifen oder für eine Handmühle, um mein Korn damit zu mahlen, geben würde. Ja, das Ganze hätte ich mit Freuden hingegeben für ein wenig englischen Runkelrüben- und Mohrrübensamen oder für ein Häuflein Erbsen und Bohnen und eine Flasche voll Tinte.

Wie jetzt die Sachen standen, hatte ich nicht den geringsten Vortheil oder Gewinn von jenem Mammon. Er lag im Kasten und verrostete durch die Feuchtigkeit der Höhle in der nassen Jahreszeit. Und hätte ich den Kasten voller Diamanten gehabt, so wäre es nicht anders gewesen; sie hätten keinen Werth für mich gehabt, weil ich sie nicht brauchen konnte.

Mit der Zeit war mein Leben viel freudiger geworden als im Anfange, sowohl das leibliche als das geistige. Ich setzte mich oftmals mit Dankbarkeit zu Tische und bewunderte die göttliche Vorsehung, die mir so den Tisch in der Wüste gedeckt hatte. Ich lernte mehr die Lichtseite meiner Lage ansehen und weniger bei der Schattenseite verweilen, und das gewährte mir zuweilen so viel innere Freude, daß ich es gar nicht auszudrücken vermag. Diesen Umstand erwähne ich hier, um ihn unzufriedenen Leuten einzuprägen, die nicht behaglich genießen können, was Gott ihnen bescheert hat, weil sie immer Dinge ansehen und begehren, die er ihnen versagt hat. Alle Unzufriedenheit über das, was uns fehlt, scheint mir aus unserm Mangel an Dankbarkeit für das, was wir haben, zu entspringen.

Noch eine andere Betrachtung war mir von großem Nutzen und würde das unzweifelhaft einem Jeden sein, der in solche Trübsale wie die meinigen gerathen ist. Ich verglich oft meinen jetzigen Zustand mit den Erwartungen, die ich anfangs davon gehegt hatte, oder vielmehr mit der Lage, in die ich unfehlbar gerathen sein würde, wenn nicht Gottes gütige Vorsehung es wunderbar gefügt hätte, daß das Schiff so nahe an meine Küste angetrieben wurde, wo ich es nicht nur hatte erreichen können, sondern auch Alles, was ich daraus mitnehmen wollte, zu meiner Erleichterung und Bequemlichkeit sicher ans Land zu bringen vermocht hatte. Denn ohne dies hätte es mir ja an jedem Handwerkszeug zu meinen Arbeiten gefehlt, an jeder Waffe zu meiner Vertheidigung und an Pulver und Blei, um mir Nahrung zu verschaffen.

Ganze Stunden, ich möchte sagen ganze Tage verwendete ich darauf, mir in den lebhaftesten Farben auszumalen, was ich angefangen haben würde, wenn ich Nichts aus dem Schiffe gerettet hätte. Nichts als Fische und Schildkröten wären in diesem Falle zu meiner Nahrung vorhanden gewesen, und da ich diese erst nach längerer Zeit auffand, hätte ich wahrscheinlich schon früher verhungern oder, wäre das auch nicht geschehen, doch stets wie ein Wilder leben müssen. Wenn es mir z. B. gelungen wäre, durch List eine Ziege oder einen Vogel zu tödten, so hätte ich ja nicht gewußt, wie ich das Thier hätte aufschneiden oder abhäuten, oder das Fleisch von dem Fell und den Eingeweiden trennen, oder es zerlegen sollen. Es wäre mir nichts Anderes übrig geblieben, als es mit den Zähnen zu zernagen und mit den Nägeln zu zerreißen wie ein wildes Thier.

Solche Erwägungen machten mich sehr erkenntlich für die Güte der Vorsehung und sehr dankbar in meiner gegenwärtigen Lage, trotz all ihren Entbehrungen und all ihren Mißlichkeiten. Ich möchte das auch besonders Denen zur Nachachtung empfehlen, die geneigt sind, in ihrem Elend zu sagen: »Gibt es denn noch andere Leiden, die so groß sind wie die meinigen?« Mögen sie einsehen, wie viel schlimmer es Andere haben und sie selbst es haben könnten, wenn der Himmel es für gut befunden hätte. Wieder ein anderer Gedanke, der auch dazu beitrug, mein Herz mit Trost zu erfüllen, war der, daß ich meine Lage mit jener verglich, die ich verdient hatte, und in die von der Hand Gottes versetzt zu werden, ich sonach hätte erwarten müssen. Ich hatte ein schreckliches Leben geführt, völlig ohne Gotteserkenntniß und ohne Gottesfurcht. Von Vater und Mutter war ich zwar gut unterwiesen worden, auch hatten sie nicht unterlassen, mir schon frühzeitig eine heilige Scheu vor Gott und einen Begriff von meinen Pflichten und von dem, was der Zweck meines Daseins von mir forderte, beizubringen. Aber ach! ich war so früh in das Leben und Treiben der Seeleute gerathen, das vor allen anderen ein gottloses zu sein pflegt (obgleich ja gerade der Seemann immerfort die Allmacht Gottes in den Schrecken der Natur unmittelbar vor Augen hat), daß das Bischen Religion, was ich bisher noch gehabt hatte, von meinen Genossen vollends aus mir herausgelacht war. Dazu hatte sich die mir zur Gewohnheit gewordene Verachtung der Gefahr und des Todes gesellt und später der gänzliche Mangel an Gelegenheit, mit irgend einem anderen Wesen meines Gleichen zu verkehren und irgend etwas Gutes oder zum Guten Führendes zu hören.
So weit entfernt von allem Guten war ich gewesen, so ohne jeden Begriff von dem, was ich war und was ich sein sollte, daß ich bei den wunderbarsten Errettungen, die ich erfahren, wie z. B. bei meiner Flucht von Saleh, bei meiner Aufnahme auf dem portugiesischen Schiffe, bei dem Gelingen meiner Unternehmungen in Brasilien, bei dem Eintreffen meiner Ladung aus England u. s. w., nicht ein einziges Mal ein »Gott sei Dank!« auch nur gedacht, geschweige denn ausgesprochen hatte. Auch in der allergrößten Noth war es mir nie eingefallen, ihn anzurufen oder auch nur zu sagen: »Herr erbarme dich meiner!« Nein, nicht einmal den Namen Gottes hatte ich in den Mund genommen, es sei denn, um dabei zu fluchen oder ihn zu lästern.

Viele Monate hindurch war meine Seele schwer bekümmert gewesen, wenn ich über mein früheres böses und verstocktes Leben nachgedacht, wenn ich um mich geblickt und die besondere Fügung betrachtet hatte, die seit meiner Ankunft an diesem Orte über mir waltete, und wenn ich erwog, wie reich mich Gott mit Wohlthaten überschüttet hatte. Hatte er mich doch nicht nur gelinder gestraft, als meine Sünden verdienten, sondern auch noch überreichlich für mich gesorgt. Dieser Umstand bestärkte mich auch in der Hoffnung, daß meine Reue angenommen sei, und daß Gott mir Gnade geschenkt habe.

Solche Betrachtungen führten mich nicht allein zu einer völligen Ergebung in den Willen Gottes und alle seine Schickungen, sondern sogar zu einer aufrichtigen Dankbarkeit für meine gegenwärtige Lage. Ich erkannte nun klar, daß ich mich nicht beklagen dürfte, da mir ja das Leben geschenkt und ich nicht einmal nach Verhältniß meiner Sünden gestraft worden sei, daß ich so viele Wohlthaten genieße, die ich an diesem Orte nicht erwarten durfte.

(aus: Daniel Defoe, Robinson Crusoe, übersetzt von Karl Altmüller, Leipzig 1869, Kap. 7) Projekt Gutenberg

Baustein: Strukturskizze

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 26.12.2023

    
   Arbeitsanregungen:
  1. Arbeiten Sie heraus, wie Robinson Crusoe seine Lage und Entwicklung nach vierjährigem Inselaufenthalt einschätzt.

  2. Untersuchen Sie dabei, worauf er sein „Durchhaltevermögen“ zurückführt.

  3.  Zeigen Sie auf, welche aufklärerischen und kultur- bzw. zivilisationskritischen Überlegungen Robinson anstellt und beurteilen Sie diese Kultur- bzw. Zivilisationskritik.

 
 
 

 
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