▪ Plausible Muster der
Alltagsargumentation (Kienpointner 1996)
▪
Modelle der kritischen
Argumentation
und Diskussion
▪
Überblick
▪
Idealmodell
der vernünftigen Argumentation
(Habermas)
▪
Regeln für
vernünftiges Argumentieren
Vernunftorientierte
Argumentation ist unserem gängigen Verständnis nach rational, d. h. sie
orientiert sich an allgemein anerkannten Mustern des Denkens und steht,
zumindest prinzipiell, auf der Grundlage der Logik.
Wenn Menschen allerdings weder
die Fähigkeit noch die Bereitschaft haben, sich mit Argumenten
"vernünftig" und rational miteinander auseinanderzusetzen, oder wenn die gesellschaftlichen Verkehrsformen diese Form kommunikativer
Problembewältigung strukturell nicht fördern" (vgl. Kopperschmidt
1989, S.15), dann beißen auch die vernünftigsten Argumente auf Granit.
Mehr noch:
Dass "gute" Argumente einfach
so ▪ überzeugen können, hängt
also nicht allein vom guten Willen
der Beteiligten ab, sich auch auf andere Argumente einzulassen.
Die vermeintlich besseren Argumente wirken nicht wie rhetorische
Vektoren
Es ist, wie der Psychologe
Robert G.
Abelson (1986) feststellt, geradezu naiv zu glauben, dass plausible
Argumente oder Begründungen "wie rhetorische Vektoren (wirken), die
Überzeugungen in ihre Richtung bewegen."
Und auch der Gedanke, dass die
andauernde Wiederholung einer Vielzahl von Argumenten echte Überzeugungsarbeit
leisten könne, sei mit den Erfahrungen, die wir immer wieder machten,
nicht in Einklang zu bringen.
Wer nämlich schon einmal versucht habe,
"Freunde und Bekannte von ihren scheinbar eigenartigen Bindungen an den
Glauben an UFOs, Astrologie, das Leben nach dem Tod,
Verschwörungstheorien der Politik oder was auch immer zu befreien", habe
sicher feststellen müssen, dass die "Flut vernünftiger Argumente (...)
auf völlig taube Ohren (stößt)."
Im Grunde zeigten alle Faktoren, die
bei der Überzeugungsarbeit von Bedeutung sind, dass auch gut begründete
Argumente weniger überzeugend wirken als die Person und Persönlichkeit
dessen, der sie vorbringt. Und oft wirken auch irrationale Momente mit
oder bestimmen sogar, was überzeugend wirkt und was nicht.
So bringt, wer sich heute mit Menschen auseinandersetzen will und Überzeugungsarbeit
bei jenen leisten will, die gängigen Mustern rechtspopulistischer
Argumentation, Verschwörungstheorien oder den sogenannten
▪
Stammtischparolen
aller Art folgen, sehr schnell in Erfahrung, dass es nicht um das
bessere Argument, im Sinne des besseren Wissens geht.
Auch die Vorstellung, dass die Anhänger rechtspopulistischer Positionen
einem mehr oder weniger geschlossenen rechten ideologischen System
folgen, führt hier nicht weiter. Gewöhnlich denken sie nämlich "nicht
viel über allgemeine politische Prinzipien nach und sie nehmen zu
bestimmten Themen nur dann Stellung, wenn diese sie persönlich
betreffen. Von Thema zu Thema neigen ihre Positionen dazu, inkonsistent
zu sein, statt von einer kohärenten politischen Weltanschauung
zusammengehalten zu werden, die sie deutlich artikulieren können." (Stanovich 2020a)
Wer sich seine Informationen zu den ihn interessierenden Fragen einfach
so zusammensucht, ist natürlich ein anderer als der- bzw. diejenige, die
sich "berufsmäßig" mit Politik befassen, meistens "tief in Politik
involviert und/oder extrem hochgebildet sind und sich ständig in
hochkarätige Medienquellen vertiefen." (ebd.)
Vielleicht hilft
▪
subversives
Argumentieren, mit dem "psychische
Verspannungen und Fixierungen" unter Umständen so gelockert werden
können, "dass die Dinge vielleicht auch anders sein oder anders gesehen
werden können"
(Schleichert 1997).
Ob es allerdings wirklich "die Verengung des
Blickes" (ebd.) aufheben und lehren kann, "Ideologie von außen zu betrachten"
(ebd.),
wenn "man oft einfache Erklärungen an die Stelle von Wundern und Mythen"(ebd.)
setzt und "Unmenschlichkeit beim Namen (nennt), statt sie mit einem
religiösen oder ideologischen Schleier zu überdecken" (ebd.), ist zumindest
zweifelhaft.
Die alltäglich gewordene kognitive Verzerrung: Das
Meine-Seite-Denken
Wer die Möglichkeiten und
Grenzen vernunftorientierter Argumentation "vernünftig" einschätzen
will, kommt nicht umhin, sich auch mit bestimmten ▪
kognitiven Verzerrungen, die unser
alltägliches Handeln in vielen Bereichen maßgeblich bestimmen, und ▪
Problemen der moralischen Argumentation sowie ihren
gesellschaftlichen Folgen zu beschäftigen.
In den extrem
polarisierten Gesellschaften, wie wir sie heute immer wieder auf der
Welt erleben, sehen wir uns einer Situation gegenüber, die eine
vernunftorientierte Verständigung zwischen den Lagern immer stärker
verunmöglicht.
Ins Zentrum der
Aufmerksamkeit rücken daher mehr und mehr die Prozesse dieser
"Lagermentalität". Und dabei geht es weniger darum, welches Lager recht
hat oder um die vermeintlichen Folgen einer katastrophalen
gesellschaftlichen Abkehr vom Konzept der Wahrheit (vgl.
Stanovich 2020),
sondern um die wachsende Bedeutung
kognitiver »Verzerrungen (cognitive bias), insbesondere dem
sogenannten ▪ Meine-Seite-Denken (Myside
thinking).
Unsere Neigung zu ▪
kognitiven Verzerrungen verschiedener Art ist wissenschaftlich in
zahlreichen Experimenten und Studien belegt. Dabei können gewöhnlich in
einem Bereich mehr und in einem anderen Bereich weniger zu solchen
Verzerrungen tendieren.
Neben anderen
Verzerrungen steht vor allem das ▪
Meine-Seite-Denken (Myside-Bias) (Stanovich
2021) dem Ideal ▪ vernunftorientierter
Argumentation entgegen, das letzten Endes in argumentativen
Auseinandersetzungen auf das bessere Argument vertraut.
Zugleich ist es
wohl der maßgebliche Grund dafür, dass die kognitiven Schemata, mit
denen wir ansonsten durch ▪
Wissenszuwachs, ▪
Feinabstimmung, ▪
Umstrukturierung
und ▪
Integration die nötigen Anpassungen an die Realität vornehmen, sich
nur noch im sozialen Rahmen eines bestimmten "Lagers" "weiterentwickeln"
und Informationen, die von unserer sozial konstruierten Normalität
abweichen, überhaupt nicht mehr wahrgenommen werden.
Wenn
Stanovich (2020)
im ▪
Meine-Seite-Denken (Myside thinking) ein
allgemeines gesellschaftliches Phänomen sieht, müssen aber auch die
"gesellschaftlichen Verkehrsformen" (Kopperschmidt
1989, S.15), die dem vernunftorientierten Argumentieren im Weg stehen,
in den Blick genommen werden.
In jedem Fall ist das Meine-Seite-Denken ein allgemeines
gesellschaftliches Problem und zugleich handelt sich um eines der am
weitesten verbreiteten und universellsten kognitiven Vorurteile
überhaupt. (vgl.
Stanovich 2020;
S.3)
Für
Stanovich (2020,
S.2) stellt sich das Phänomen in aller Kürze wie folgt dar: "Menschen
bewerten Beweise, generieren Beweise und testen Hypothesen auf eine Art
und Weise, die sich an ihren eigenen früheren Überzeugungen, Meinungen
und Einstellungen orientiert."
Bemerkenswert ist dabei
vor allem, dass sich der sogenannte Myside-Bias mit seinen
▪ typischen Merkmalen nicht auf Personen beschränkt, die
bestimmte kognitive, soziale oder demografische Merkmale aufweisen.
Weder Intelligenz, Bildung oder soziale Stellung verhindern eine solche
Voreingenommenheit oder legen der Grad ihrer Ausprägung fest. (vgl. Stanovich
2021, Preface und Chapter 5:The Myside Blindness of Cognitive Elites,
S.106
Kindle-Version). Das Meine-Seiten-Denken gibt es eben nicht nur bei
bildungsfernen oder weniger gebildeten Personen, sondern ▪
auch bei den kognitiven Eliten. Allerdings:
Die kognitiven Eliten wollen dies gewöhnlich nicht wahrhaben.
Ihnen geht es wie allen anderen eben auch: Sie glauben, dass zwar ihre
politischen Gegner (wissenschaftliche) Fakten nicht anerkennen,
schließen dies für sich aber gänzlich aus. Allerdings glauben sie auch
nicht, das alles, was in den Medien an Informationen präsentiert wird,
Fake News darstellen, sondern nur die, welche von ihren politischen
Gegnern stammen.
So legen alle miteinander Wert auf Wahrheit und Fakten – aber nur, wenn
sie die eigenen Ansichten stützen. (vgl.
ebd., S.
IX)
▪ Plausible Muster der
Alltagsargumentation (Kienpointner 1996)
▪
Modelle der kritischen
Argumentation
und Diskussion
▪
Überblick
▪
Idealmodell
der vernünftigen Argumentation
(Habermas)
▪ Regeln für
vernünftiges Argumentieren
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
17.12.2023
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