Argumentieren ist ein
zentraler Gegenstand des Deutschunterrichts auf allen Jahrgangsstufen.
Es wird in vielfältigen Lehr- und Lernprozessen entweder ausdrücklich
zum Gegenstand des Unterrichts oder wird im Zusammenhang mit der
Entwicklung von Kompetenzen in allen Bereichen, in denen es um die
mündliche Kommunikation mit seinen Facetten von Sprechen und Zuhören
oder um das argumentierende Schreiben geht, ein zentraler Bezugspunkt.
Dabei geht es stets um argumentative Kompetenzen.
Die ▪
KMK-Bildungsstandards für das Fach Deutsch betonen in verschiedenen
Kompetenzbereichen die herausragende Bedeutung des Argumentierens.
-
So sollen die
Schülerinnen und Schüler in den ▪
KMK-Bildungsstandards
im Fach Deutsch für den Ersten (ESA) und den Mittleren Schulabschluss
(MSA) (23.06.22) im Bereich Sprechen und Zuhören,
in dem Sprechen als soziales Handeln verstanden wird, "eine
demokratische Gesprächskultur" entwickeln, "die von aufmerksamem
Zuhören und respektvollem Gesprächsverhalten geprägt ist." Dabei
sollen sie in allen Kernbereichen dieses Kompetenzbereichs (Zu
anderen sprechen, Verstehend zuhören, Mit anderen
Sprechen) "auf gelingende Kommunikation und damit auch auf die
Wirkung ihres sprachlichen Handelns" achten und in unterschiedlichen
Gesprächen "kommunikative Funktionen wie erzählen, informieren und
argumentieren (realisieren)". Sie sollen dabei u. a. mit Blick
auf Adressaten und Ziele situationsangemessen kommunizieren und
unter dieser Maßgabe erzählen, informieren, argumentieren und
erörtern und appellieren können (ebd.
S.15f.) Im Kompetenzbereich Schreiben sollen sie eigene
Positionen formulieren und begründen und sich mit den
Positionen anderer auseinanderzusetzen. (vgl.
ebd.
S.21) Im Kernbereich Texte formulieren sollen sie u. a. "mit
einem Spektrum unterschiedlicher Textsorten grundlegende
kommunikative und personal- heuristische Schreibfunktionen" wie z.
B. beim Appellieren argumentieren können (vgl.
ebd.
S.25) Im Kompetenzbereich Lesen sollen sie im Kernbereich
Sich mit Texten und anderen Medien auseinandersetzen zentrale
Textmuster wie Erzählen, Berichten, Beschreiben und Argumentieren
unterscheiden können (vgl.
ebd.
S.32) und sollen "informierende, erzählende und appellierende
Elemente in Texten" (ebd.
S.35) unterscheiden können.
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Auch in den »KMK-Bildungsstandards
im Fach Deutsch für die Allgemeine Hochschulreife (KMK,
18.10.2012) (Abk. BISTA-AHR-D 2012)
nimmt das Argumentieren in den verschiedenen ▪
Kompetenzbereichen
eine zentrale Bedeutung ein. So werden u. a. Bildungsstandards
für das ▪
erklärende und argumentierende Schreiben festgelegt und die
Bedeutung des Argumentierens bei der Auseinandersetzung mit
literarischen und pragmatischen Texten betont. Und im Rahmen der bei
der Beurteilung schriftlicher Prüfungsleistungen im Abitur geltenden
Maßstäbe für die Gesamtwürdigung der erbrachten Leistung (vgl.
ebd., S.26f.) besitzt die "argumentative Begründung eigener
Urteile, Stellungnahmen und Wertungen" (vgl.
ebd., S.27) neben anderen Aspekten besonderes Gewicht.
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Unstrittig ist die
herausragende Rolle der Sprech- bzw. Texthandlung des Argumentierens in
der Fachdidaktik. Und im Deutschunterricht ist Argumentieren in gewisser
Weise "Alltagsgeschäft" in den Bereichen von mündlicher und
schriftlicher Kommunikation. Die jeweiligen Besonderheiten des ▪
mündlichen und des schriftlichen Argumentierens
zeigen sich dabei in unterschiedlichen Lernarrangements und
Aufgabenstellungen, können aber auch immer wieder so aufeinander bezogen
werden, dass schriftliches und mündliches Argumentieren sich beim Aufbau
einer allgemeinen Argumentationskompetenz gegenseitig fördern.
Argumentieren stellt
dabei eine sehr komplexe Sprech- bzw. Texthandlung dar, die je nach
Niveau umfangreiche kognitive Operationen verlangt (vgl.
Ludwig/Spinner 2000, S.16-22). Während alltagssprachliches
Argumentieren uns einfach über die Lippen kommt, ist eine reflexive
Sicht auf das, was beim Argumentieren geschieht, eine durchaus
komplizierte Angelegenheit. Dass es für das Argumentieren weder eine
allgemein anerkannte Didaktik gibt noch ein "ein empirisch fundiertes
Kompetenzmodell, das die Entwicklungsstufen der Argumentationsfähigkeit
beschreiben würde" (Spinner
2007, S.22) ist schon lange festgestellt worden.
Dementsprechend ist die
schulische Praxis schon seit jeher ein Exerzierplatz für
unterschiedliche Konzepte, Ansätze und vielfältige Übungsformen.
Grundsätzlich gehört das Argumentieren in den Bereich der medialen
Mündlichkeit als auch der konzeptionellen Schriftlichkeit. Dabei ist es
gerade bei vielen Formen, bei denen mündlich argumentiert wird, auch so,
dass eine mehr oder weniger umfangreiche bzw. detaillierte schriftliche
Planung den argumentativen mündlichen Äußerungen vorausgeht. Die Frage,
wie man das schriftliche Argumentieren lernt, ist dabei auf verschiedene
Art und Weise beantwortet worden.
Eine Möglichkeit ist
es, die komplexe Handlung des Argumentierens in Teilhandlungen zu
zerlegen und damit bestimmte Teilkompetenzen zu fördern. Dafür stehen
Zuordnungs- und Sortieraufgaben, textbezogene Einsetz- und
Ordnungsaufgaben und direkt kontroversenbezogene Setting gestalten.
(vgl. Feilke
2010a, S.159f.) Im Anschluss an Forschungsberichte Ende des vorigen
Jahrhunderts stellt
Feilke (2010a)
hierzu die nachfolgende Elemente zusammen:
Zuordnungs- und Sortieraufgaben |
Textbezogene Einsetz- und Ordnungsaufgaben |
Direkt
kontroversenbezogene Settings |
-
Finden
und Auswählen von geeigneten Argumenten zu einer These
-
Ordnen
und Hierarchisieren von Argumenten zu einer These
-
Sortieren
von Pro- und Contra-Argumenten
|
-
Einsetzen
vorgegebener argumentativer Konjunktionen in einen Texte
-
Ersetzen
falsch eingesetzter Konjunktionen in einem Text
-
Rearrangierung der zerlegten Elemente eines kontroversen
Textes
|
-
Alpha-Omega-Verfahren (Vorgabe des ersten und letzten
Satzes)
-
Informationen über den kontroversen Status des Themas,
Streitfiktion
-
Freies
Schreiben zu einer These oder Forderung
|
Gemeinsam ist allen
diesen Verfahren, dass sie den Kontext, in dem das Argumentieren erlernt
werden soll, vorgeben und dass sie auch komplexe Teilkompetenzen schul-
und lernbar machen. Allerdings geht diese gemeinhin als besonders
effizient geltende Instrumentalisierung der Kontexte auf Kosten
authentischer Lernsituationen, die nach dem Ergebnis anderer Studien
weitaus entscheidender für den Erwerb von Argumentationskompetenz zu
sein scheint. Kontexte, in denen die Schülerinnen und Schüler ein
eigenes Anliegen argumentativ vertreten können, sind gegenüber
vorgegebenen "Trockenübungen" also stets im Vorteil. (vgl.
ebd.,
S.161f.)
Natürlich sind auch die
Zeiten dahin, da man sich ganz im Sinne des klassischen
Rhetorikunterrichts darum bemühte, das Repertoire der Beredsamkeit,
neben, gleichberechtigt und oder in das System der Philosophie
integriert, mit dem Anspruch zu lehren, dass Welt ohne sie wohl
kaum zu verstehen und zu kommunizieren sei.
Die wissenschaftliche
Disziplin der Rhetorik, die in allen Nationalkulturen seit den 1930er
Jahren in einem stetigen Niedergang begriffen war, erhielt in
Deutschland im Anschluss an die amerikanische Forschung auf diesem
Gebiet seit Beginn der 1960er Jahre neue Impulse.
So habe, wie
Gert Ueding betont, seit dieser Zeit der wachsende Anspruch einer mündigen Gesellschaft auf
Information und die Durchsichtigkeit aller Entscheidungsprozesse einen zunehmenden Bedarf an Rhetorik in sämtlichen Bereichen der
Wissenschaft erzeugt. Dabei seien vor allem
fünf Tendenzen zu
verzeichnen.
Im Bereich der
Literaturwissenschaft sind dabei vor allem die nachfolgenden Tendenzen
wichtig geworden und haben zum Teil auch ihren Niederschlag in der
Literaturdidaktik gefunden.
-
Dabei spielte die
historische »Topik
von »Ernst
Robert Curtius (1866-1956) eine herausragende Rolle. In seinem
Werk "Europäische
Literatur und lateinisches Mittelalter" (1948) gelang ihm der
Nachweis, dass es eine Kontinuität zwischen antiker,
volkssprachlicher mittelalterlicher und neuzeitlicher Literatur
gibt. Gezeigt wird dies an den sogenannten Topoi, die
bestimmte Gedankenmuster
darstellen, welche, auch wenn sie von einzelnen Autoren umgeprägt
wurden, über die Jahrhunderte hinweg tradiert worden sind. Die
sogenannte »Topik
entwickelt sich aus diesem an den Autoren nachgewiesenen
literarhistorischen Phänomen und wird damit auch zu einem wichtigen
philologischen Mittel der Interpretation. (vgl.
Ueding 2000)
-
In der rhetorischen
Textinterpretation von »Heinrich Lausberg
(1912-1992) (u. a.
Handbuch
der literarischen Rhetorik, 1960) findet sich eine weitere
literaturwissenschaftliche Adaption der Rhetorik. Sie geht davon
aus, dass die europäische Literatur in der lateinischen Literatur
eine gemeinsame Basis hat und sie daher mit gleichen Maßstäben
allgemein interpretiert werden kann. Fokussiert vor allem auf die ▪
elocutio, d. h. die sprachliche Gestaltung eines Textes, geht er
von einer unmittelbaren Wirkung rhetorischer Formen aus, die man im
Einzelnen nicht kennen muss, um diese Wirkung zu erfahren. Als
Literaturwissenschaftler dient die Kenntnis und die Fähigkeit zur
Anwendung rhetorischer Gestaltungsmöglichkeiten als Mittel, Texte
auch mit ihrem Epochenbezug zu interpretieren.
-
Einen großen Einfluss
auf die Literaturwissenschaft hat auch die Figurenlehre von »Jean
Dubois (1920-2015) (u. a.
Allgemeine Rhetorik, 1974) und »Heinrich F. Plett (geb. 1939)
(u. a.
Textwissenschaft und Textanalyse 1975).
Für den Deutschunterricht
allgemein bzw. die Sprachdidaktik sind Tendenzen wichtig geworden, die
sich im Anschluss an die Entwicklung einer Rhetorik der Massenmedien und der Werbung
mit psychologischem Schwerpunkt ergeben haben. (z. B. "New Rhetoric" in den USA).
Ebenso wichtig geworden
ist aber auch die "Wiederherstellung der traditionell
fächerübergreifenden Konzeption der Rhetorik in ihrem umfassenden
Verständnis als Bildungssystem wie auch gleichzeitig als Theorie
wirkungsbezogener menschlicher Kommunikation, die in der Angewandten
Rhetorik ihre Praxis findet ("Tübinger Rhetorik")" (Ueding)
Sie zielt darauf, kommunikative Probleme mit dem "rhetorischen Besteck"
zu analysieren und zu interpretieren und bei der Analyse pragmatischer
Texte und der Textinterpretation zu verwenden. Auf dem Hintergrund der
rhetorischen Analyse sollen sprachliche Äußerungen in ihrer
Abhängigkeit von ihren Entstehungsbedingungen und ihren
Wirkungsabsichten verstanden und bewertet werden.
Zudem spielen auch
Elemente eine Rolle, die dem breiten Feld der Populär-Rhetorik
entstammen, mit denen meist im Kontext von Ratgebern, in
Verkaufstrainings oder Manager-Trainings u. ä., aber auch zur
Optimierung der Alltagskommunikation "meist auf niedrigem
wissenschaftlichem Niveau rhetorische Sozialtechnologie betreiben." (Ueding)
Geht es heute um Rhetorik, beschränkt sie "sich zum größten Teil und in
Einseitigkeit auf die pragmatische Gebrauchsrhetorik des (Sich-)Verkaufens
und gelegentlich auf die Eristik im Jobkampf." (Kolmer/Rob-Santer
2002, S.35) Verkauft wird, was "rednerische Vervollkommnung" und
eine "selbstsichere, freie, produktive Persönlichkeit" verspricht und
das mit ein paar einfachen Regeln und angeblich an einem einzigen
"Rhetorik-Wochenende". (vgl.
ebd.)
Argumentieren hat dabei viele Aspekte und wer sich damit beschäftigt, kann
ganz unterschiedliche Zugänge zum Thema wählen. Neben wissenschaftlichen
Beschäftigungen mit dem Thema Argumentation gibt es auch eine ganze Flut von
Ratgebern auf Papier, Tonträgern, Video und im Internet, die den Menschen
Wege zur "richtigen" oder erfolgreichen Argumentation aufzeigen wollen. In
einer individualisierten Gesellschaft, wo sich der einzelne glaubt gegenüber
den anderen allerorten durchsetzen zu müssen, kommt somit der Fähigkeit,
sich erfolgreich in Auseinandersetzungen über etwas Strittiges ein besonders
hoher Stellenwert zu.
Der teachSam-Arbeitsbereich Argumentieren greift das umfangreiche Thema
Argumentation von einer Vielzahl von Seiten und Perspektiven ohne den
Anspruch einer wissenschaftlich irgendwie erschöpfenden Darstellung genügen
zu wollen oder zu können. Was er aber zeigt, ist das Bemühen, sich den
zahlreichen Facetten des Argumentierens zu nähern und diese für die
Kommunikation im Alltag, in Schule und Beruf zumindest verfügbar zu machen.
So stehen manche Bereiche einfach auch nebeneinander und die Nutzer müssen
selbst entscheiden, ob sie sich mit dem Thema in dieser oder jener Form
beschäftigen wollen.
Dass dabei Zuordnungs- und Sortieraufgaben, textbezogene Einsetz- und
Ordnungsaufgaben und direkt kontroversenbezogene Setting im Vordergrund
stehen und keine aktuellen Problemlagen, die Schülerinnen und Schüler zu
argumentativen Handlungen motivieren können, versteht sich - fast - von
selbst, auch wenn immer wieder mit Materialien der Versuch unternommen wird,
Anschluss an die lebensweltlichen Probleme von Schülerinnen und Schülern zu
finden.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
15.01.2023