▪
Diskutieren
▪
Didaktische und methodische Aspekte
▪ Überblick
▪
Merkmale der
Redekonstellation
▪
Partnerorientierung: Wie stellt man sich auf einen
Diskussionspartner ein?
▪
Partnertaktische Ziele
▪
Rede- bzw. Diskussionsbeitrag
▪
Diskussionsleitung
▪
Bausteine
▪
Zuhören
▪ Nichtpartnerschaftliches Argumentieren: Sieg-Niederlage-Modell ▪
Realistische Anforderungen an
Alltagsargumentationen ▪
Was man beim partnerschaftlichen
Argumentieren unterlassen sollte (Standards
der Argumentationsintegrität)
Darauf kommt es beim Sachlichkeitsgebot an
Eine
der ▪ Regeln für vernünftiges Argumentieren,
die von Manfred
Kienpointner (1996, S.38ff.) im Anschluss an
Eemeren und Grootenhorst (1984,
1992) zusammengestellt werden, befasst sich mit der Frage der
Sachlichkeit von Argumenten.
In vielen
▪ Diskussionen halten die
Kontrahenten einander vor, dass sie nicht sachlich blieben, sondern
sich von ihren Gefühlen treiben ließen oder Gesichtspunkte
vorbrächten, die mit der (eigentlichen) Sache gar nichts zu tun
hätten, für die Sache bzw. Angelegenheit um die es geht irrelevant
seien. Sie berufen sich dann im Kern auf das sogenannte Sachlichkeitsgebot:
Wer
argumentiert, sollte versuchen weitgehend sachlich zu bleiben.
Gründe, die mit der Sache nichts zu tun haben, Appelle an
Gefühle und das Berufen auf irgendwelche Autoritäten sollten
außen vor bleiben. |
Was
aber letzten Endes sachlich und relevant ist, ist so einfach nicht
zu sagen und hängt von etlichen Faktoren ab, neben bestimmten
Anforderungen auf der Sachebene eben auch von der
Kommunikationssituation, der Beziehungsebene zwischen den
Kommunikationspartner*innen und ihren jeweiligen psychischen und
kognitiven Dispositionen.
Wann
z. B. der Ausdruck von
Emotionen als unsachlich angesehen wird, ob die Berufung auf den
Glauben als irrelevant zurückgewiesen wird oder die Berufung auf (bestimmte)
wissenschaftliche oder sonstige
Autoritäten (▪
Argumente aus der Autorität)
begründet oder rundherum
abgelehnt werden (z. B. von sogenannten
Wissenschaftsleugnern), ist in der kommunikativen Praxis oft nicht
einfach zu sagen und über ihre Akzeptanz lässt sich auch vielfach
kein Einvernehmen herstellen. Wer darüber miteinander in Streit
gerät, muss also zunächst einmal miteinander klären, was unter
welchen Bedingungen als relevant anerkannt werden soll.
Auf der Sachebene betrachtet lässt sich Sachlichkeit
und Relevanz auch nur sehr allgemein beschreiben. So kann man sagen,
-
dass
der inhaltliche Zusammenhang, aus dem bestimmte Folgerungen
gezogen werden, und nicht über die Maßen weit hergeholt sein
sollten
-
dass
man mit dem, was man dazu sagt, auch wirklich seinen Standpunkt
verteidigt und nicht einen anderen
-
dass
die Position, die man vertritt, zumindest ▪
plausibel gemacht werden kann
(vgl.
Kienpointner 1996, S.38)
Sachlichkeit ohne Emotionen?
Der
Ausdruck von Emotionen beim Argumentieren in privaten und
öffentlichen Diskussionen wird oft als unsachlich abgetan. Sie unter
Kontrolle zu halten und, wenn sie zum Vorschein kommen, nur rational
"begründet", z. B. zur Verstärkung der Einflussnahme, einzusetzen,
gilt vielen als Ideal im Umgang mit Emotionen in argumentativen
Auseinandersetzungen. Aber: der Ausdruck von Gefühlen beim
Argumentieren und das Gebot der Sachlichkeit als Gegensätze zu
verstehen, geht an der Realität vorbei. ▪
Emotionen wirken sich nämlich auf unser
gesamtes Handeln und Verhalten aus.
Die
Abwertung von Gefühlen war in der europäischen Antike und im
Mittelalter unter den Denkern der Zeit Konsens. Ihnen schob man
entweder die Verantwortung für alles Leiden auf der Welt zu oder
stellte sie als mit aller Macht zu bekämpfenden Widersacher der
Vernunft dar. In der deutschen
▪
Aufklärung ging
▪
Immanuel Kant (1724-1804)
sogar so weit, Gefühle mit einer Geisteskrankheit zu vergleichen. Kein
Wunder, dass er das Emotionale abgrundtief verachtete (vgl.
Ulich/Mayring 1992, S.18f.)
Danach bestimmte die klassische Affektenlehre
bis ins 20. Jahrhundert hinein, die Vorstellungen über Gefühle. Auf ihrer
Grundlage sollte die Moral den Sieg über die Leidenschaften
davontragen. Lange Zeit, bis in die zweite Hälfte des 20.
Jahrhunderts hinein, stellten also die Kontrolle und die Beherrschung von
Gefühlen einen maßgeblichen kulturellen Leitwert dar, der erst
nach und nach seine überragende Bedeutung verloren hat.
Heute
wird die Bedeutung von Gefühlen wohl nicht mehr ernsthaft
bestritten. Und in der neueren Emotionspsychologie geht man auf der
Grundlage neurobiologischer Erkenntnisse davon aus, dass Emotion und
Kognition nicht unabhängig voneinander funktionieren können (vgl.
Ulich 1989, S. 27,
Coleman 1997,
S.48). Verstand und Gefühl, die früher, von wenigen Ausnahmen
abgesehen, überhaupt nur getrennt voneinander "gedacht" wurden,
haben neurologische Untersuchungen inzwischen als Einheit von
Verstand und Gefühl nachweisen können. Verstand und Gefühl,
Rationalität und Emotion, ergänzen einander und in ihrem
Wechselspiel lenkt das emotionale Vermögen, mit der rationalen
Seele Hand in Hand arbeitend, unsere [.. ] Entscheidungen. Umgekehrt
spielt das denkende Gehirn eine leitende Rolle bei unseren
Emotionen." (Coleman
1997, S.48)
Wenn
Emotionen im Dienste des Interessenausgleichs stehen, können sie
jedenfalls "durchaus in weiteren Sinne relevant [...] sein, weil sie
ein positives Gesprächsklima schaffen, das für den
Interessenausgleich förderlich ist" (Kienpointner
1996, S.43)
Emotionen, die keine solche positive Wirkung entfalten, sollten
zumindest nicht weiter geschürt werden, sondern der Versuch
unternommen werden, "die emotionale Atmosphäre durch abschwächende
Formulierungen und vorsichtiges Ausdrücken von Gefühlen nicht weiter
anzuspannen." (ebd.)
An Emotionen appellieren?
Emotionen in der Kommunikation zeigen ist das eine, an die Emotionen
des anderen appellieren, um bestimmte Interessen, die mit
"vernünftigen" Argumenten kaum plausibel gemacht werden könnten,
aber das andere. Wer dies tut, folgt dem, was wir andernorts als ▪
nichtpartnerschaftliches Argumentieren auf
der Basis eines Sieg-Niederlage-Modells bezeichnet haben.
Sachargumente und Argumente "ad X"
Im
Zusammenhang mit dem Sachlichkeitsgebot werden meistens vier
"Trugschlüsse" genannt, die der sachlichen Argumentation
entgegenstehen. Sie gehen auf den britischen Philosophen der ▪
Aufklärung
»John Locke (1632-1704)
zurück. Er unterscheidet seriöse Sachargumente(argumenta
ad iudicium) , die rational überprüft werden können, einer Reihe
anderer Argumente (argumenta ad X),
die diese Bedingung nicht erfüllen und sich nur auf Wahrscheinliches
bzw. gar evident Falsches beziehen und eine Argumentation z. T.
demonstrativ ad absurdum führen." (Rädle, in:
Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. I A-G, 1997, S.131, )
Wer einem Kontrahenten verbal oder nonverbal droht oder ihn sonst wie
einschüchtern will, verlässt den Boden vernunftorientierter und
partnerschaftlicher Argumentation. Indem man damit Angst erzeugen will,
appelliert man an die Emotionen seines Gegenübers, ohne sich auf dessen
Argumentation einzulassen. Werden Drohungen explizit vorgenommen, dann
wird damit auch ziemlich unmissverständlich klargemacht, dass der weitere Fortgang der
argumentativen Auseinandersetzung vollkommen unsymmetrisch verlaufen
soll und der andere in seiner Redefreiheit eingeschränkt werden soll.
Beispiele:
"Ich kann Sie nur warnen, mit dieser Meinung kommen Sie bei uns
nicht durch." - "Auch wenn alle Kolleginnen und Kollegen hier meinen,
wir sollten die Verspätungen der Schüler konsequent ins Klassenbuch
eintragen, können Sie natürlich gerne eine Extrawurst braten, Herr
Müller!" - "Was mich anbelangt, habe ich echt kein Problem mit Ihrer
Meinung, aber ich würde das an Ihrer Stelle ansonsten nicht so laut
sagen."
Gegen das Sachlichkeitsgebot wird verstoßen, wenn man, statt auf die
Argumentation des anderen einzugehen, dessen
Argumentation kurzerhand dadurch abwertet, dass man persönliche
Eigenschaften oder Umstände des Gegners angreift. Da dieses Vorgehen
häufig vor einem Publikum stattfindet, zielt es als
argumentum ad populum darauf,
die grundsätzliche Glaubwürdigkeit des anderen in den Augen des Publikums
herabzusetzen.
In der ▪
formal-logischen
Analyse von Argumenten zählen solche ▪
Argumente gegen den Mann als ▪
induktive Argumente,
bei denen "die Prämissen die Wahrheit der Konklusion keineswegs garantieren,
sondern nur mehr oder weniger wahrscheinlich machen" (Bayer
1999, S.43.)
Nach
Walton (1998) kann man fünf verschiedene Arten von direkten Argumenten
ad hominem
unterscheiden, von denen jede sich auf einen angeblich
besonders angreifbaren Aspekt der Persönlichkeit des anderen richten.
(nach
Walton
1998)
So sehr
Beispiele:
a) Sie können doch nicht allen Ernstes behaupten, ... b) Wenn man
das, was du behauptest, mal ganz vernünftig unter die Lupe nimmt, ... c)
Wenn Sie selbst keine Kinder haben, wie wollen Sie dann dann behaupten,
... d) Ohne ein abgeschlossenes Studium der Volkswirtschaft können Sie
wohl die Folgen die Schuldenkrise wohl kaum abschätzen. d) Ihr Vorschlag
ist skrupellos.
Populistische Appellen richten
sich sich mehr oder weniger direkt an
die Zuhörer (populus = lat. Volk) und sollen den anderen dadurch in
Misskredit bringen, dass Emotionen appelliert wird, die die Stimmung
des Publikums aufheizen und gegen ihn
einnehmen sollen.
Beispiel: Die Anzahl der Flüchtlinge, die
in Deutschland ankommen, ist einfach zu groß. Wir können doch nicht die ganze
Welt bei uns aufnehmen.
Wer an das Gefühl des Mitleids appelliert, tut dies gewöhnlich in der
Absicht, zu verhindern, dass seine vorgebrachten Argumente nicht so
genau unter die Lupe genommen werden oder will Nachfragen dazu
unterbinden.
Allerdings
sind Appelle an das Mitgefühl in bestimmten Situationen durchaus
vernünftig, wenn man z. B. Argumente für eine bestimmte
Hilfeleistung, die auch im eigenen Interesse ist, mit dem Appell an
das Mitgefühl verstärkt. (z. B. Rettung von Flüchtlingen im
Mittelmeer). Trugschlüssig ist der Appell an das Mitleid aber in
jedem Fall, "wenn man zum Beispiel eine bestimmte Notlage nur
vortäuscht, um die Gesprächspartner zu überzeugen." (Kienpointner
1996, S.42)
Beispiele:
a) Man muss natürlich auch sehen, dass der Schüler die Unterschrift
seines Vaters gefälscht hat, weil er Angst vor seinen Eltern hat. b)
Kaum vorzustellen, dass ein Mensch, der sonst rundum o.k. ist, derart extreme
Positionen vertritt. c) Darauf gekommen bin ich wahrscheinlich nur, weil
ich so eine Wut im Bauch hatte.
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Zuhören
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Realistische Anforderungen an
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Was man beim partnerschaftlichen
Argumentieren unterlassen sollte (Standards
der Argumentationsintegrität)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
17.12.2023
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