In
der Typologie nach
O. W. Haseloff (1966,
1967, zit. n. W. Rehm
1976, S.102-105) stellt die ▪ moralische
Argumentation einen der vier ▪ Grundtypen der
Argumentation dar.
Wer
▪ moralisch argumentiert, beruft sich
danach auf verbreitete
Wertvorstellungen und Normen in der Gesellschaft. Ethisch vorbildlich und untadelig
erscheinende Personen oder Persönlichkeiten werden aufgeführt, um die eigenen Ansichten
zu legitimieren. Man appelliert damit beim Gegenüber an Gefühl und Anstand. So entsteht
ein großer "moralischer" Druck auf den Gesprächspartner, seine Meinung zu
wechseln.
Im direkten Gegensatz
dazu steht das ▪ rationale Argumentieren,
das auf nachprüfbare Tatsachen, auf die Überzeugungskraft von klaren
Daten (Zahlenangaben, Statistiken, etc.) setzt, um in einer
argumentativen Auseinandersetzung zu überzeugen. Dabei werden im
Idealfall in Form einer logischen Gedankenführung Alternativen zur
eigenen Meinung aufgezeigt, bewertet und ganz oder teilweise verworfen.
Rationale Argumentation, so die Annahme, spricht den Verstand an.
Wenn man sich bei
der moralischen Argumentation auf Moral- und Wertvorstellungen sowie
Normen der Gesellschaft beruft, kann dies im Rückgriff auf bestimmte
grundlegende moralische Prinzipien erfolgen.
Die
Moralphilosophie hat im Hinblick auf die
Grundfrage moralischen Argumentierens Unter welchen Umständen
ist eine Handlung moralisch richtig oder falsch? verschiedene
Antworten gegeben.
Dabei zielt sie
darauf,
Eine der Antworten
auf die oben dargestellte Grundfrage
lautet z. B.: "Eine Handlung ist dann und nur dann richtig, wenn
(und weil) die Handlung das Wohlbefinden derjenigen Individuen nicht
beeinträchtigt, die von der Handlung wahrscheinlich betroffen sind (Timmons
2013)." (zit. n.
Möhring 2021,
S.71).
Folgt man diesem
moralischen Prinzip, kann man aber ganz unterschiedliche Handlungen
rechtfertigen. So lässt im Rückgriff darauf "argumentieren, dass die
Benachteiligung von Menschen mit Behinderung aufgrund ihres Merkmals
moralisch falsch ist, da hierdurch das Wohlbefinden der Betroffenen
beeinträchtigt wird. Andererseits könnte man aus der Perspektive
arbeitgebender Personen aber auch argumentieren, dass durch die
Einstellung einer Person mit Behinderung gegebenenfalls das
Wohlbefinden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oder Kundinnen
und Kunden beeinträchtigt werden könnte." (Möhring
2021, S.70f.)
Basis der
moralischen Argumentation sind dabei grundlegende
Konzepte über das Richtige, das Gute und die Tugend, die als
Kategorien auch im Zentrum der Moralphilosophie stehen.

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Wenn wir im Alltag
moralisch argumentieren, tun wir dies meist ohne dass uns die
moralischen Prinzipien, nach denen wir handeln, unmittelbar bewusst
sind. Wenn wir z. B. sehen, dass ein Mensch von mehreren Personen ▪
gemobbt
wird, müssen wir nicht auf ein theoretisches moralisches Konzept
zurückgreifen, das uns sagt, dass dieses Verhalten nicht richtig
ist. Und den meisten ist klar, dass man etwas dagegen unternehmen
muss, auch wenn wir uns aus verschiedenen Gründen manchmal nicht
trauen, unmittelbar einzugreifen. (Frey/Schmalzried
2013)
Wir folgen dabei
intuitiv jenen Überzeugungen, die wir aufgrund unserer genetischen
Dispositionen und durch unser soziales Lernen im Verlauf unseres
Lebens herausgebildet haben, ohne dass diese Überzeugungen in einer
solchen Situation kognitiv erst abgerufen und mit den situativen
Faktoren abgeglichen werden müssen. Auch wenn es ein individuelles
Repertoire solcher Überzeugungen gibt, ist die Alltagsmoral, der wir
als Individuen folgen, im Allgemeinen der Alltagsmoral der anderen
Mitglieder einer Kultur relativ ähnlich, so dass in gewisser Weise
von einer Alltagsmoral
der Gesellschaft gesprochen werden kann. (Frey/Schmalzried
2013, vgl. (Möhring
2021, S.70f., Hervorh. d. Verf.)
Natürlich gibt es
aber auch Situationen, in denen diese Alltagsmoral uns keine
befriedigende Handlungsorientierung gibt. Wenn wir uns einer
Zwickmühle befinden oder mittendrin in
einem moralischen Dilemma
stehen, vermag, denen die dies können, der Rückgriff bzw. die
Auseinandersetzung mit philosophischen Moraltheorien unter Umständen
helfen, unterschiedliche Grundüberzeugungen gegeneinander abzuwägen
und zu gewichten, um das Dilemma aufzulösen.
Aber auch für
Fälle, wo unsere alltagsmoralische Intuition versagt, weil wir mit
etwas gänzlich, dazu vielleicht sehr komplexem Neuem konfrontiert
werden, können rationale Überlegungen im Zusammenhang mit
ausgearbeiteten moralphilosophischen Konzepten u. U. helfen, sich
über richtiges und falsches Verhalten oder das Gute klar zu werden.
Ob es also z. B.
richtig ist, als Mitwisser der Untreue eines engen Freundes,
gegenüber dessen Lebensgefährtin dicht zu halten, um damit zu
verhindern, dass diese, wenn sie es erfährt, darunter leiden würde,
oder einfach, aus Prinzip, dem pflichtethischen (deontischen)
Anspruch auf Ehrlichkeit zu folgen, ist eben nicht einfach zu
entscheiden.
Für derartige
ethische Alltagsfragen, die
einen immer wieder in ein moralisches Dilemma führen können, gibt es
viele Beispiele. »Jay
L. Garfield (geb. 1955) hat eine ganze Reihe solcher
Alltagsfragen ethisch erörtert, die von dem Online-Magazin für Ethik
und Achtsamkeit »Netzwerk
Ethik heute zusammengestellt werden, darunter z. B.:
-
Ist es okay, Texte von ChatGPT zu nutzen?
-
Soll man Bettlern etwas geben?
-
Gibt es Gründe, Kindern nicht die Wahrheit zu sagen?
-
Ist der Konsum von Pornografie unmoralisch?
-
Wie tolerant müssen wir gegenüber anderen Meinungen sein?
-
Ist es eine moralisch verwerfliche Täuschung, wenn man
"geschönte" Fotos von sich auf Instagram postet?
-
Darf man zusammen mit Rechtsextremen demonstrieren?
-
"Ich kann Verantwortung für Menschen in meinem Umfeld
übernehmen, aber für leidende Menschen, die ich gar nicht kenne
und die weit weg sind?”
-
"Wir im Westen müssen ärmer werden, denn es ist unmoralisch, so
viel zu besitzen, während andere arm sind." – Stimmt das?
-
Sollen homosexuelle Paare Kinder haben?
-
Dürfen wir in Länder reisen, in denen die Bevölkerung von der
Regierung unterdrückt wird?
-
Manchmal checke ich stündlich die Nachrichten, aber ich
unternehme nichts. Was nützt es eigentlich, die Ereignisse auf
der Welt zu verfolgen?
-
Wie begegne ich einem Menschen, der zum Beispiel
ausländerfeindliche oder sexistische Positionen vertritt?
-
Bin ich Teil der weltweiten Ausbeutung?