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Natürlich ist für einen waschechten Alpinisten im
Goretex-Outfit eine Wanderung zur »Saxer
Lücke, im Alpstein in der Nähe von Appenzell gelegen, keine
Herausforderung und bestenfalls dann eine Tour, wenn man am selben Tag
schon den »Säntis,
besser noch die »Rote
Wand oder den »Kilimandscharo
bestiegen hat. Gerade mal 1649 m hoch - der Kilimandscharo ist, das weiß
jedes Kind und wer es nicht weiß, googelt halt mal hin, mit offiziell
5.895 m Höhe genau 3,57 mal so hoch. Aber, wie schon »Heinrich
Heine in seiner »Harzreise treffend
geschrieben hat, kommt es beim Betrachten der Natur mehr auf die Liebe
an, und fehlt diese im Herzen des Beschauers, so mag das Ganze wohl
einen schlechten Anblick gewähren, und die Sonne hat dann bloß so und so
viel Meilen im Durchmesser, und die Bäume sind gut zum Einheizen, und
die Blumen werden nach den Staubfäden klassifiziert, und das Wasser ist
naß. So entzieht sich eben auch die Saxer Lücke jener
Staubfädengenauigkeit, wie andere Lücken eben auch. Und wahrscheinlich
hätte der legendäre »Nobby
Stiles, der bei der Fußballweltmeisterschaft 1966 für die
Engländer auflief, sich auch verbeten, wenn man seine umfangreichen
Zahnlücken (manche behaupten sogar, er habe überhaupt gar keine Zähne
mehr gehabt), so vermessen hätte. Für meinen Vater und meine Mutter
jedenfalls war ein Gebiss wie das von Nobby Stiles, genauer: jemand, der
kein Gebiss hatte, unmöglich. Mut zur Lücke in diesen Dingen war ihnen
ganz und gar fremd. Im Gegenteil: Mein Vater ließ sich auch die Zähne,
die schon die eine oder andere Lücke in seinem Gebiss säumten,
"abräumen", wie er sagte, um sich dann ein tadelloses, weil lückenloses
Gebiss mit Haftschalen einsetzen zu lassen, die immer abends, wenn die
Muskulatur im Mund erschlaffte, so in seinem Mund "schwammen", dass er
kaum mehr ein Wort herausbrachte. Inzwischen hat es die Zahnlücke
allerdings schon weit gebracht und hat das Stigma vergangener Tage -
kein Zahn, kein Geld, kein Gebiss - hinter sich gelassen. »Madonna
hat eine und »Elton
John, von
Satchmo ganz zu schweigen, Models wie »Lauren
Hutton, »Vanessa
Paradis und »Jessica
Hart zeigen sie ganz ungeniert und für »Abbey
Lee Kershaw gehört die verführerische Zahnlücke zu dem
niedlichen Lolita-Look, mit dem sie sich als Marke positioniert. So
kommt es denn wohl, dass so mancher steile Zahn von heute sich
erst mit einer gekonnt in Szene gesetzten Zahnlücke auf die Titelseiten
bringt. Allerdings hat, so scheint es, die Idealisierung der Lücke in
diesem Rahmen andere auf die Idee gebracht, Mut zur Lücke auch ganz
woanders zu beweisen. Dabei ist nicht gar nicht gemeint, wie man immer
schon, wenn eine Prüfung anstand, aus der Not eine Tugend machte: Der
Stoff war zuviel, die Zeit zu kurz, die Prüfer ohnehin Idioten und
können mich mal, also Mut zur Lücke. Heute heißt Mut zur Lücke längst
noch etwas anderes: »Gap
Year, die Lücke zwischen dem Ende des Studiums und der
Bereitschaft, sich auf dem Arbeitsmarkt eine dauerhafte Bleibe zu
suchen. Häufig wird eine solche Auszeit auch zwischen »Bachelor
und »Master
genommen. Nein, nichts für Herumtreiber, mitnichten. Einfach noch mal
was anderes machen, als Skilehrer am Arlberg oder auf der
»Harnas Wildlife Farm,
ein paar Hundert Kilometer nordöstlich von Windhoek in Südafrika, das pimpt, eigentlich
kaum zu glauben, den Lebenslauf auf, wenn man sich nach seinem
Gap Year beim Personalchef eines halbwegs modern denkenden
Unternehmens zum Vorstellungsgespräch einfindet. Vielleicht gehört ja
auch der zu den Backpackern vergangener Tage, die allerdings einfach so
durch die Welt reisten und trotz trüber Aussichten auf dem Arbeitsmarkt
Mut zur Lücke besaßen.
http://ichdiscours.wordpress.com/2012/03/24/mut-zur-lucke-2/,
24.03.2012
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
12.10.2017
Mut zur Lücke von Gert Egle ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.
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