Ein Analyseraster als Checkliste
Das so genannte Zürcher Textanalyseraster ist ein Instrument zur Untersuchung der in einem Text verwendeten sprachlich-textuellen Mittel.
Es kommt daher als eine Art "Check-Liste zur Überprüfung des
Textes" (Sieber
(Hg.) 1994, S. 142) Die Forschergruppe, die es entwickelte,
wollte mit ihm, "zu Einsichten in die Sprachfähigkeiten der jungen
Schreiberinnen und Schreiber gelangen" und dabei die von diesen
verfassten Texte als einen "Spiegel dahinterliegender Fähigkeiten" lesen
(Nussbaumer
1996, S.97) Für die unterrichtliche Verwendung war es nicht gedacht.
Dennoch hat es die Didaktik, insbesondere die Schreibdidaktik nachhaltig
beeinflusst.
Statt richtig und falsch - eine offene und fragende
Haltung bei der Analyse
Auf der Grundlage einer lernerorientierten Perspektive
auf die Textprodukte soll das Textanalyseraster als eine Art "Schablone
für die Textwahrnehmung" (Sieber
(Hg.) 1994, S. 149) fungieren, mit deren Hilfe es gelingen soll, die
Textprodukte "möglichst umfassend und systematisch, explizit und
reflektiert" (ebd.)
zu erfassen.
Anders ausgedrückt: "Das 'Zürcher Textanalyseraster' ist
(...) eine umfassende und detaillierte
Such- und Findeanleitung für alle sprachlich-textuellen Aspekte an
Texten und damit auch eine reiche und differenzierte Sprache im
Dienste des Redens über die sprachlich-textuelle Seite von Texten." (Nussbaumer
1996, S.97, Hervorh. d. Verf.) Dabei wird durch die Einnahme einer offenen, fragenden
rezeptiven Haltung der Blick nicht mehr wie üblich nur auf Mängel
gerichtet, sondern es werden auch (positive) Qualitäten eines Textes aufgezeigt.
Allerdings ist das Raster, wie auch
Nussbaumer
(1996, S.103) ausdrücklich einräumt, "für den Unterricht in der
vorliegenden Form sicher nicht geeignet." So hat vor allem der
"Geist" des Forschungsprojekts (ebd.),
der die Analyse von Schülertexten "vom Korsett von richtig
und falsch" befreit (ebd.,
S.100), auf die verschiedenen Konzepte eingewirkt, die das Raster
für unterrichtliche bzw. schreibdidaktische Zwecke, insbesondere
Kriterienkataloge, aufgegriffen und
weiterentwickelt haben (z.B.
Becker-Mrotzek 2003,
Birkel 2003,
Nutz 2003,
Baurmann
2002/2008,
Becker-Mrotzek/Böttcher 2006/2011)
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Lernerorientierung
Das Zürcher Textanalyseraster soll ein Instrument darstellen, um
"Einsichten in die Sprachfähigkeiten“ junger Schreiberinnen* zu erlangen und
versteht sich in diesem Sinne 'lernerorientiert'." (Nussbaumer
1996, S.97f.) Die "Lernerorientierung" wird dabei an acht Elementen sichtbar:
-
Der zugrunde gelegte
Textbegriff betont die (re-)konstruktive
Eigenleistung der Rezipienten beim Lesen und Verstehen von Texten,
die subjektive "Textverstehensarbeit“
im Rahmen einer größeren Sprachgemeinschaft und ihren Konventionen
und Mustern.
-
Die Textanalyse fußt auf der
gemeinsamen Verantwortung von Lesern
für die Textualität bzw. die Kohärenz eines Textes, die sich in
einem kooperativen verfahren darüber verständigen.
-
Ausgangspunkt der Analyse ist die Auffassung, dass auch der
Textproduzent grundsätzlich "in guter Absicht“ darum bemüht ist,
einen Text mit einem "Sinn" zu verfassen, der sich zur Kooperation
mit dem Rezipienten eignet. Dies kann allerdings mehr oder weniger
gut gelingen.
-
Bei der Textanalyse steht zunächst die Frage im Vordergrund, "wie
ein Text ist, bevor daraus die Frage wird, wie gut oder wie schlecht
ein Text ist“. (ebd.,
S.99) Dies ist Ausdruck einer offenen, fragenden reziptiven Haltung.
(vgl. ebd.)
-
Im Rahmen der Textanalyse werden
möglichst alle "sprachlich-textuellen
Aspekte" von Texten erfasst, die
nach bestimmten
Bezugsgrößen/Korrelaten,
nach ihrer sprachsystematischen und orthographischen Richtigkeit,
nach ihrer funktionalen Angemessenheit (Verständlichkeit/Kohärenz),
nach ihrer ästhetischen Angemessenheit (besondere formale Qualitäten)
und
nach ihrer
Inhaltlichen Relevanz (besondere inhaltliche Qualitäten)
erfasst werden.
-
Um den Lernenden ein "adäquateres Bild von den Normen, unter denen
schriftsprachliche Kommunikation, ja Kommunikation überhaupt,
stattfindet", (ebd.,
S. 100) vermitteln zu können, wird die Kategorie des Fehlers nur im
Bereich der sprachsystematischen und orthographischen Richtigkeit
verwendet, ansonsten nur mit den Kategorien mehr oder minder
angemessen gearbeitet. Dies soll Lernfortschritte fördern, weil
damit rückgemeldet wird, "was gelungen, was gut ist, was gefällt,
was offensichtlich gekonnt wird, worauf Lernen aufbauen kann." (ebd.)
-
Die Analyse des Textes soll die "sprachlich-textuelle Machart und
die Ebene des Gehalts" (ebd.)
so voneinander getrennt betrachten, dass "die unklare Formulierung
eines Gedankens (...) nicht notwendig die Formulierung eines
unklaren Gedankens" erscheint."
-
Bei der Beurteilung von misslungenen Texten ist nicht automatisch
auf mangelnde Sprachbeherrschung zu schließen. Stattdessen sollte er
als eine Textproduktion betrachtet werden, die aus letztlich nicht
geklärten Gründen nicht gelungen ist. (vgl.
ebd.)
Die Arbeit mit dem Raster
Bei der Arbeit mit dem Raster kommt es darauf an, solange als möglich
die Frage offenzuhalten, "wie ein Text ist", ehe man zur
Frage kommt, "wie gut oder wie schlecht ein Text ist." (Nussbaumer
1996, S.99) Diesen Maximen entspricht eine Vorgehensweise, die "den
Blick also so lange wie möglich auf Eigenheiten des Textes vor aller
Wertung und auch auf Qualitäten und nicht vorschnell nur auf Mängel
lenkt." (ebd.)
Das könnte - vor aller Wertung - wie folgt geschehen:
-
Erfassen Sie alle Auffälligkeiten des Textes.
-
Ordnen Sie die vorerst "neutral" erfassten Auffälligkeiten in das
Raster ein.
-
Notieren Sie Ihre Erstleseeindrücke und begründen und belegen Sie
diese dabei. (vgl.
Binder/Harrer 1998, S.9)
Insgesamt kann so herausgearbeitet werden, welche "verborgene(n)
Zusammenhänge zwischen bestimmten Stärken oder Schwächen in einem Text"
existieren und "Vorannahmen über bestehende Zusammenhänge überprüfbar"
gemacht. Am Ende ermöglicht das Raster "differenzierte und begründete
Aussagen darüber, wie ein Text ist, welche globalen und welche ins
Einzelne gehende Kennzeichen er hat" (Sieber
(Hg.) 1994, S. 150).
Das Raster in der tabellarischen Übersicht
0
Bezugsgrößen/Korrelate |
0.1 |
Textlänge.
token-Zahlen |
0.1.1 |
Buchstaben |
0.1.2 |
Wortformen |
0.1.3 |
Teilsätze |
0.1.4 |
Ganzsätze |
|
0.2 |
types-Zahlen |
0.2.1 |
Lexeme |
0.2.2 |
grammatische Kategorien |
0.2.3 |
Teilsätze (Satzbaupläne |
0.2.4 |
Ganzsätze |
|
0.3 |
Charakterisierung des Wortschatzes: |
Grundwortschatz/Nicht-Grundwortschatz |
0.4 |
Charakterisierung der Syntax: |
einfach/komplex; normal/ausgefallen |
0.5 |
Charakterisierung der Kohäsionsleistung: |
viel/wenig;
einfach/schwierig |
0.6 |
Charakterisierung der Komplexität des Themas sowie der
Behandlung des Themas im Text
|
A. Sprachsystematische
und orthographische Richtigkeit |
O |
Orthographie |
I |
Interpunktion |
M |
Morphologie |
SY |
Syntax |
T |
Textbau/Satzverknüpfung |
SA |
Semantik von Inhaltswörtern/Autosemantika |
SS |
Semantik von Funktionswörtern/Synsemantika |
SK |
Semantik komplexer Ausdrücke (komplexe
Wörter, Wortgruppen, Sätze)
|
B 1 Funktionale
Angemessenheit: Verständlichkeit/Kohärenz |
|
B.1.1 |
Gesamtidee, Thema, Absicht des Textes |
1.1.1 |
In welchem Masse lässt sich im Text eine
Gesamtidee erkennen, die den einzelnen Textteilen ihren Ort
zuweist? |
1.1.2 |
Welches ist diese Gesamtidee? |
1.1.3 |
Entspricht die Gesamtidee der Aufgabenstellung
(wie sie z.B. durch den Titel markiert sein kann? |
B.1.2 |
Aufbau, Gliederung (Textmakrostruktur)
Hat der Text eine der Gesamtidee entsprechende
Gliederung? Welches sind die einzelnen Glieder? |
1.2.1 |
Innere Gliederung |
1.2.2 |
Äussere Gliederung (graphisch mittels Absatz,
Spiegelstrich u. ä.) |
B.1.3 |
Thematische Entfaltung |
1.3.1 |
Lässt sich in der thematischen Entfaltung eine
Logik hinter dem Text rekonstruieren? (Texthintergrundslogik THL) |
1.3.2 |
Zeigt sich in der thematischen Entfaltung eine
Logik im Text selbst? (Textvordergrundslogik TVL) |
B.1.4 |
Grad an Implizitheit/Explizitheit |
1.4.1 |
Ist der Text so implizit wie möglich? |
1.4.2 |
Ist der Text so explizit wie nötig? |
B.1.5 |
Ausdrücke der Rezipientenführung |
1.5.1 |
Metakommunikative Elemente |
1.5.2 |
Kohäsionsmittel (Verweis-, Verknüpfungsmittel:
Pronomen, Konjunktionen, Konjunktionaladverbien u. a.;
textstrukturierende Mittel, Wortstellung) |
1.5.3 |
Graphische Mittel (Unterstreichung,
Schriftauszeichnung u. ä.) |
1.5.4 |
Explizite Nennung von Produzent und Rezipient;
Markierung des Standpunktes des Produzenten |
B.1.6 |
Angemessenheit der Sprachmittel (Sachadäquatheit,
Funktionsadäquatheit, Ususadäquatheit) |
|
1.6.1 |
Interpunktion |
|
1.6.2 |
Wortformen-, Phrasen- und Satzbau |
|
1.6.3 |
Textbau |
|
1.6.4 |
Wahl von Inhaltswörtern/Autosemantika |
|
1.6.5 |
Wahl von Funktionswörtern/Synsemantika |
|
1.6.6 |
Semantik komplexer Ausdrücke |
|
1.6.7 |
Registerwahl |
B.1.7 |
Erfüllung von Textmusternormen
|
B 2 Ästhetische
Angemessenheit: Besondere formale Qualitäten |
|
B.2.1 |
Sprachlich-formales Wagnis |
B.2.2 |
Qualität der Sprachmittel (Attraktivität/Repulsivität) |
2.2.1 |
Wortwahl |
2.2.2 |
Satz- und Textbau |
2.2.3 |
Rhythmus |
2.2.4 |
Registerwahl, Tonlage
|
B 3 Inhaltliche
Relevanz: Besondere inhaltliche Qualitäten |
|
B.3.1 |
Inhaltliches Wagnis |
B.2.2 |
Inhaltliche Wegqualität (Attraktivität/Repulsivität) |
(Quelle:
Nussbaumer
1996, S.108-109)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
07.01.2024
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