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teachSam-Projekt
Neujahr
Knallkopp oder Spaßbremse - Ein Silvester-Essay
von Gert Egle (2016)
Die
"Bild"-Zeitung
vom 1.1.2016 kürte den Mann zum größten "Knallkopp" von Berlin, weil
er in der Silvesternacht über mehrere Stunden hinweg nach eigenen
Angaben Feuerwerkskörper im Wert von 6.000 Euro zum Explodieren brachte
und in den Nachthimmel verschoss. Hätte nicht viel gefehlt und der
Knallkopp wäre mitsamt der restlichen Dreiviertel-Tonne Krachern,
Raketen und Böllerbatterien, die er noch im Keller unter Bewachung eines
Kampfundes gebunkert hatte, am nächsten Tag bei ihrer Beschlagnahmung
durch die Polizei in der grünen Minna abtransportiert worden. (vgl.
Bild-online, 3.1.2016) Sein privates Böllerarsenal lag damit wohl,
rein kilogrammäßig, kaum unter dem, was am Bodensee, in Konstanz allein,
bei einem traditionellen Seenachtsfest in einer halben Stunde von
professionellen Feuerwerkern verpulvert wird. Ein Wunder fast, dass bei
den siebenstündigen Dauerdetonationen und Raketenstarts und Shots, auch
mit illegalen Kalibern wie "Dum Bum", dem selbsternannten "General
Manager of Playstation", wie der Knallkopp sich vollmundig auf seiner
Facebookseite präsentiert, nichts passiert ist und er offenbar auch die
Dachstühle der Umgebung nicht in Brand setzte, wie dies andere
Knallköppe und unzählige Hobby-Feuerwerker jedes Jahr in der
Silvesternacht tun. Wegen des Knallkopps musste die Feuerwehr, die wie
immer an Silvester in Berlin und andernorts im Dauereinsatz war,
jedenfalls nicht ausrücken, aber wer kann da ganz sicher sein bei den
Abertausenden von Raketen, die den Himmel über Berlin an Silvester
erhellt haben. So dumm der 27-jährige Mann aus Hellersdorf jetzt auch
dastehen mag, was er da aufzog, war eine, von der Sprengkraft der Böller
her betrachtet, sagen wir mal, semiprofessionelle Inszenierung, die von
den meisten Gaffern aus der Nachbarschaft während des stundenlangen
Dauerfeuers durchaus gerne gesehen worden ist. Und damit die Kunde von
dem Spektakel des Mannes - Frauen kämen wahrscheinlich nie auf solche
Ideen! - auch bis nach China, wo man einst das Feuerwerk erfunden hat,
dringen konnte, präsentierte der Sprengmeister in Sachen Feuerwerk sich
und seine Böller schon seit längerem auf Facebook, wo er ansonsten gerne
herumdaddelt. Ob die ganze Knallerei geistloses Gewumme war, wie die
hämischen Kommentare aus den sozialen Netzwerken, die nun auf ihn
herunterregnen, unterstellen, oder ob der Knallkopp jedes Jahr mit so
großen Erwartungen an das neue Jahr herangeht, dass er geradezu
zwanghaft so lange böllern muss, oder ob er einfach, einem rein
kompetitiven Ansatz wie ein Leistungssportler folgend, in den weltweit
übers Internet kommunizierbaren Wettstreit mit historischen und heute
lebenden Artgenossen eintreten will - wer hat den größten und den
längsten Böller? - ist jedenfalls nicht ganz klar. Irgendwie
tragisch für ihn, dass er nun für die ganze Plackerei in der
Silvesternacht noch eine Anzeige wegen des Verstoßes gegen das
Sprengstoffgesetz am Hals hat, die mit ihrer Geldbuße seine Ausgaben gut
und gerne verdoppeln könnte. Immerhin: Er wird er wohl seinen Hals
retten und ist, was seine Hände, Nase, Ohren oder Augen angeht,
davongekommen. Ein Kapitel zum Thema "Blutiges Silvester! Frau verliert
Fuß, Junge seine Finger, Männer getötet", wie auf der Webseite von
news.de an Neujahr getitelt wurde, hat er, das sei ihm hier einfach
einmal als mildernder
Umstand angerechnet, nicht geschrieben. Solches Glück hatten
viele, darunter auch gänzlich Unbeteiligte, in der Nacht der Nächte
nicht. Die Lazarette und Sanitäter wissen ein Lied davon zu singen und
der Schlagzeile von oben ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.
Dennoch nur mal so und einmal kurz den Begriff "Unfälle an Silvester"
gegoogelt, schon werden einem binnen 31 Sekunden 735.000 Ergebnisse
geliefert, die ein Schreckensbild nach dem anderen zeichnen. Und wer es
härter mag, der kann sich mit dem gleichen Suchbegriff ja einmal auf
(oder bei?) YouTube umsehen und seine voyeuristischen Neigungen bis zum
Abwinken befriedigen. Also nicht weiter mit Knalltraumata, Brandwunden
und verlorenem Augenlicht! Stattdessen ein Blick darauf, dass Böller
schon einmal zum regelrechten Kriegsgerät umfunktioniert werden, wenn,
z. B. wie in Berlin in der Silvesternacht geschehen, Polizeibeamte mit
Kanonenschlägen und Raketen unter Feuer genommen werden.
Dass der Knallkopp und alle anderen Silvesterfeuerwerker dafür sorgen,
dass Umsatz und Gewinne der pyrotechnischen Industrie weiter auf hohem Niveau
bleiben, ist für ihn und die anderen sicher auch nicht weiter wichtig. Fakt ist allerdings,
dass die Freude am Zünden diverser Feuerwerkskörper außergewöhnlich groß
ist. Selbst in Krisenzeiten, in denen es vielen Menschen nicht so gut
geht oder die allgemeine Stimmung im Hinblick auf die Zukunft eher
gedämpft ist, heften die Menschen ihre Hoffnungen an die Zündschnüre
von Raketen oder vertreiben ihre Sorgen mit dem Knall eines
Kanonenschlages. Fehlt lediglich noch die individualisierte Variante des
Feuerwerks, bei der man sich z. B. übers Internet Leucht- und
Knallfarben nach Wunsch zusammenstellen, die Rakete online mit einem
Spruch eigener Wahl versehen kann, um den vom eigenen Feuerwerk
erhellten Platz am Nachthimmel auch wirklich persönlich für die eigene
Zukunft in Besitz zu nehmen nehmen und gegen die dort blitzenden und
zerplatzenden Hoffnungen und Erwartungen anderer zu behaupten.
Eigentlich ein ganz normaler Vorgang in der Ellbogengesellschaft.
Der Silvesterumsatz mit Feuerwerksartikeln jedenfalls soll nach
Schätzungen des Verbandes der pyrotechnischen Industrie
2015 in Deutschland wie im Vorjahr bei etwa 129 Millionen Euro liegen.
Zehn Jahre zuvor waren das noch 96 Millionen gewesen, 2007 wurde die
100-Millionen-Marke gerissen. Seitdem ist der Umsatz zumindest im
2-Jahres-Rhythmus weiter gestiegen (2009: 113 Mio., 2011: 115 Mio.,
2013: 124 Mio.) Feuerwerke anderer Art, die bei großen
Massenveranstaltungen, aber mittlerweile auch kleineren Dorf-,
Stadtteil- oder Straßenfesten veranstaltet werden, nicht mit
eingerechnet.
Gründe, warum die Menschen in so großer Zahl von Feuerwerken im
Allgemeinen und dem Silvesterfeuerwerk im Besonderen fasziniert sind,
gibt es viele und einige hängen unmittelbar mit der Tradition und
Bräuchen zusammen. So hat der Wumms von Feuerwerken eben auch seine
eigene Geschichte.
Die ersten Feuerwerke gab es wohl in China, wo es aller
Wahrscheinlichkeit nach Mönche waren, die es im 6. oder 7. Jahrhundert
erfunden haben. Über arabische Händler kam das Feuerwerk im 14.
Jahrhundert nach Europa. In Italien entwickelte sich im späten 14.
Jahrhundert eine besondere Feuerwerkskunst, die sich von da aus in
Europa weiterverbreitete. Insbesondere im Zeitalter des Barock wurden
Feuerwerke an den Höfen von Fürsten und Königen in ganz Europa
hochgeschätzt. Sie standen oft im Mittelpunkt der Feste an den Höfen,
die auch mit solchen pyrotechnischen Attraktionen europaweit miteinander
wetteiferten. Allen voran gingen dabei die Feuerwerke, die am königlichen
Hof in
Versailles veranstaltet wurden. Aber auch eher mittelprächtige
Fürsten ließen sich bei Feuerwerken und Illuminationen nicht lumpen. Sie
öffneten wie z. B. Carl Eugen von Württemberg es vor allem während
seiner wilden Jahre tat, gerne ihre mit erfindungsreichen Abgaben wie
der Spatzensteuer gefüllten Schatullen, um Hof und Untertanen mit
solchen und anderen Events zu beeindrucken. Und Anlässe für Feuerwerke,
welche die absolutistische Herrlichkeit wie auf eine Großleinwand an den
Nachthimmel zauberten, gab es natürlich in Hülle und Fülle. Geburtstage,
Hochzeiten, Besuche von Staatsgästen und einfach auch mal einfach so aus
Jux und Tollerei, besser gesagt aus Lust an Prasserei und
absolutistischem Potenzgebaren. Legendär bis heute das 1770 unter
Ludwig XV.(1710-1774) im Schlosspark von Versailles veranstaltete
Feuerwerk, mit dem der absolutistische Herrscher Frankreichs seine
Schwiegertochter »Marie
Antoinette (1755-1793) begrüßte. Trotzdem konnten auch die dabei zum
Einsatz gelangten 20.000 Raketen, 6.000 Feuertöpfe und Vulkane und
mehrere Dutzend Sonnen mit einem Durchmesser von bis zu 30 Metern (vgl.
Huo-Pau - Die Geschichte des Feuerwerks) , der späteren Königin von
Frankreich, wie jeder weiß, den Hals nicht retten.
Allerdings, so sei gesagt, waren solche Spektakel eben auch nicht dafür
gemacht, Gottes Segen einzuholen oder Geister und Dämonen für eine
glückliche Zukunft einzelner Individuen zu beschwören. Genauso wenig
waren sie an typisch bürgerliche, an die eigene Leistung geknüpfte
Wohlstandserwartungen oder Deklassierungsängste gekoppelt. Für absolutistische
Prachtentfaltung und Repräsentation von Macht waren sie aber
besonders gut geeignet, weil sie mythisch-mystisch oder
mystisch-mythisch "den Sieg des Lichts über die
Dunkelheit" verkörperten. Indem man so das Feuerwerk mit Blitz und
Donner ineins setzte, wurde es als göttliche Gewalt verstanden, an der
der absolutistische Fürst oder König mit seinem Feuerwerk, und zwar je
größer und prächtiger, desto mehr teilhatte. (vgl.
Kircher-Kannemann, o.J.)
Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden Feuerwerke zu einem Vergnügen
größerer Teile der Bevölkerung. Nun fanden sie im öffentlichen Raum
statt, bald schon in Städten in der Silvesternacht und auch bei anderen
Veranstaltungen unter freiem Himmel. Aber erst im 20. Jahrhundert
konnten Feuerwerkskörper von jedem, der dafür das nötige Kleingeld
besaß, gekauft werden. Erst damit konnte die private
Feuerwerksinszenierung zu einem, keineswegs als spießig geltenden,
Privatvergnügen werden, bei dem Raketen von der Rampe einer eben mit
Freunden und Verwandten geleerten Sektflasche aus dem eigenen Vorgarten
in den Himmel geschossen wurden. Dass dort oben, wo die Raketen
krachten, wieder eine gemeinsame Raketenöffentlichkeit entstand, tat dem
Ganzen keinen Abbruch. Schließlich konnte man (Mann?) ja, und kann das
bis heute, bei Bombenrohren, Feuerwerksbatterien, Verbundfeuerwerk und
Knallern dem Nachbarn auch noch hoch oben am Nachthimmel zeigen, wo der
Hammer hängt bzw. wer den dicksten Geldbeutel besaß und besitzt. An die
gigantischen Wunderwerke pyrotechnischer Kunst mit ihrem vor sich
hinprotzenden Wahnsinn, die bei der Eröffnung oder am Ende von
Olympischen Spielen, beim Champions-League-Finale oder bei
Freiluft-Klassikevents zur Aufführung gelangen, reichen die
Privatfeuerwerke natürlich nicht heran, jene befeuern aber, als
Top-Medienereignisse mit traumhaften Einschaltquoten inszeniert, die
Nachfrage nach immer knalligeren Knalleffekten bei Feuerwerkskörpern
durch die breite Masse, die sich, Gottseidank nur im Extremfall mit
einem wie dem Berliner Knallkopp messen oder als Superknallkopp einen
Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde haben will.
In der letzten Zeit ist ein Trend
festzustellen, der vom privaten Kleinfeuerwerk im Kreis der Familie und
von Freunden wegführt. Outdoor-Silvesterpartys mit Hunderttausenden von
Teilnehmerinnen und Teilnehmern trotzen Wind und Wetter und lassen sich
unter dem Schutz von Polizeikräften, auch bei Angst vor
Terroranschlägen, ihr
Vergnügen beim gemeinsamen Feiern und Böllern in der Öffentlichkeit
nicht nehmen. Vielleicht schließt sich dieses Verhalten an die
Tradition an, mit der man in der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr
schon seit Menschengedenken Dämonen, Hexen und Geister mit allerlei Lärm
und Geräuschen vertreiben wollte. Und für das, was von dem Spuk
zurückbleibt, nämlich abertausend Tonnen von Müll, sind schließlich der
Staat und die Gemeinden zuständig.
Dass die Menschen auf der Silvestermeile während und nach dem Feuerwerk
den ganzen Lichterglanz als Dreck in die Lungen bekommen, stört wenige
und gehört zu den Risiken, die alle, auch wenn sie sonst dem vermuteten
Elektrosmog eines Reiseweckers mit Messgeräten auf den Leib rücken,
eingehen. Und für manche gehören der archetypische Pulverdampf und
Feinstaub zu Silvester halt ebenso dazu wie Weihrauch bei der Taufe oder
Beerdigung.
Der Luft selbst tut die ganze Böllerei jedenfalls nicht gut. So werden
in der Silvesternacht und oft auch noch am folgenden Neujahrstag
bundesweit immer wieder deutlich erhöhte Feinstaubwerte gemessen, die
nicht nur verkaterte Zeitgenossen, die es nach einer mit Alkohol
durchfeierten Nacht mit oder ohne Aspirin eigentlich nach draußen zum
fast obligatorischen Neujahrspaziergang zihet, in die Heizungsluft
ihrer Wohnungen verbannt. Die Schadstoffe, die mit jeder in den
Himmel gejagten Rakete in der Luft verteilt werden und in unsere Atemluft
zurückkehren, machen jedenfalls vielen Menschen gesundheitlich kurz- oder auch
längerfristig zu schaffen. Ja-aber-schon-Technik: Ja, aber schon,
einfach mal weiterdenken! Wie Phoenix aus der Asche steigt dadurch ein
neuer Markt aus dem verdreckten Firmament! Modisch designte
Ein-Weg-Atemmasken, in allen Trendfarben und/oder mit einem Selfie
verziert ... man hört
die Kassen fast schon klingeln! Ein kleines Aber höchstens: Pekings oder Neu Delhis ganz normaler
Alltagssmog lassen grüßen. Zugleich winkt von dort vielleicht auch eine
kleine Lösung: Wie bei Regelungen für den Autoverkehr in den asiatischen
Megastädten, mit denen der Smog gesenkt werden soll - einmal dürfen
Autos mit gerader, mal mit ungerader Nummer fahren - könnte ja jedes
Jahr abwechselnd nur der Teil bei uns böllern dürfen, der in einem
geraden Jahr oder einem ungeraden Jahr geboren ist. Wenn da nicht die
Arbeitsplätze wären, heißt es.
Dass die Böllerei für viele Tiere ein
Albtraum ist, Hunde, Katzen oder Pferde in Angst und Panik versetzen
kann, ist ebenso so unstrittig wie die Tatsache, dass sich davon aber auch eingefleischte Liebhaber der Vierbeiner kaum
abhalten lassen, den Jahreswechsel mit Kanonenschlägen "einzuläuten".
Schließlich gibt es ja noch den Tierarzt, der einem ein Mittel
aushändigt, mit dem man seinen Hund ein paar Stunden lang einschläfern kann.
Und wenn ein völlig verstörter Vierbeiner Reißaus genommen hat, Pech für
ihn: Dann muss er halt durch wie die Eichhörnchen eben auch, die es sich
in ihren Nestern gerade so kuschelig eingerichtet haben. Immerhin mit
seinem Schicksal ist er ja nicht allein. Und wenn das gleiche Schicksal
Füchsen widerfährt, die wir ohnehin in unseren Städten nicht sehen
wollen, ist das doch eigentlich ein positiver Nebeneffekt. Gut, schade
um den Falken im Kirchturm und die Fledermäuse, die im Kasten am Haus
hängen, aber die sind je eh die Ausnahme, und wer sagt denn, dass die
wirklich etwas mitkriegen?
So what? Da ist guter Rat schwer, will man doch weder Spaßbremse sein,
noch als ignoranter Knallkopp dastehen. Bleigießen? Geht gar nicht! Dann
schon eher Tischfeuerwerk mit Knallbonbons und Rosenkanonen? Für Kinder
schon, Frauen vielleicht, aber für Männer? Ich weiß nicht. Dorfbums ohne
Dorfwumms? Dann lieber gar nicht, aber wer will das allen Ernstes
wirklich?
Und doch gibt es Alternativen. Schon
seit 1981 ruft die Hilfsorganisation
Brot für die
Welt dazu auf, wenigstens einen Teil der ansonsten für
Silvesterfeuerwerk ausgegebenen Geldsumme für die Entwicklungshilfe zu
spenden. Die Präsidentin der Organisation Cornelia Füllkrug-Weitzel will
mit der Aktion die Menschen dazu einladen, "das neue Jahr mit einem
Geschenk an Menschen in Not zu beginnen." (Brot
statt Böller, 18.02.2015) Für sie steht fest: "Der Spaß, den ein
Feuerwerk macht, ist nur kurz. Die Freude, die durch Teilen entsteht,
ist von Dauer." Und auch andere Organisationen sind der Ansicht, dass
sich das ganze Geld, das an Silvester im wahrsten Sinne des Wortes
verpulvert wird, anders besser angelegt ist. So hat z. B. der
Tourismusverband die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern in diesem Jahr
schon zum neunten Mal dazu aufgerufen, statt Geld für Silvesterböller
auszugeben, dieses Geld im Rahmen seiner Kampagne "Bäume statt Böller"
in Waldaktien anzulegen. (http://www.focus.de/regional/rostock/brauchtum-fuer-ein-gruenes-gewissen-an-silvester-baeume-statt-boeller_id_5178509.html)
Allerdings sind solche "Statt-Böller-Kampagnen" keineswegs unumstritten
und ihre Kritiker kommen nicht aus den Reihen der pyrotechnischen
Industrie oder sind auch keine Pyromanen oder "Knallköppe". So erklärt z. B. die Berliner
TAZ den "Zusammenhang zwischen
dem Hunger in Afrika und dem Geböller" für schlichtweg "konstruiert" und
beruft sich auf die Aktion Dritte Welt Saar, die darin eine Beliebigkeit
sieht, die genauso gut in einer Kampagne wie "Brot statt Jogginganzüge"
fortgeführt werden könne. Auf die eigentlichen Ursachen für den Hunger
in der Welt werde jedenfalls während der Brot-statt-Böller-Kampagne
nicht hingewiesen. Um an Spenden zu kommen, werde damit dem Normalbürger
ein schlechtes Gewissen gemacht, indem man ihm einrede, sein punktuelles
und persönliches Verhalten "habe irgendwie was mit dem Elend in Afrika
zu tun". Für die Aktion Dritte Welt Saar ist das Ganze aber auch eine
typisch protestantische "Lustfeindlichkeit".
"Auffällig“,
heißt es da sinngemäß weiter, dass solche "Statt-Böller-Kampagnen" sich
über das Lustfeuerwerk des kleinen Mannes und der Massen mokieren,
andere Feuerwerke aber
wie z. B. bei
den Salzburger Festspielen,
bei denen sich die Reichen und Mächtigen verlustieren, ungeschoren
davonkommen lassen. Und wer legt sich schon mit FIFA, IOC oder den
Bayernbossen an, wenn sie ihre Sportgroßereignisse mit unzähligen
Knallkörpern am Himmel zelebrieren?
Am Ende ... alle Fragen offen, aber auch ein wenig Hoffnung: Wie
wäre es, nur mal so laut gedacht, wenn man bei den großen
Outdoor-Silvesterpartys einfach die Riesenleinwände, die beim
Sommermärchen und dem WM-Gewinn 2014 zum Einsatz gekommen sind, nehmen
und vielleicht ein paar davon noch so zusammenmontieren würde, dass sie
die störenden Lichteffekte eines ja jederzeit drohenden Sternenhimmels
abdecken, um dann auf diesen Supermegawänden virtuell erzeugte
Feuerwerke zu zeigen oder stundenlang, ganz ohne Feinstaubgefahr,
YouTube-Videos von Feuerwerken früherer Tage abzuspielen. Wenn dazu noch
- was kann schöner sein? - die Bassboxen der Loveparades von Berlin und
Zürich gemeinsam ohrenbetäubend wummern würden, könnte vielleicht auch
ein größerer Teil der "Spaßfraktion" auf die klassische
Silvesterböllerei ganz verzichten. Und wer auf den billigen Plätzen,
meilenweit von den Supermegaleinwänden entfernt, auch noch Spaß haben
will, dem könnte man das Ganze doch aufs Smartphone und von da in die
Ohrstöpsel streamen, um Blitz, Knall und Glamour des ausziehenden
neuen Jahres auch in den letzten Winkel der Spaßmeile zu tragen. Und von
da über Facebook in die ganze Welt und so weiter und so fort. Das passt
dann auch zu einem weiteren Trend: Da der Lichtzauber am Himmel allein
die oft zahlenden Partygäste auf den Silvestermeilen und -plätzen von
Berlin bis Sidney nicht mehr hinreichend unterhält, der Lärm von
Knallern und Schwärmern und das Blitzen von Raketen nicht mehr genügend
"Spaß" machen, ist man nämlich bei großen Freiluftveranstaltungen wie
dem Konstanzer Seenachsfest schon seit einiger Zeit dazu übergegangen,
mit Megaboxen Megaklänge aus Klassik und Pop über den See hallen zu
lassen. Und wenn, wie auf der zwei Kilometer langen Silvestermeile von
Berlin, Showstars mit ihren Showacts auf Showbühnen von
Actionhighlights, Laser- und Lichtanimationen ins Rampenlicht gesetzt
werden und damit ein eigenes Feuerwerk von Attraktionen zur Bespaßung
der Partygäste abfeuern, dann kann das neue Jahr vielleicht auch kommen,
wenn es nicht mit herkömmlichen Böllern und Krachern von einem Ende zum
anderen Ende der Welt gehetzt wird. Dann ist nicht nur das Erlebnis
Feuerwerk so ein richtiger Knaller, sondern es wird endlich zu einer Win-Win-Sache für alle, die Aktionäre der pyrotechnischen Industrie mal
ausgenommen. Einzig die unterbezahlten Böllermänner und Böllerfrauen,
die in China das Schwarzpulver in die Böller stopfen, müssen sich nach
einem neuen Job umsehen. Machen diese Ideen erstmal die Runde, wird wohl
auch der gute alte Chinaböller ein Globalisierungsopfer werden. Der
Knallkopp von altem Schrot und Korn bliebe allerdings in jedem Fall auf
der Strecke. - Eine Runde Mitleid schon, aber kein Grund, dass allen der
Spaß vergeht.
https://ichdiscours.wordpress.com/2016/01/08/knallkopp-oder-spassbremse-ein-silvester-essay/

Knallkopp oder Spaßbremse von
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Gert
Egle: Brot gegen Böller (Inhaltsangabe)
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Gert Egle: Brot und
Bäume gegen Böller? Die Kontroverse um das Silvesterfeuerwerk
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
30.12.2023
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