Didaktische und methodische Aspekt des schulischen Umgangs mit der
Schreibform
Die Ausführungen in dem Arbeitsbereich zu den ▪
didaktischen und methodischen Aspekten der
Stellungnahme als ▪ schulische
Schreibform ▪
erörternden Schreibens beansprucht nicht, eine umfassende
Didaktik zu dieser Schreibform zu liefern. Stattdessen sollen
verschiedene Aspekte und Facetten des schreibdidaktischen und
schulischen Umgangs damit dargestellt werden.
Schreiberfahrung und Schreibentwicklung berücksichtigen
Schreibaufgaben zur schriftlichen Stellungnahme werden in der
Schule im Allgemeinen ab der 7. Klasse gestellt.
Sie stellen damit den Einstieg in und quasi eine Vorstufe für das
erörternde Schreiben dar. Dieses wird in den nachfolgenden
Klassen- bzw. Jahrgangsstufen inhaltlich und strukturell mit
bestimmten
Textmustern wie z. B. ▪ freie
Problem- und Sacherörterung oder ▪
kommentierender Leserbrief
immer anspruchsvoller.
Allerdings macht es auch nicht viel Sinn, die Stellungnahme als
Schreibform auf ein bestimmtes Lebens- bzw. Schulalter festlegen zu
wollen, zumal unter ▪
schreibdidaktischer Perspektive betrachtet die individuelle
Schreibentwicklung viel wichtiger ist. Das ▪
Schreibalter ist also oftmals entscheidender ist als das Lebensalter.
In allen Schularten und in allen Jahrgangsstufen gängige
Schreibaufgabe
Auch die schulische Praxis hat diesen Überlegungen längst
Rechnung getragen.
So finden sich entsprechende
Schreibaufgaben,
die in der Abgabe einer begründeten Stellungnahme zu einem
problematischen Sachverhalt ohne Textgrundlage oder mit
Textgrundlage, mit oder ohne Vorgabe eines bestimmten Textmusters
münden, mittlerweile in etlichen Prüfungsaufgaben unterschiedlicher
Schularten. Die Schreibform selbst wird in nahezu allen
Jahrgangsstufen praktiziert.
So definiert die Handreichung "Neues Schreiben" des Staatsinstituts für
Schulqualität und Bildungsforschung in München definiert die
Schreibform für die 7. und 8. Klasse wie folgt:
"Die begründete Stellungnahme ist eine persönlich geprägte
Argumentationsform und dient entweder der Meinungsäußerung oder
der Klärung eines Sachverhalts. Sie ist in kommunikative
Situationen eingebettet. Je nach Schreibanlass erscheint sie als
Leserbrief bzw. Brief an eine bestimmte Person oder Institution,
als Bitte, Vorschlag, Beschwerde, Kommentar, Richtigstellung
usw. und ist entsprechend der jeweiligen Textart zu gestalten.
In vielen Fällen ist die Stellungnahme eine Reaktion auf eine
Meinungsäußerung oder einen vorgefundenen Sachverhalt und wird
deshalb in der Einleitung auf den Anlasse Bezug nehmen, in dem
sie zentrale Gedanken oder wörtliche Zitate aus dem Bezugstext
verwendet und sie zum Ausgangspunkt einer dann folgenden
Argumentation macht. (...) Das Ziel des Verfasser ist es, einen
Standpunkt zu vertreten, die eigene Meinung dabei einsichtig zu
machen und damit die Ansichten bzw. Handlungen anderer zu
beeinflussen." (ISB
(Hg.) 2010, Bd. 1, S.149).
Der didaktische Akzent liegt dabei auf dem Erlernen einfacher
Argumentationsstrukturen (einfache
Argumentation,
erweiterte Argumentation) und logischer Schlussverfahren
(▪
Argumentationsmodelle).
Dabei geht es um die Einnahme eines begründeten Standpunktes zu
Fragen, die möglichst dem unmittelbaren Bezugsfeld der Schreibenden,
ihren realen und medialen Lebenswelten zugeordnet werden können.
Für größere Darstellung bitte anklicken!
In Kommunikationssituationen, die der Realität sehr nahe kommen,
sollen Schülerinnen und Schüler zeigen, dass sie der
Kommunikationssituation angepasst und an dem jeweiligen Schreibziel
orientiert, sachliche von unsachlichen Argumenten unterscheiden
können, ohne dass dabei die persönlich gefärbte Sicht auf die Dinge
grundsätzlich aufgegeben werden muss.
(▪
Regeln
vernunftorientierter Argumentation)
Die Kommunikationssituation führt im Übrigen auch dazu, dass sich
die Schreiberinnen und Schreiber dabei der ▪
Partnerorientierung bzw. dem Partnerbezug beim
schriftlichen Argumentieren bewusst werden. So lernen sie auch den
Unterschied zwischen
▪
partnerschaftlichem und
▪
nicht-partnerschaftlichen Argumentieren kennen.
Die besondere Schreibrolle bei der schriftlichen Stellungnahme
Während des
Schreibprozesses einer Stellungnahme müssen die Schreiberinnen
und Schreiber eine bestimmte Schreibrolle
einnehmen. Diese ist in diesem Fall nicht am Ideal eines
distanziert, nur nüchtern abwägenden Schreibers orientiert, der
seine Sach- und
Werturteile auf
sein Fach- und moralisches Wissen stützt und in selbstreflexiver
Weise einbringt.
Auch wenn "in einer bestimmten Kommunikationssituation (z. B.
▪ Leserbrief) auch mögliche
Einwände (= Gegenargumente) durch stichhaltigere Argumente
entkräftet werden, (...) handelt es sich bei der begründeten
Stellungnahme
noch nicht um das sachliche Abwägen von Gründen und Gegengründen."
(ISB
(Hg.) 2010, Bd. 1, S.149).
Dieser Verzicht auf das schon eingangs erwähnte
mehrperspektivisch
angelegte Erörtern ist sogar mehr noch als die subjektive
Akzentuierung Kennzeichen der Stellungnahme, zumal die
Autoritätsfixierung dieser kognitiven Entwicklungsphase oft den
Zugang zu einer mehr der Selbstklärung verpflichteten Schreibrolle
erschweren kann.
Und doch kann gerade die situative und kommunikative Einbettung
und die dafür nötige Rollenübernahme durch den tatsächlichen
Schreiber auch helfen, die oben genannte
Autoritätsorientierung zu
überwinden. Insofern ist es wirklich notwendig,
▪
Schreibanlässe
zu finden, die motivierend sind und in einem argumentativen Kontext
zu einer Problemlösung beitragen können.
Argumentationen ohne den Anspruch auf Mehrperspektivität
Schriftlich zu einem
Problem oder Sachverhalt Stellung zu nehmen, ohne gleich
verschiedene Perspektiven einnehmen und kontroverse Standpunkte
gegeneinander abwägen zu müssen, ist trotz der oben ausgeführten
Überlegungen geradezu "jugendgemäß".
Insbesondere jüngere Jugendliche können sich zwar schon in fremde
Perspektiven versetzen und von anderen Positionen aus als der
eigenen argumentieren, tun sich aber insbesondere schriftlich noch
schwer damit. (vgl.
Fritzsche 1994, S.124)
Die Art der Argumentation, die bei der schriftlichen
Stellungnahme verlangt wird, entspricht den Fähigkeiten, die
Jugendliche im frühen und mittleren Jugendalter unter
enwicklungspsychologischen Aspekten besitzen (vgl.
ebd.).
-
Sie befinden sich
nämlich nach »Lawrence
Kohlbergs (1927-87) »Entwicklungsmodell
des Moralbewusstseins in der konventionellen,
konkret-operationalen Phase ihrer kognitiven Entwicklung.
-
In dieser Phase
fürchten sich die Heranwachsenden vor dem Urteil der anderen (Braves-Kind-Orientierung)
und halten sich an Gesetze und soziale Regeln aus dem einfachen
Grund, weil es sich um Gesetze und Regeln handelt (Autoritäts-Orientierung)
(vgl.
Myers 2005, S.174).
- In einer Phase der kognitiven Entwicklung, in der
Jugendliche sich beim Argumentieren entwicklungsgemäß am
liebsten auf Autoritäten, Gesetze und Normen in der
Auseinandersetzung mit Sachverhalten berufen, ist die
schriftliche Stellungnahme daher regelrecht jugendgemäß. (vgl.
Fritzsche 1994, S.124)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
30.12.2023
|