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Kluminator auf neuen Wegen: Vom Saulus zum Paulus?

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Domina und Kluminator - Heidi Klums totalitäres Konzept in Germany’s Next Topmodell

Kluminator auf neuen Wegen: Vom "Saulus" zum "Paulus"?

Heidi Klums Topmodelsuche, Germany's Next Topmodel by Heidi Klum, wie es richtig heißt, feiert 2025 zwanzigjähriges Jubiläum. Das Sendungsformat von Pro Sieben mit seiner einzigartigen Erfolgsgeschichte ist damit schon älter als so manche der Kandidaten, die vor, hinter, aber vor allem auf dem Laufsteg ihr Bestes geben. Sie hoffen darauf, dass das "Lügenkonstrukt", "man könnte durch Gewinnen der Show tatsächlich ein international gefeiertes Model werden" (Laaf 2011) in Erfüllung geht, auch wenn die Sendung es in seiner jahrzehntelangen Geschichte bisher nicht geschafft hat, "ein tatsächliches Topmodel, das international für große Marken läuft" (Rausch 2025), herauszubringen. Heute, betont Thore Rausch, sei der Kreislauf, auf den sich Kandidatinnen in Wahrheit einzustellen hätten, ein anderer: "Erst formt dich das Format, dann formst du Instagram-Trends, dann verkauft dich das Management an Shampoo-Werbung."

Bei jeder Neuauflage zieht die Sendung Kritiker und Kritikerinnen an, die Dramaturgie, Frauen- und Menschenbild seiner Macherinnen und Macher einer herben Schelte unterziehen. Was dabei kritisiert wird, spielt sich auch in anderen Reality-Soaps vom Typ des so genannten "performativen Realitätsfernsehens" (Keppler 1994) ab, "die  sich auf die eine oder andere Weise Lebenshilfe und Lebensberatung auf die Fahnen geschrieben haben." (Keppler 2010 S.124) Denn alle hätten sich vorgenommen, zu diesem Thema möglichst populäre Unterhaltung zu produzieren. Das Format stellt, so Angela Keppler (2010, S.116), "eine Bühne für nichtalltägliche Inszenierungen unter Beteiligung alltäglicher Menschen bereit, die deren alltägliches Selbstverständnis sehr unterschiedlichen Prüfungen unterziehen."

Heidi Klums Kandidatinnen agieren in einem solchen sozialen Setting, das ihnen für eine bestimmte Zeitdauer ungewöhnliche und extreme Belastungen auferlegt. Die Attraktivität der Sendung geht nicht zuletzt von den in diesem Setting angelegten Spannungen zwischen den Kandidatinnen aus, die um die Verheißung einer internationalen Topmodelkarriere miteinander konkurrieren. Dementsprechend gehören, so Kepler (ebd.) "Melodramatik, Streit, Neid, Rivalität sowie Versöhnung und Verbrüderung" zu den zentralen dramaturgischen Elementen des Formats. Bisher jedenfalls.

Die neuen Staffeln aber versprechen einen bis dahin nie da gewesenen "Kuschelkurs" und haben das Narrativ der Prophezeiung einer Modelkarriere dem Zeitgeist angepasst: So hat Heidi Klums Tochter, die schon als Gastjurorin in der Sendung mitspielen durfte, die Frage, was ein Topmodel mitbringen müsse, vor allem seinen "Charakter" betont und erklärt, wer "freundlich im Umgang sei", der werde auch "für Aufträge gebucht". (vgl. Rausch 2025) Und auch die Kommunikation des "Kluminators", wie sich Heidi Klum mitunter selbst bezeichnet hat, ist gewaltfrei aufgehübscht: "Die Jurorin führt durch den Abend, als wollte sie die ganze Welt umarmen, verteilt inflationär ein »ganz großes Danke«" (ebd.) und macht den Eindruck, dass sie nach einer Schluckimpfung gar nicht mehr anders kann, als den Regeln gewaltfreier Kommunikation zu folgen und "nur noch austherapierte Ich-Botschaften" zu senden.

Hat sich, wenn die Dominasprüche der "Mutter des Hochleistungslaufens" (Stöhr) künftig unter den Tisch fallen, und die Diversität der Kandidatinnen, die seit 2018 schon so genannte Plus-Size-Models, also Frauen mit größeren Konfektionsgrößen, einschließt, Grundlegendes geändert? Kann und soll das Ganze dazu dienen, wie Heidi Klum großmundig verkündet, Schönheitsideale brechen? Ist der "Kluminator" also, man verzeihe das grammatische Geschlecht, auf dem Weg vom Saulus zum Paulus?

Wo ist sie geblieben, die selbsternannte "Domina vom Dienst" (Hoff 2011), die mit ihrer psychologischen Kriegsführung gegen die Kandidatinnen Woche für Woche Heulen und Zähneknirschen verursachte, die Verliererinnen öffentlich zur Schau stellte und anprangerte? Wo ist die Frau geblieben, die in einer plumpen Inszenierung menschlicher Leidenschaften und Gefühle, mit den geskripteten Dokusoaps entlehnten Stilmitteln der Verlangsamung, Verkürzung und Verdichtung den bewusst geförderten und inszenierten Zickenkrieg in einer Art Endlosschleife präsentiert hat? (vgl. Laaf 2011)

Die bisher und wohl auch künftig vorgeführten Dramen sind ein Spiel, aber eben immer auch mehr als das. Daran ändert auch die Tatsache wenig, dass Heidi Klum und ihre Juroren die ehemaligen Inszenierungen des Rauswurfs von Kandidatinnen heute nicht mehr so ohne weiteres damit "begründen", ihnen fehle die richtige Einstellung, sie seien schlicht zu langweilig sind oder ihnen fehle einfach das stets einsetzbare 'gewisse Etwas‘ oder die 'Persönlichkeit‘:  "Zu aufgedreht, zu introvertiert. Zu unkontrolliert, zu brav, zu unnatürlich, zu maskulin, zu erotisch, zu süß, zu wenig wandelbar" (ebd.),

In dem inszenierten Spiel, stellt Angela Keppler (2010, S.124) fest, würden vor den Augen der Zuschauer realitätsnahe (oder wenigstens so erscheinende) Lebensmöglichkeiten durchgespielt, die den Zuschauern eine Gelegenheiten böten, sich ihre eigenen Lebensmöglichkeiten vor Augen zu führen und damit auch ihr eigenes Selbstverständnis, stillschweigend und ohne großen Reflexionsaufwand zu variieren.  (ebd., S.124)

Die Sendung gibt dabei kein in "Echtzeit" verlaufendes Geschehen wieder. Stattdessen handelt es sich um "eine hochartifizielle Montage von Szenen, die stets nach dem Prinzip der Zuspitzung" aufgebaut ist. (Keppler 2010, S.117) Lijana Kagwa und Simone Kowalski, ehemalige Kandidatinnen in der Sendung, haben, trotz der ihnen auferlegten Schweigepflicht, davon berichtet, dass die Abfolge der in der Sendung präsentierten Szenen nicht der Realität entsprochen habe. Stattdessen seien sie so manipulativ zusammengeschnitten worden, dass sie künstlich Streit provoziert hätten. (vgl. Rausch 2025) Dabei sollen Stereotype, wie sie in allen Reality-Formaten Verwendung finden, auch in GNTM Identifikationsmöglichkeiten schaffen. Was die Realität hinter den Kulissen des goldenen Käfigs mit Blick über die Hollywood Hills war, von dem ganzen psychischen Druck erfährt man nichts.

Das Konzept der Sendung, das zeigt auch die neue Staffel, wird immer weiterentwickelt, um irgendwie Anschluss an den gesellschaftlichen Geschlechterdiskurs zu halten. Was immer man der Casting-Show vorwerfen mag, sie hat sich in puncto Diversität fortentwickelt und präsentiert keineswegs nur mehr 90/60/90-Models früherer Staffeln. Die "Hungerhakenkritik" der Vergangenheit ist damit auch weitgehend passee.

Heute umfasst das Spektrum der Kandidatinnen daneben ältere Frauen (best agers), größere und kleinere (petits) oder füllig-beleibtere (cury models) Kandidatinnen. Und bei der Bewerbung für die Show spielt es angeblich »keine Rolle, welchem Geschlecht sich die Bewerber:innen zugehörig fühlen«. Das ist gut und notwendig, denn anders wäre GNTM längst von den Bildschirmen verschwunden.

Natürlich weiß Heidi Klum "mit ihrem penetranten Plastikfröhlichkeitscharme" (Laaf), der man allerdings wie allen Lernfähigkeit nicht abstreiten kann, wie das Geschäft mit der Werbung läuft.

Solange erkleckliche Werbeeinnahmen fließen, darf sie also weitermachen. Längst hat GNTM, wie die Insider sagen, dabei auch die sozialen Netzwerke für sich gekapert. Mit fast einer Million Followern (Stand: Dezember 2022) auf Instagram und dem eigenen YouTube-Kanal mit seinen 3.320 Videos und 849.000 Abonnenten (Stand: Dezember 2022) ist GNTM bei jungen Mädchen weiterhin sehr angesagt.

Nach Jahren steigenden Publikumsinteresses von 3,02 Mio. Zuschauer im Jahr 2006 bis zu 3,83 Mio. im Jahr 2009 ist das Publikumsinteresse im Jahr 2022 auf 2,06 Mio. gesunken. Nach Zeiten eines deutlich sinkenden Marktanteils unter den 14 bis 49-Jährigen (Tiefstmarke 2015: 14,7%) hat der Anteil in den letzten Jahren allerdings wieder zugenommen und lag 2023 bei knapp über 19 Prozent (19,3%) (vgl. Wikipedia)

Ohne die ausgetretenen Pfade der lange Jahre immer wieder aufbrandenden und berechtigten Kritik an der Sendung hier begehen zu wollen, bleiben auch angesichts des neuen "Kuschelkurses" von Heidi Klum, eine Reihe von Fragen, die aber auch deutlich über dieses Format und die Frage, welche Motive Heidi Klum für ihren Wandel hat, aufwirft. Fragen, die sich nicht an ihre Person heften, sondern an die Wirkungen, die von solchen Formaten insgesamt für unser Zusammenleben ausgehen.

Für die Philosophin Rebekka Reinhard "(sind) die so genannten Topmodels (...) ein Symptom unserer narzisstischen Kultur, in der der Schein das Sein, die Geste den Geist, die Form den Inhalt immer mehr verdrängt.“ Sie vermitteln, betont sie weiter, dass der Sinn des Lebens darin bestünde "das eigene Ich permanent und penetrant in den Mittelpunkt zu rücken, es erst zur Marke und dann zum Bestseller zu machen." (zit. n. »Wikipedia)

Soziologisch betrachtet, reiht sich das Konzept und Format von Germany's Next Topmodel by Heidi Klum in das Streben ein, mit dem wir heute "nach Einzigartigkeit und Außergewöhnlichkeit" (Reckwitz 2017/2019, S.9) suchen. Alles wird daran gemessen, ob es irgendwie besonders ist: "wie man wohnt, wie man isst, wohin und wie man reist, wie man den eigenen Freundeskreis gestaltet", oder eben auch wie man "läuft". So "performen" wir unser vermeintlich "besonderes Selbst vor den Anderen, die zum Publikum werden.  Nur wenn es authentisch wirkt, ist es attraktiv." (ebd.).

In dieser "Kultur des Authentischen" und "Kultur des Attraktiven" (ebd., S.10) hat auch GNTM seinen Platz auf dem "umfassenden sozialen Attraktivitätsmarkt" (ebd.) gefunden. Die Sendung ist wie die allgegenwärtigen sozialen Medien mit ihren Profilen eine Arena, wo der "Kampf um Sichtbarkeit" (ebd.) eben besonders intensiv tobt.

Das mag man gut finden oder nicht, es ist die von uns selbst geschaffene, sozial fabrizierte Realität.

(Quellen: Hans Hoff, Man stürzt nicht nur einmal. Scheitern ist bei Castingshows wichtig – vor allem, wenn es um die Schönheit junger Frauen geht, in: Süddeutsche Zeitung, 3.3.2011; Meike Laaf: Die Gleichschaltung der Gesichter. GERMANY’S NEXT TOPMODEL Was passiert, wenn man mit der Hannah-Arendt-Kanone auf einen Spatzen wie Heidi Klum schießt? in: die tageszeitung 3.3.2011; Mark Stöhr: Und da laufen Heidis Mädchen wieder, stern.de, 4.3.11, Thore Rausch,  (2025): Jetzt dürfen sie Torte essen. Viel Diversität, nette Worte und ein "ganz großes Danke": Wie Heidi Klum mit "Germany's Next Topmodel versucht auf Sendung zu bleiben, in: Süddeutsche Zeitung, 15./16.2.2025) Andreas Reckwitz: Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne, Berlin: Suhrkamp 2017, wissenschaftliche Sonderausgabe 2019;)

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Domina und Kluminator - Heidi Klums totalitäres Konzept in Germany’s Next Topmodell

Gert Egle 2011, zuletzt neu bearbeitet am: 17.02.2025

   
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  2. Setzen Sie sich mit dem Text kritisch auseinander.

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  1. Diskutieren Sie in Ihrer Lerngruppe: Was halten Sie von dem Fernsehformat "Germany's Next Topmodel"?

  2. Suchen Sie drei Thesen heraus, zu denen Sie Ihre eigene Argumentation nach dem allgemeinen Argumentationsschema zur erweiterten Argumentation entwickeln und notieren.

  3. Verfassen Sie einen kommentierenden Leserbrief zu dem Text.

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