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Die Zeit läuft. Was kommt nach "Fridays for Future" und den Demos gegen rechts?

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Die Zeit läuft. Was kommt nach "Fridays for Future" und den Demos gegen rechts?

Früher galt Deutschland als ausgesprochen protestfaul. Wenn unsere französischen Nachbarn zu Hunderttausenden auf die Straße gingen, um gegen bestimmte Maßnahmen ihrer Regierung zu demonstrieren, sahen die Deutschen im Allgemeinen eher mit einem Unbehagen als mit Sympathie für die Anliegen der Demonstranten zu, wenn sie, abends auf der Couch, Bilder von Massenprotesten in den französischen Großstädten über das Fernsehen erreichten. Der französische Sansculottismus sagten historisch Bewanderte war nichts für die deutsche Seele.

Proteste können dabei sehr unterschiedlich ausfallen. Der Protestforscher Simon Teune unterscheidet dabei zwischen demonstrativen und konfrontativen Protesten. Zu den demonstrativen Protestformen gehören z. B. Kundgebungen und Protestmärsche, zu den konfrontativen z. B. unangemeldete Proteste, Blockaden oder auch leichte Sachbeschädigungen. Dass der Anteil der konfrontativen und gewaltförmigen Proteste seit 1990 zugenommen hat, liegt, so Teune, "vor allem an der rechten Gewalt."

Auch in Deutschland haben öffentliche Proteste seit 1950 langsam zugenommen. Meistens geschah dies mit zeitweiligen Protestwellen, die zwar immer wieder abgeflacht sind, aber doch immer insgesamt ein höheres Protestniveau als vorher hinterlassen haben. Im Grunde genommen wuchsen also immer mehr Menschen heran, für die das Protestieren zu ihrem politisch-gesellschaftlichen Leben dazugehörte.

Angefangen hat diese Entwicklung mit dem Protest gegen die Wiederbewaffnung der neu gegründeten Bundesrepublik in den 1950er Jahren, fortgeführt wurde sie in den Protesten gegen die so genannte Notstandgesetze, als z. B. am 11. Mai 1968 Zehntausende weitgehend friedlich in einem »Sternmarsch in die damalige Bundeshauptstadt Bonn zogen, um ihren Protest gegen die in ihren Augen nicht hinnehmbare Eingriffsmöglichkeit der Staatsorgane in die Grundrechte zum Ausdruck zu bringen. Ein neues Protestniveau wurde in der alten Bundesrepublik Ende der 1960er Jahre erreicht, als im Rahmen der  »westdeutschen Studentenbewegung nicht nur neue Formen des gewaltfreien öffentlichen Protests (z. B. Sit-ins) in Mode kamen. Aber in  Auseinandersetzungen mit der Polizei beim Widerstand gegen Fahrpreiserhöhungen im Öffentlichen Nahverkehr, bei Angriffen auf US-Einrichtungen in Deutschland wie z. B. »Amerika-Häuser im Zuge des Anti-Vietnam-Protestes oder auch anlässlich von »Hausbesetzungen, die sich gegen Immobilienspekulation richteten, war auch eine steigende Gewaltbereitschaft festzustellen. Anfang der 1980er Jahre erreichten neue soziale Bewegungen, die sich gegen die Stationierung von amerikanischen Mittelstreckenraketen im Zuge der so genannten Nachrüstung (»NATO-Doppelbeschluss) wandten oder gegen den weiteren Ausbau von Atomenergie (»Anti-Atom-Kraft-Bewegung) neue Mobilisierungen. Zeitweilig konnte auch die »Frauenbewegung mit ihrem Protest gegen den »Abtreibungsparagraphen 218 StGB größere Mobilisierungen erreichen. Im letzten Jahrzehnt des letzten Jahrhunderts kam es dann zu einer Zunahme rassistisch motivierter Gewalt und von Protesten, die sich dagegen formierten.

Nach der Jahrtausendwende entwickelten sich weitere Protestwellen wie z. B. die Proteste gegen die Globalisierung, Demonstrationen gegen den »Irakkrieg bzw. 3. Golfkrieg im März 2003, den eine von den USA geführte Koalition zum Sturz des irakischen Diktators »Sadam Hussein führte oder auch das Wiederaufflammen der Anti-Atomkraft-Proteste im Zuge der Auseinandersetzung um die »Laufzeitverlängerung für die bestehenden Atomkraft-Werke und den »Atomausstieg (2011) nach der »Atomkatastrophe von Fukushima (März 2011). Aber auch die »Proteste gegen den Ausbau des Stuttgarter Bahnhofes (Stuttgart 21) setzten mit ihren über 700 Kundgebungen eine neue Höchstmarke: Wohl nirgendwo sonst hielt und hält der Bürgerprotest so lange an.

An das, was danach kam, können sich die meisten wohl noch erinnern, sehr viele waren dabei, als es vor ein paar Jahren Zehntausende, meistens junge Menschen, auf die Straßen trieb, um während weltweit stattfindender Schulstreiks gegen die Klimapolitik ihrer Regierungen zu demonstrieren. 2019 brachte die Bewegung "Fridays für Future" dafür am globalen Klimastreiktag 1,4 Millionen Menschen auf die Straße.

Ende 2023 und Anfang 2024 brachten in zahllosen Städten Deutschlands Hunderttausende ihren ganzen Unmut über die immer stärker werdende Bedrohung unserer Demokratie durch rechtsextreme Parteien, namentlich die AfD, mit zahlreichen Protestmärschen und Kundgebungen zum Ausdruck. Anfang 2024 sollen dies auf den Demos gegen rechts zwei Millionen Menschen gewesen sein. So viele Menschen, wie die "Fridays" und die "Demos gegen rechts" auf die Straße gebracht haben, hat es wohl in früheren Zeiten nicht gegeben.

Doch inzwischen herrscht Flaute und es steht zu befürchten, dass sich die rechtsextremen Wutbürgerinnen und -bürger den öffentlichen Raum zurückerobern, den sie vor Jahren mit ihren lautstark anmaßenden »Pegida-Rufen "Wir sind das Volk!" in Dresden und anderswo bei ihren öffentlichen Protestversammlungen zu dem ihrigen erklärt zu haben schienen.

Der Protestforscher Simon Teune beobachtet schon seit geraumer Zeit, und das weltweit, "eine stärkere Mobilisierung für demokratiefeindliche Positionen." Proteste würden zunehmend von Akteuren genutzt, die mehr oder weniger offen für eine Einschränkung demokratischer Rechte einträten.

Ob eine Protestbewegung letzten Endes politischen Erfolg hat, hängt von etlichen Faktoren ab. "Einen direkte Linie von Protest zum politischen Erfolg", weiß Teune, ist eher selten. Sie wirken, so betont er eher indirekt, "indem sie die Wahrnehmung der Menschen verändern, ihr Wahlverhalten und immer wieder auch die Parteienlandschaft."

Außer der »CDU, der »CSU und der »FDP haben alle relevanten heutigen Parteien in sozialen Bewegungen: Die SPD auf die historische »Arbeiterbewegung, die »Grünen auf die »neue Friedens-, »Frauen- und die »Anti-Atom-Kraft-Bewegung. Die AfD erhielt den nötigen Anschub durch »Pegida und das »Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) speist sich aus der Protestwelle, die sich gegen die Corona-Maßnahmen während der »Corona-Pandemie (2019-2023) und die Waffenlieferungen an die Ukraine in ihrem Widerstand gegen den »russischen Angriffskrieg richtet.

Die "Fridays-for-Future"-Proteste waren lange Zeit vor allem eine Domäne junger Menschen. Zu Beginn des Jahres 2019 betrug der Anteil der unter 25-Jährigen 70 Prozent, am Ende des gleichen Jahres nur noch bei 37 Prozent. Woran das liegt, kann auch der Protestforscher Teune nicht so recht sagen. Vielleicht war es neben den Zielen eben auch die Aktionsform ihres Protestes, der Klimastreik, der sie auf die Straße getrieben hat. Offenbar hat diese aber auch dazu geführt, dass sich die soziale Basis erweitert hat und inzwischen auch Omas und Opas bzw. Menschen jenseits der Verrentung für das Klima auf die Straße zieht. Und doch bleibt es eine offene Frage: Warum lassen sich die jungen Leute von heute so einfach abwimmeln?

Was Teune weitaus mehr Sorge bereitet als die Tatsache, dass die beiden großen Protestwellen der letzten Jahre wieder abgeebbt sind ("Bei sozialen Medien gibt es Phasen der Latenz, in denen die Aktivität unter der Schwelle der Medienaufmerksamkeit bleibt."). Was ihn beschäftigt, ist vor allem, dass es heute eine neue, sehr mobilisierungsstarke, soziale Bewegung von rechts gibt, die mit allen Mitteln versucht, gesellschaftlich anschlussfähig zu werden und dazu wichtige gesellschaftliche Themen aufgreift, in ihrem Sinne transformiert und damit den rassistischen Kern ihrer Politik zeitweilig verschleiert. Auf diese Weise arbeitet sie systematisch darauf hin, dass die so genannte "Brandmauer" bei Koalitionen in Bund und Ländern fällt, wenn es ihr gelingt, eine größere Zahl von Menschen an ihren Protestaktionen zu beteiligen, die sich über das nur noch eingeschränkt gültige gesellschaftliche Tabu hinwegsetzen, mit der extremen Rechten in der Öffentlichkeit gemeinsam zu protestieren.

Der Zuspruch, den die AfD bei den Wahlen, auch bei den jungen Wählerinnen und Wählern, gefunden hat, ist ein Menetekel an der Wand, das alle Alarmglocken läuten lassen sollte. Jetzt hilft kein Wegducken, denn die Zeiten werden ja nicht einfacher. Nur die Populisten von rechts und links bieten "Einfaches", weil sie "einfach" nur menschenfeindliche und rassistische Emotionen und Überzeugungen aufrufen, statt Konzepte zur Lösung politischer und gesellschaftlicher Probleme auf der Grundlage der Anerkennung elementarer Menschen- und Grundrechte anzubieten.

Grund genug, ihnen den öffentlichen Raum nicht zu überlassen. Die Zeit läuft ...

(Quelle: "Proteste wirken meist indirekt." Klimastreiks, Bauernproteste, Demos gegen rechts: Lohnt es sich, auf die Straße zu gehen? Ein Gespräch mit dem Protestforscher Simon Teune, in: Süddeutsche Zeitung, 23./24.11.2024)

Gert Egle, 20.1.2025

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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 20.01.2025

   
   Arbeitsanregungen zur Texterörterung
:
  1. Geben Sie den Text in Form einer strukturierten Textwiedergabe wieder.

  2. Arbeiten Sie heraus, wie sich die "Protestkultur" in Deutschland entwickelt hat.

  3. Wie beurteilt der Autor bzw. der Protestforscher Teune die gegenwärtige Entwicklung?

  4. Nehmen Sie zu diesen Aussagen kritisch Stellung.

 
 
 

 
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