Auch wenn der "eigentliche" Sinn
einer ▪
traditionellen Parabel in einem über den Text hinausgehenden
Bedeutungszusammenhang (=
Sachbereich) zu sehen ist, auf den sie verweist, darf die
Analyse des
Bildbereichs bei der ▪
schulischen Interpretation von traditionellen Parabeln nicht zu
kurz kommen.
Das bedeutet dabei
nicht, dass man beim ▪(sinnkonstruierenden)
Lesen eines solchen Textes sich quasi nur auf der Textebene
bewegt. Das ist prinzipiell nicht richtig und ist es natürlich noch
weniger, wenn man schon vorher weiß, dass es sich um eine
traditionelle Parabel handelt, die ihre Leser belehren will (=
didaktische Funktion) und vielleicht auch ein entsprechendes (Vor-)wissen
(z. B.
Fachwissen,
Textmusterwissen,
thematisches Wissen) einbringen kann. So bilden sich natürlich
auch schon beim ersten Lesen Vorstellungen über den Text und seinen
Sinn, die vom Text ausgehen, sich aber auch ständig mit dem
verbinden, was man schon über solche Texte weiß.
Zu dem Vorwissen,
das jeder Schüler bzw. jede Schülerin aus dem Unterricht mitbringen
sollte, ehe er sich an eine ▪
produktorientierte umfassende Schreibaufgabe zur schriftlichen
Interpretation im
Leistungsraum macht, gehört dabei, dass man zumindest ein
anderes, am besten, einen Prototypen wie z. B. ▪
Gotthold Ephraim Lessings (1779-1781) (1729-1781)▪
Ringparabel
in seinem Drama ▪
Nathan der Weise
(1779) analysiert oder aber mehrere andere Beispiele als
Prototypen
kennengelernt hat.
Ist dies der Fall,
dann gehört das Wissen über die
Doppelstruktur traditioneller
Parabeln, mit ihrem engen Verweisungszusammenhang von
▪
Bild- und Sachbereich
und/oder einzelner ihrer Elemente zum Vorwissen, auf das aufgebaut
werden kann. Zugleich gewinnt man damit aber auch Erfahrung im
Umgang mit den traditionellen Lehrparabeln, die auch in Inhalt,
Thema und bei der konkreten Ausgestaltung des
Verweisungszusammenhangs auch eine eigene Vielfalt haben.
Die Kenntnis dieser
Doppelstruktur, die stets einer didaktischen Funktion
untergeordnet ist, zielt dabei auf eine Lehre oder Wahrheit in einem
im Idealfall geschlossenen, in sich kohärenten und nicht zu
hinterfragenden Weltbild. Auch wenn man dieses als heutiger Leser vielleicht
nicht teilt, ist für die Wirkungsabsicht solcher Texte aber zentral ist.
Natürlich sind auch solche Weltbilder in der Geschichte nicht in
Stein gemeißelt und ändern sich.
Wichtig ist aber
auch: In unserer multikulturellen Gesellschaft gehören eben auch
Traditionen des christlichen Abendlandes nicht zum Horizont eines
jeden Schülers, der sich mit der Interpretation traditioneller
Parabeln mit z. B. einem irgendwie christlich-religiösen Bezug befasst.
Aus diesem Grund
ist es gut, wenn man über das Wissen um die Doppelstruktur der
traditionellen Parabel hinaus auch weiß, wer sie wann und wo
verfasst hat, um Rückschlüsse auf das jeweils dahinterstehende
Weltbild ziehen zu können. Ohne diese
Kontexteinbettung ist es oft
schwierig, ein Verständnis für Texte zu entwickeln, die in weiter
zurückliegenden Zeit entstanden sind.
Was dem lesenden
Publikum zu einer Zeit, als Autoren und Leser in unserem Kulturraum
noch über ein von der christlichen Lehre bestimmtes gemeinsames
Weltbild verfügten oder sich an den Prinzipien der Aufklärung mit
ihrem Vernunftdenken orientierten, verständlich war, ist es es heute
jedenfalls nicht mehr ohne Weiteres. Und moderne didaktische
Parabeln, deren Autoren andere Ideologien unters
Volk bringen wollen, sind oft auch nicht gerade aus sich heraus zu
verstehen.
Gut also, wer gelernt hat,
welche ▪
Autoren für das eine oder andere stehen, oder aus dem Material,
das Interpretationsaufgaben beigefügt ist (z. B. Angaben über einen
Autor und seine Zeit), entsprechende Informationen herausarbeiten
kann.
Ingesamt lässt die
traditionelle Parabel dem Leser, das ergibt sich aus dem meistens
engen Verweisungszusammenhang von Bild- und Sachbereich und ihrer
lehrhaften (didaktischen) Funktion keinen oder nur wenig Spielraum für
eigene Sichtweisen. Wer also die konzeptuelle Basis der vermittelten
Lehre nicht teilt, wird oft ohne Hinzuziehung von Kotexten bzw.
Kontexten auch wenig mit ihnen anfangen können:
Denn
auch traditionelle Parabeln können einem Leser fremd bleiben.