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Das ist wirklich eine gute Frage. Denn nicht selten steht unter einem mühsam
verfassten
Interpretationsaufsatz oder als Randbemerkung daran, dass die
Ausführungen einen zu geringen Textbezug haben.
Allerdings lässt sich nicht ganz hundertprozentig genau sagen, was da im
konkreten Fall gemeint ist. Es lohnt sich da schon, mal bei seinem Lehrer
oder seiner Lehrerin nachzufragen, was sie im speziellen Fall damit meint.
Trotz
alledem: Was Textbezug bedeutet, lässt sich schon sagen, und - auch lernen.
Ganz knapp und etwas grob:
Was man sagt/schreibt, muss sich auf etwas beziehen, was im Text steht.
So einfach ist das im Allgemeinen. Allerdings gibt es natürlich auch
einen weiteren Begriff von Textbezug, der dann nicht nur umfasst, was im
Text steht, sondern auch verschiedene Kontexte (z. B historisch-sozialer
oder biographischer Kontext) berücksichtigt, die in einem Bezug zum Text
stehen.
Bei der in der Schule allerdings üblichen
werkimmanenten
Interpretationsmethode, die einen Literaturbegriff zugrunde legt, bei
dem der literarische Text ein quasi autonomes Gebilde ist, wird man aber dem
engeren Begriff den Vorzug geben.
Alle Ausführungen, die man macht, müssen sich auf etwas beziehen, was
im Text selbst vorhanden ist.
So könnte man jedenfalls mit einbeziehen, dass das zu berücksichtigen
ist, was möglicherweise "zwischen den Zeilen" steht, also nicht unbedingt
ausdrücklich formuliert ist. Dabei kann es unterschiedliche Ebenen des
Textverständnisses ergeben. Denn, es kann ja gut sein, dass einem bestimmte
Dinge, die "im Text stehen", erst im zweiten oder dritten Lektüredurchgang
auffallen. Der Erkenntnisprozess folgt hier dem
Modell des
hermeneutischen Zirkels, der in einer kreisförmigen Bewegung immer
wieder zu einem je neu konstruierten, erweiterten, "verbesserten"
Textverständnis führt.
Wer sich also "aus dem hohlen Bauch", frei über einen Text äußert, ohne
sichtbar zu machen, worauf er sich im Text bezieht, der muss sich den
Vorwurf mangelnden Textbezugs gefallen lassen.
Schön, schön - aber wie macht man das jetzt konkret?
Es gibt mehrere Möglichkeiten. Das Wichtigste ist: Aussagen über
einen Text müssen am Text
belegt werden. Wie man das macht, zeigt der nachfolgende ein Überblick:
-
Sinngemäß oder
wörtlich
zitieren
-
Den Text
inhaltlich wiedergeben und die Wiedergabe sprachlich kenntlich machen
-
Allgemeine Äußerungen zum Text mit den konkreten Textstellen und
deren Wiedergabe verbinden und diese Verbindung auch ausführen
Beispiel:
Der Auszug aus dem Interpretationsaufsatz stellt die hier vollständig
zitierte Antwort auf die folgende Frage der Arbeitsanweisung dar:
Der Schüler referiert eigentlich nur in Form und Stil den Textinhalt, und
hier insbesondere die äußere Handlung, ohne zu einer genaueren Analyse des
Verhaltens des gekündigten Mannes vorzudringen. Dementsprechend gelingt es
ihm nicht, unter dem systematischen Ansatz den nötigen Textbezug
herzustellen)
Theo Schmich,
Die Kündigung (Auszug)
"Im Zuge notwendiger
Personaleinsparungen müssen wir leider auch Sie entlassen", sagte der
Personalchef zu dem Mann, den er in sein Büro gerufen hatte, und der
ihm nun gegenüber saß. Bekümmert hob er die Arme und ließ sie wieder
sinken, um darzutun, wie leid ihm diese Entscheidung tat.
Der Mann antwortete nicht sofort. Es kam zu plötzlich. "Sie sind nicht
der Einzige", sagte der Personalchef nach einer Pause. "Wir mussten
noch achtzig andere entlassen." Der Mann nahm an, dass das ein Trost
sein sollte. Ungläubig schüttelte er den Kopf.
"Wieso bin gerade ich dabei?", fragte er schließlich. "Bin ich - habe
ich denn so schlecht gearbeitet?"
"Das weiß ich nicht!" antwortete der Personalchef. "Ich teile Ihnen
Ihre Entlassung nur mit. Sie brauchen es nicht persönlich zu nehmen.
Unser Elektronenrechner hat Sie und die achtzig anderen ausgesucht."
"Wie das?", fragte der Mann verwirrt.
"Wir haben dem Rechenautomaten die Daten aus den Akten sämtlicher
Belegschaftsmitglieder eingegeben" erklärte der Personalchef
ungeduldig. "Nun, und dabei hat der Automat eben entschieden, dass Sie
am ehesten für eine Entlassung in Frage kommen. So leid es uns
natürlich tut, überhaupt einen Mann entlassen zu müssen."
"Aber - ich verstehe nicht -", stotterte der Mann. "Mehr kann ich
Ihnen dazu nicht sagen", fiel der Personalchef ihm ins Wort. "Ich
wünsche Ihnen für die Zukunft alles Gute. Sie entschuldigen mich. Ich
muss noch achtzig weitere zu mir rufen. Kopf hoch! Sie sind noch nicht
so alt, als dass Sie nicht woanders etwas finden könnten." Dabei
setzte er ein so liebenswürdiges und optimistisches Lächeln auf, dass
der Mann für einen flüchtigen Augenblick glaubte, es sei etwas
Schönes, entlassen zu werden.
Er blieb noch einen Moment sitzen. Das ganze kam ihm so unwirklich
vor. Doch schließlich erhob er sich, murmelte "Danke" und ging hinaus.
Während er durch die vertrauten Flure des Bürogebäudes schritt,
wiederholte er sich ständig, was der Personalchef gesagt hatte. Und
allmählich wurde er sich der ganzen Tragweite seiner Entlassung
bewusst. Er war versucht, zurückzulaufen und den Personalchef um Gnade
zu bitten. Aber dann ließ er es. [...] |
Auszug aus
einem Interpretationsaufsatz:
Der Mitarbeiter kommt mit der
plötzlichen unerwarteten Situation nicht klar und versucht, den Grund
für seine Kündigung beim Vorgesetzten, Personalchef und Betriebsrat
herauszufinden. Der Personalchef erklärt ihm, dass an allem nur ein
Computer schuld sei. Daraufhin geht der Mann zu seinem Chef und
erfährt von ihm im Grunde das Gleiche. Enttäuscht, aber noch mit einem
kleinen Funken Hoffnung, sucht er zuletzt Hilfe beim Betriebsrat. Als
der auch nichts anderes zu sagen hat, ist der Mann fertig. |
Vorschlag für eine verbesserte Fassung mit
klarem Textbezug: Der
Mitarbeiter kommt mit der plötzlichen unerwarteten Situation nicht
klar und versucht, den Grund für seine Kündigung beim Vorgesetzten,
Personalchef und Betriebsrat herauszufinden. Als der Personalchef die
Entlassung mitteilt und seine hilflosen Erklärungen abgibt, wirkt der
Mann zunächst wie gelähmt. Er braucht einige Zeit, bis er sich dazu
überhaupt äußert ("Der Mann antwortete nicht sofort."), er schüttelt
ungläubig den Kopf, zeigt sich dann "verwirrt" und fängt sogar an zu
stottern, als er sich rechtfertigen will. Dass er sich beim Verlassen
des Zimmers noch bedankt, drückt aus, wie wenig er sich in diesem
Moment noch bewusst ist, was die Entlassung für ihn bedeutet. Als es
ihm draußen auf dem Flur allmählich zu Bewusstsein kommt, spielt er
schon mit dem Gedanken, einfach um Gnade zu bitten, um das Schicksal
der Arbeitslosigkeit von sich abzuwenden.[...] |
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