Ein Modell, aber kein "Königsweg" für jede/n Schreiber/in
Ein Modell für
Arbeitsschritte bei der
Textinterpretation zu erstellen, läuft immer Gefahr, der
Vielzahl möglicher Interpretationen und
Interpretationsmethoden
nicht gerecht zu werden. Das hier vorgestellte Modell
orientiert sich an den Erfordernissen schulischer
Textinterpretation. Daher hat das hier vorgestellte Modell nur den Anspruch, Hilfestellung bei der
werkimmanenten
Interpretation zu leisten, die auch heute noch die am weitesten
verbreitete Methode im Literaturunterricht darstellt. Zugleich
beabsichtigt es auch nicht, die werkimmanente Interpretation allein zum
Maßstab der Interpretationsleistung zu machen. Das ist auch im schulischen
Kontext – wie im Übrigen sonst auch – weder gewünscht noch erreichbar. So
können und sollen auch andere Verfahren und Interpretationsansätze zur
Deutung fiktionaler Texte in die überwiegend werkimmanente Orientierung
der Textinterpretation eingebracht werden.
Dieser Methodenpluralismus
steht der ansonsten tendenziellen Überbewertung einer einzelnen Methode
entgegen, die das vielfältige Sinnpotential eines Textes keineswegs
erfassen kann. In diesem Sinne handelt es sich hier um kein geschlossenes System,
sondern das vorliegende Modell ist offen für pragmatische
Erweiterungen. So ist also die nachfolgende Abfolge von
Arbeitsschritten auch nicht mehr als ein Angebot, die einzelnen
gedanklichen Operationen und Analyseschritte in eine sinnvolle Abfolge von
einzelnen, linear zu durchlaufender Arbeitsschritte zu bringen. Das
bedeutet freilich nicht, dass von dieser Abfolge nicht abgewichen werden
kann. Gerade einem etwas erfahreneren Interpreten wird dies auch anzuraten
sein, um keinem übertriebenen Schematismus zu unterliegen.
Die dargestellten Arbeitsschritte (»Tabellarische
Übersicht) versuchen den hermeneutischen Grundsätzen beim
Verstehensprozess zu folgen.
Das bedeutet, dass ein Leser sein nach der ersten Lektüre gewonnenes
erstes Textverständnis im Verlauf seiner Analyse überprüft (hermeneutischer
Zirkel). Diese Überprüfung kann dazu führen, dass dieses erste
Textverständnis mit weiteren Beobachtungen erhärtet oder widerlegt, in
jedem Falle aber durch das dabei gewonnene "Mehr" an Wissen über den Text
modifiziert wird. Und am vorläufigen Ende dieses Prozess steht schließlich
das Gesamtverständnis (= Gesamtdeutung, Interpretation) des Textes.
Stützstrategien nutzen
Stützstrategien können bei der Textrezeption helfen. Darunter
versteht man
Lesestrategien, die mit Zielsetzung und Zeitplanung, Konzentration und
"Überwachung" des Lesevorgangs und der Textrezeption zu tun haben.
Mit "Überwachungsstrategien" (metakognitive
Strategien) will man den Fortgang der eigenen Lesetätigkeit in Bezug
auf das Textverstehen kontrollieren. Das bedeutet u. a.
-
sich die eigenen kognitiven Prozesse bei der Textrezeption überhaupt
bewusst machen und dafür sensibel zu sein
-
einzusehen, dass man bei der Textrezeption planvoll vorgehen muss
-
zu wissen, über welche eigenen Kompetenzen (z. B. allgemeines
Weltwissen,
Fachwissen, Vorwissen,
Textmusterwissen ...) man verfügt
-
zu erkennen, welche Schwierigkeiten Aufgaben haben und welche
Anforderungen sie stellen
-
den Textverstehensprozess unter dem Blickwinkel der verfügbaren Zeit
und dem Anspruchsniveau der Aufgabe realistisch zu planen
-
sich Strategien für Verstehensprobleme vorzunehmen wie die
Lesegeschwindigkeit an die Textschwierigkeit anzupassen, mehrfaches
Lesen, Text vorwärts- und rückwärts lesen
Insbesondere sollten aber auch die äußeren Bedingungen für die
Textarbeit und die Konzentration auf die bevorstehende Aufgabe
stimmen. Dazu sollte man u. a. : seine Aufmerksamkeit steuern, die
Konzentration aufrecht erhalten, seine Angst vor der bevorstehenden
Aufgabe bewältigen, sich selbst motivieren, positive, den eigenen
Selbstwert steigernde Bedingungen schaffen, sich selbst Kompetenz
zusprechen ... (affektive
und volitionale Strategien)
Gert Egle. zuletzt bearbeitet am:
12.07.2024
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