Der oder das
▪
Abstract
(engl. to abstract = einen Auszug machen) wird häufig
synonym mit dem
englischen Begriff des ▪ Summary
(engl. summary = Zusammenfassung) verwendet, manchmal fungiert der
deutsche Begriff Zusammenfassung (Summary)
auch als Überbegriff zu Abstract. (vgl.
Kretzenbacher 1990, S. 27).
Abstract und Summary lassen sich
jedenfalls, da dies auch in der
einschlägigen Fachliteratur nicht einheitlich geregelt ist
(vgl.
Kretzenbacher 1990, S. 27), in der Praxis nicht immer eindeutig
voneinander abgrenzen. (▪ Beispiele)
Dies gilt insbesondere dann, wenn man beide auf
der Grundlage inhaltlicher Strukturen unterscheiden will. Die Frage, ob
es sich im linguistischen Sinne beim Abstract um eine
eigenständige
Textsorte oder um einen Teiltexttyp handelt, kann
unterschiedlich beantwortet werden. (Oldenburg 1992,
S. 72, Anm. 1) (▪ Merkmale,
Funktionen,
Formen)
Rolf (1993, S.194) zählt das Abstract unter
▪
textlinguistischer
Perspektive zu den disputierenden
Textsorten, deren Funktion darin besteht, "ein bestimmtes
theoretisches Problem in einem mehr oder weniger großen Umfang und unter
Einbeziehung eines mehr oder weniger umgreifenden Zusammenhangs zu
erörtern."
Das Abstract ist danach, wie die anderen disputierenden
Textsorten,"primär auf die Darlegung von Inhalten (Daten) in einem ihnen
gemäßen theoretischen Zusammenhang ausgerichtet." (ebd.,
S.197) Das Abstract zählt er dabei zur Gruppe der
expositorischen
Textsorten, die eine
reine Darlegungs- oder Aufklärungsintention
verfolgen.
Mit Anmerkung, Annotation, Einleitung, Exkurs, Exzerpt,
Impressum, Inhaltsangabe usw. teilt es insbesondere das Merkmal der
Intertextualität, d.h. es bezieht
sich auf andere Texte in ihrer unmittelbaren Umgebung, steht in einem
quasi flankierenden Verhältnis zu diesen Bezugstexten, für deren
"besseres, umfassenderes, tieferes Verständnis" es sorgen soll. (ebd.)
Bei Abstract und Summary (Kurzreferat und Zusammenfassung) handelt es
sich jedenfalls nach
Kretzenbacher (1990, S.13) um
▪ Formen der
Textwiedergabe, genauer um verkürzte und pointierte mündliche oder schriftliche
Rekapitulationen
(Zusammenfassungen) eines Originals (z. B. von Texten, Filmen,
Ereignissen etc.).
Sie sind
-
"Kurztexte, weil sie
eine gewisse, von verschiedenen Faktoren abhängige Länge nicht
überschreiten dürfen, ohne einen für die Textgruppe atypischen Charakter
zu erhalten"
-
"Sekundärtexte, im
weiteren Sinne Metatexte, im Gegensatz zu primären Kurztexten wie
Witz, Kurzlyrik, Kurzgeschichte, Heiratsanzeige usw." (Intertextualität)
-
Texte, deren Bezug "auf die
Primärtexte (...) überwiegend reproduktiv (ist) (eine überwiegend
produktive Sekundärform wäre etwa die Parodie, von der es nicht nur
Kurz-, sondern auch Langformen gibt"
Die Bedeutung des Abstracts ergibt
sich aus den allgemeinen Bedingungen der »Informations-
und »Wissensgesellschaft.
Diese zeichnet sich u. a. durch die Ȇberflutung
mit Informationen (Information overload oder information flood) und
durch eine »Informationsexplosion
aus, die neue Anforderungen stellt. Gefordert sind u. a. ein »Informationsmanagement,
»Medienkompetenz
(media literacy) und eine »Informationskompetenz
(Information Literacy, die bestimmte Fähigkeiten impliziert: Man muss einen
Informationsbedarf erkennen, Informationen dazu lokalisieren und
organisieren, relevante Informationen auswählen und ggf. präsentieren. Dabei erstreckt sich die
Informationssuche heutzutage auch stets auf das Internet bzw.
Datenbanken, deren Wissensbestände nur mit komplexen Suchtechniken (»Information-Retrieval-Systeme)
verfügbar gemacht werden können.
Gerade Abstracts fallen in diesem Zusammenhang wichtige Aufgaben zu, da
sie durch die ihnen eigene ▪ Informationsverdichtung grundlegende
Funktionen (Referenz-,
Substitutions- und
Kognitionsfunktion) erfüllen können. Diese machen Abstracts auch besonders gut
geeignet für die Informationsverarbeitung in elektronischen
Informations- und Dokumentationssystemen (z. B. Volltext-Recherche
etc,).

Eine Abgrenzung der Begriffe Zusammenfassung und Abstract nimmt
Oldenburg (1992, S. 78f.) auf der Grundlage der Stellung beider
Formen im Produktionsprozess des Textes vor.
-
Danach werden Abstracts
"grundsätzlich vom gesamten Text abgeleitet" und grenzen sich von
Zusammenfassungen als Teiltexten ab, "die am Ende eines Textes stehen
und in vielen Fällen durch eine eigene Teiltextüberschrift und/oder
typographisch markiert sind. Sie unterscheiden sich von Abstracts
dadurch, dass sie auch neue Informationen oder Überlegungen in den Text
einführen können, während sich Abstracts, die im Textproduktionsprozess
an letzter Stelle stehen, grundsätzlich auf den gesamten Text beziehen
und nicht über das bisher Gesagte hinausgehen können." (ebd.,
S.80)
-
Ferner zeichnen sich Zusammenfassungen dadurch aus, dass sie
"in mindestens einem Teiltextsegment wesentliche Ergebnisse" eines
Ausgangstextes zusammenfassen, "wobei sich dieses Teiltextsegment oder
diese Teiltextsegmente auf den gesamten Aufsatz und nicht nur auf eine
unmittelbar vorausgehende Darstellung eines Teils der Ergebnisse
beziehen müssen". (ebd.)
Aus
diesem Grunde darf ihnen auch kein weiterer Teiltext folgen.
Gegen eine weitgehend synonyme Verwendung der Begriffe Zusammenfassung
als einem "unselbständigen" Teiltext einer bestimmten Textsorte und dem
Abstract als zumindest teilweise "eigenständigem" Text spricht auch die
Tatsache, dass beide sich bei der Häufigkeit der verwendeten
sprachlichen Strategien zur Informationsverdichtung (Textkondensationsstrategien)
durchaus unterscheiden (z. B. höherer Anteil von Verbalsubstantiven und
passivischen Konstruktionen beim Abstract). (vgl.
Oldenburg 1992, S. 113) Weitere fachtextlinguistische
Untersuchungen werden sich mit diesen und anderen Fragen zu befassen
haben.
Abstract und Deutschunterricht
Im Deutschunterricht und in der entsprechenden Fachdidaktik hat das
Abstract als ▪
schulische Schreibform noch kaum Eingang gefunden, da sein
Gegenstand, jedenfalls im deutschsprachigen Raum, fachwissenschaftliche
Texte sind, die erst auf der Grundlage eines soliden
fachwissenschaftlichen Wissens, wie es an den Hochschulen gelehrt wird,
schreibformgemäß zusammengefasst werden können. In jedem Falle schaffen
die schulischen Schreibformen zur
▪ Textwiedergabe,
unter fachdidaktischem Blickwinkel gesehen, wichtige sprachliche,
▪
kognitions- und
▪
kommunikationspsychologische Grundlagen für das
▪
normierte
fachwissenschaftliche Kurzreferat (Abstract).
In
Englisch abgefasste Abstracts gehören heutzutage in den meisten
fachwissenschaftlichen Zeitschriften zu den entsprechenden Artikeln
dazu.
Außerdem werden Abstracts auch von von Fachinformationsdiensten
und professionellen Abstractdiensten angeboten. Ihre systematischen
Abstractsammlungen ausgewählter Zeitschriften oder anderer Publikationen
helfen Wissenschaftlern in ihrer Fachdisziplin den Überblick zu
bewahren, ohne jede einzelne Publikation im Volltext zu lesen.
So werden
z.B. von »Historical
Abstracts Abstracts für den Forschungszeitraum von 1450 bis zur
Gegenwart gesammelt und umfasst etwa eine halbe Million Einträge aus
über 2000 Zeitschriften seit dem Jahr 1955. »America
History and Life kümmert sich um Publikationen zur Geschichte der
USA und Kanadas. Beide bieten ihre Dienste auch online an. Der von dem
Schweizer Schriftsteller gegründete Rolf Dobelli 1999 gegründete
Online-Dienst »getAbstract ist mittlerweile zu einem von vielen Einzelpersonen und
Firmen geschätzten Abstractdienst geworden. Online präsentiert er vor
allem Zusammenfassungen wichtiger Printpublikationen aus dem
Wirtschaftsbereich, aber auch so genannte Klassikerzusammenfassungen.
Für Johann Wolfgang von Goethes Briefroman "Die Leiden des jungen
Werthers", der kostenlos heruntergeladen werden kann, bietet getAbstract
ein insgesamt 8 Seiten umfassendes Material an, das neben dem
eigentlichen Abstract (Inhaltsangabe mit gliedernden
Zwischenüberschriften auf 3 1/2 Seiten), Kurzinformationen über Autor,
Werk und Epoche (sog. Take-Aways), Informationen über Aufbau/Stil,
Interpretationsansätze, historischen Hintergrund und Biographie des
Autors liefert.
Im
Promotionsblog bringt ein am 15.10.08 geposteter Beitrag auf den
Punkt, was Wissenschaftler von einem Abstract erwarten und wie sie bei
der Sichtung von Literatur vorgehen: "Wenn ich nach 200 Worten immer
noch keine Idee davon habe, warum ich den Artikel lesen soll, dann ist
das Mist. [...] Als Leser schaue ich immer zuerst auf den Abstract und
dann auf die Zusammenfassung. Nur wenn das halbwegs stimmig ist, lese
ich den Artikel überhaupt." (http://sebstein.hpfsc.de/2008/10/15/abstract-schreiben/,
15.08.09) So sehen es auch
Gnutzmann/Oldenburg (1990, S. 22), die betonten, dass u. a.
Abstracts "den Lesern häufig als erster Zugang zum Textinhalt dienen und
daher, wie das Ergebnis einer informellen Umfrage unter Wissenschaftlern
und Fachleuten unterschiedlicher Fächer zeigte, eine wichtige
Steuerungsfunktion bei der Informationserschließung innehaben."
Neben der Erstinformation über eine Text und der Überprüfung seiner
Relevanz für einen Sachverhalt, ein Problem oder eine Fragestellung
dient das Abstract aber auch als Strukturierungshilfe während der
Lektüre und danach als Merkhilfe für den Inhalt des Gesamttextes (vgl.
Salager-Meyer 1990, S.367)
Um "Regeln für das Sammeln, Speichern und Auffinden von Daten in
Printmedien und elektronischen Medien aufzustellen" (
Kretzenbacher 1990, S. 2) bemühen sich nationale und internationale
Normenorganisationen. Dabei werden auch Normen für wissenschaftliche Arbeiten,
darunter
Rekapitulationen, gesetzt. Das
»DIN Deutsches Institut für Normung e. V. (kurz DIN),
das die deutsche Normungsorganisation mit Sitz in Berlin ist, hat die
erste Fassung der
DIN-Norm 1426 aus dem Jahre 1973 durch eine Überarbeitung im Jahre
1984 der technischen Entwicklung angepasst. Unter Absatz 3.5 wird das
Abstract (dt. Kurzreferat) darin wie folgt definiert: "Das Kurzreferat gibt kurz und klar den Inhalt des Dokuments wieder.
Das Kurzreferat soll informativ ohne Interpretation und Wertung [...]
und auch ohne die Originalvorlage verständlich sein. [...] Es müssen
nicht alle Inhaltskomponenten des Dokuments dargestellt, sondern es
können auch diejenigen ausgewählt werden, die von besonderer Bedeutung
sind." (DIN 1426, Abs. 3.5) Das »American National Standards Institute (ANSI)
, die nationale Normenorganisation der USA, definiert das Abstract als "an abbreviated accurate representation of the contents of
a document" ("eine gekürzte präzise Darstellung des Inhalts eines
Dokuments“)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
19.02.2023
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