In der Tageszeitung "Südkurier" sind am 29.8.1995 die beiden
folgenden Texte erschienen.
Pack Badehose und den Trauschein ein
"Wir sind eine moderne Familie", schildert Gerhard Bach seine
Lebensverhältnisse. Gemeinsam mit seiner Partnerin kümmert er sich um
deren Kinder. Sie leben in einem Haus und essen an einem Tisch, eine
Familie also. Nein. Die Konstanzer Stadtverwaltung sieht das anders. Nach
der Auffassung des Sport- und Bäderamtes handelt es sich nicht um eine
Familie, weil sie nicht der kulturell gewachsenen Form entspricht.
Der Anlass für diese Beurteilung war ein Antrag der Ferien-Konstanzer.
Gerhard Bach lebt mit seiner Familie in Vaihingen an der Enz. Die vier
haben ihren Wohnwagen während der Sommermonate in Staad stationiert und
besuchen mit Freunden das Jakobsbad. Um die Kosten etwas zu senken, wollte
der Schwabe den Familienpass erwerben. Er füllte den Antrag
ordnungsgemäß aus und scheiterte. Der Grund ist die von ihm
"praktizierte Lebensform".
Bäderamtschef Georg Geiger beruft sich in seiner Ablehnung auf einen
Gemeinderatsbeschluss, nachdem diese Vergünstigung nur verheirateten
Paaren mit Kindern und Alleinerziehenden zusteht. Der Beschluss ist
"aus den 80-er Jahren". In seiner Ablehnung gibt der sonst für
sportliche Fragen zuständige Amtsleiter Ausführungen über die
Kulturgeschichte der Ehe. Sie stehe unter dem besonderen Schutz des
Staates und sei ein Traditionsbestandteil, der zur Stabilität der
Gesellschaft beitrage. Diesem Wert der Familie trage der
Gemeinderatsbeschluss Rechnung. Georg Geiger geht sogar noch weiter. Der
promovierte Chemiker befürchtet, dass Paare ohne Trauschein vom Finanzamt
bevorzugt werden und das Eheversprechen so zu einem teuren Ja-Wort wird.
Zurück zum Bäderpass. Die 310 Mark günstige Eintrittskarte werde mit 70
Prozent hoch subventioniert. Georg Geiger sieht die Gefahr, dass die
politischen Gremien wie in anderen Städten ganz auf diese
familienfreundliche Karte verzichten könnten. In Stuttgart habe man die
Geldwertkarte eingeführt. Nach dem Telefonkartenprinzip werden die
Eintritte abgebucht. Der Rabatt für den 560 Mark-Kredit an die Stadtkasse
liegt bei 20, höchstens 30 Prozent.
Für den Fall, dass der Gemeinderat seine Familiendefinition an die
veränderten Lebensformen anpassen sollte, besteht das Sport- und
Bäderamt auf eine praktikable Fassung. Man wolle schließlich nicht als
Schnüffler auftreten.
Großzügig sein
Die Konstanzer Verwaltung scheint von der Liberalisierung der
Lebensformen im zu Ende gehenden Jahrtausend unberührt. Wer sich als
Familie versteht, muss den Trauschein vorweisen. Diese Strenge erinnert an
Pensionsbetreiberinnen der 60-er Jahre, die nur Verheirateten ein
Doppelzimmer überließen.
Inzwischen haben sich die Lebensverhältnisse verändert. Man mag das
bedauern. Die Welt ist nicht mehr so übersichtlich. Und deshalb kann den
Mitarbeitern der Verwaltung schon zugemutet werden, diese Familien
anzuhören und ihre Verhältnisse zu überprüfen. Es muss ja nicht gleich
"geschnüffelt" werden. Dass diese Bündnisse in einigen Fällen
steuerlich besser fahren als die herkömmliche Familie, sollte nicht zu
neidischen Reaktionen führen. Kinder wie Erwachsene müssen sich immer
noch übel meinende Kommentare gefallen lassen, weil sie sich für diesen
Weg entschieden haben.
Konstanz sollte sich großzügig zeigen und den Erwachsenen einen
Familienpass zubilligen, die Kinder in ihrem Haushalt großziehen. - Inge
König
(aus: Südkurier, 29.8.1995)