1. Peter -
Alexander Fiedler (1991)
Berger ist ein Fortschreibender, umkreist von Arbeit zu Arbeit
variantenreich stets aufs neue zentrale Themen und Phänomene; die
Entwurzelung von Menschen etwas, Kunst wie Kultur, Achtung der Natur, die
Vergänglichkeit, das Erinnern, das Sichtbare und das dahinter Verborgene,
das Böse und Zuneigung, Liebe, Vereinigung als der Menschen einzig mögliche
Antwort darauf. Sätze von Ihm lauten; „Kunst ist eine wohlgeordnete Antwort
auf das, was uns die Natur gelegentlich ganz kurz wahrzunehmen erlaubt.“
„Natur ist Energie und Kampf. Sie ist das, was Existiert, ohne jedes
Versprechen.“. „Eine der Grundhaltungen des Bösen ist: gleichgültig über
etwas hinwegzusehen, was man vor Augen hat.“ Berger sieht mit den
unbestechlichen Augen des Engagierten, mit dem entdeckenden Auge des Malers,
mit dem wissenden Auge des Intellektuellen. Keine dieser Seiten wird
überbetont, keine aber auch vergessen. Er kann dem Leser Geschichten so
anschaulich erzählen, da der sie zu erleben glaubt. Er kann in seinen
Essays, Kunstwerke so hinterfragen, dass der Leser das Gefühl bekommt,
darauf wäre er selbst gekommen. Bergers Arbeit liegt ein zentrales Motiv
zugrunde: Widerspruch einzulegen. Indem er einer nur auf das Morgen
orientierten Welt Erinnern entgegensetzt. Indem er das Scheitern seiner
Figuren in fast märchenhaften Bildern widerspiegelt, indem er uns in
kristallklaren Reflexionen an Kulturreichtum gemahnt, macht er uns zu
Schauenden. Was der Poet uns vors Auge zaubert, macht, sehen, fühlen,
hoffen.
(Peter - Alexander Fiedler in Thüringische Landeszeitung 15.6.1991 )
2. Verena Auffermann (1991)
In seinen vielen Kunstbetrachtungen stellt John Berger die Fragen an die
Kunst, wie sie jeder Laie, käme er nur auf die Idee, stellen könnte. Weil
Berger fragt, sieht er mehr. Und er erklärt sein Sehen so, dass es verdammt
einfach klingt. Man könnte auch sagen, dass er von der Bescheidenheit lebt.
Alles klingt einleuchtend und ist von vorne gedacht. [...]
Zur Zeit handelt man John Berger als Helden, und er eignet sich dazu. Er
spielt mit, ganz in er Laune des Zauberers, dessen größtes Vergnügen es ist,
sich selbst ein Vergnügen zu sein. Er gehört zu den wenigen Menschen
desjenigen Schlags, die sich nicht im Fragmentarischen vervierteln John
Berger profitiert vom Luxus, in vielen Künsten der tollkühne Liebhaber zu
sein, und ist überhaupt eine störrische, romantische Spielernatur. Er
doziert nicht, er lebt, was ein großer Unterschied.
Der Abenteurer ist ganz Mimik und Gestus, mit Locken, zum Auftritt parat.
Alles ist groß, die Nase, das Lachen, die Füße. Auf fremder Straße schlägt
er sicher, ohne den Weg zu kennen, die Richtung ein. [...]
Der Schriftsteller, der die Kehr- oder Vorderseite des Menschen Berger ist,
fühlt sich von der Bürde des Subunternehmertums oder des Schmarotzers
befreit und "schreibt" sich seine Bilder selbst. Wenn Goyas nachte Maya
Bergers liegende Göttin ist, dann sitzt der Romancier Berger mit Walter
Benjamins Büchern zusammen und ist wie er ein begeisterungsfähiger
Passagier. Berger verdankt Benjamin ganz offenkundig gedankliches Terrain.
Die gemeinsamen Wanderungen in den Welten des lakonischen Italieners Giacomo
Leopardi seien nur des nachstehenden Zitats wegen erwähnt, das die Geduld
die heldenhafteste aller Tugenden nennt, "eben weil nichts Heldenhaftes an
ihr erscheint". Berger, der geduldige Beobachter, der durchs französische
Gebirge als draufgängerischer Motorradfahrer saust, filtert das Leben von
unten nach oben, wobei er die Schichten schürfend in seine Sinne taucht. Das
Sichtbare war immer schon und bleibt die Hauptquelle für unsere Kenntnis von
Welt, behauptet Berger, jeder These von ihrer unsichtbaren Verflüchtigung
zum Trotz , ein Zeichen, dass Berger wahrscheinlich im Innersten kein Mensch
unseres Jahrhunderts, sondern ein Entdecker, Schwärmer und mutiger Liebhaber
nach Art des 19. Jahrhunderts ist.
(Verena Auffermann in Frankfurter Rundschau 25.5.1991)
3. Lothar Baier (1995)
Ein verlässlicher Schriftsteller, John Berger. Wäre das Wort nicht durch
inflationären Gebrauch seines Sinns beraubt worden, müsste man ihn auch
einen „engagierten“ Schriftsteller nennen. Verpflichtet ist sein Schreiben
jedoch keiner Partei, keiner Richtung, auch nicht der „Kultur“, von der man
um so mehr Aufhebens macht, je skrupelloser man ihren Ausverkauf betreibt.
Es zeugt von einem Gefühl der Verpflichtung für die einzelnen, das eine
Seltenheit geworden ist in unserer Zivilisation, die Besessenheit durch die
Massenzahlen der Statistik mit leerer individualistischer Rhetorik vereint.
(Lothar Baier in Freitag 23.6.1995)
4. Wolfram Schütte (1991)
Der 1926 geborene englische Schriftsteller John Berger, der heute auf einem
savoyardischen Bauernhof lebt (wenn er sich nicht auf Stippvisiten kreuz &
quer in Europa aufhält), ist einer der gebildetsten, vielseitigsten und
menschenfreundlichsten Intellektuellen, die derzeit in Europa schreiben. Es
sieht ganz so aus, als wären die Deutschen die letzten, die das erkennten.
Vor Jahren schon hat Susan Sontag konstatiert, Berger sei "in der
zeitgenössischen englischen Literatur einzigartig", heute ist das eine
Untertreibung. Einzigartig ist er in der gesamten Gegenwartsliteratur, wenn
man darunter mehr und anderes als bloß Roman-Prosa, Poesie, Drama und
Essayistik versteht. Zwar gab und gibt es in der vielsprachigen Literatur
der Welt manche Multitalente: man denke an Vargas Llosa, oder Juan Goytisolo,
an Milan Kundera oder György Konrad, an Giorgio Manganelli oder Andrej
Bitow; aber John Bergers Interessen. & Artikulationsradius reichen weiter
als der Blick eines genuinen Erzählers, der über sein & seinesgleichen
Metier zu reflektieren versteht. Über die Kunst vergisst er das Leben & die
Menschen nicht, denen sie sich verdankt. Er ist ein Erotiker des Auges und
ein Phänomenologe der strukturellen Geheimnisse des Nicht-Sichtbaren, das er
mit dem Zauberstab seiner intellektuellen Sensualität aus dem Sichtbaren
herausprozessiert (wie einst Bloch) und uns vors geistige Auge stellt.
(Wolfram Schütte in Frankfurter Rundschau 9.3.1991)
(aus der
Pressemappe des Hanser-Verlages zum Autor, 23.09.02)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
16.03.2020