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Wichtige erzähltechnischen Mittel des Textes analysieren
Um einen
erzählenden
Text wie ▪
Wolfgang
Borcherts Geschichte
Kurzgeschichte
▪
»Nachts
schlafen die Ratten doch«
interpretieren zu können, muss man sich auch mit den in dem Text
verwendeten
erzähltechnischen
Mitteln befassen. Sie sind wichtige Elemente, mit denen die Autorin
die Aussage ihrer Geschichte gestaltet hat und die die Rezeption des
Textes steuern.
Dabei kommt es in der Schule
nicht auf den lückenlosen Nachweis möglichst vieler
erzähltechnischer Mittel an. Eine schulische ▪ Textinterpretation
ist keine Erzähltextanalyse, die den Anspruch hat, einen solchen
Text in möglichst alle erzählerischen Komponenten zu zerlegen.
Trotzdem wird stets
vorausgesetzt, dass man bei der schulischen Analyse eines
erzählenden Textes seinen Blick auf bestimmte Grundstrukturen
richtet. Dabei geht es z. B. um Antworten auf die folgenden Fragen:
-
Wann spielt das erzählte Geschehen? Wie lange dauert es? Wird
chronologisch erzählt oder nicht? Wird etwas ausgelassen?
(Zeitgestaltung)
-
Wo spielt sich das erzählte Geschehen ab? Was kennzeichnet die
Räume, in denen sich das erzählte Geschehen abspielt?
(Raumgestaltung)
-
Aus welcher Erzählperspektive wird erzählt? Ist diese
Perspektive durchgängig gestaltet oder wechselt sie?
(▪
Erzählperspektive, ▪
Parameter der Perspektive)
-
Wie wird das erzählte Geschehen dargeboten? (Darbietungsformen)
-
Welche Figuren kommen in der Erzählung vor? Wie werden sie vom
Erzähler gestaltet und charakterisiert? In welcher Beziehung
stehen sie zueinander? (Figurengestaltung)
-
Um welche literarische Textsorte handelt es sich bei dem
erzählenden Text? (Textsortenmerkmale)
Nicht nur erzähltechnische Mittel finden, sondern sie auch im
Funktionszusammenhang beschreiben
Die
Analyse der wichtigsten
erzähltechnischen
Mittel soll sich aber nicht mit ihrem Auffinden und Identifizieren
begnügen, sondern zielt darauf, sie im
Funktionszusammenhang von Inhalt, Aussage und
sprachlich-stilistischer Gestaltung zu beschreiben.
Das bedeutet konkret, dass man
sie bei einer
Textinterpretation nicht nacheinander nur "abhaken"
darf. Es muss stets gefragt werden, warum sie zum Einsatz kommen,
was sie bewirken, kurz: welche Funktion sie für das Textganze haben.
Natürlich sind die erzähltechnischen Mittel in einem Text nicht
gleichermaßen für die Gestaltung der Aussage von Bedeutung.
-
So kann es sein, dass die Zeitgestaltung in einem bestimmten
Text wenig hergibt, während die Raumgestaltung besonders wichtig
ist.
-
Ebenso kann in verschiedenen Texten die Analyse der
Darbietungsformen mehr oder weniger bringen.
Am besten konzentriert man sich
also auf die erzähltechnischen Mittel, deren Funktion einem klar ist
und begnügt sich bei anderen mit knappen Randbemerkungen.
Mit dem nachfolgenden Mind Map
kann man seine Ergebnisse bei der Untersuchung der erzähltechnischen
Mittel zusammenfassen:
Im Funktionszusammenhang
beschreiben
An zwei Beispielen soll
demonstriert werden, wie die Beschreibung von
erzähltechnischen und sprachlichen Mitteln im oben dargestellten
Funktionszusammenhang aussehen könnte:
-
Mit drei kurzen Hauptsätzen (Parataxen) werden dem Leser die
wesentliche Momente der raum- und zeitlichen Situierung der
nachfolgenden Handlung vor Augen geführt. Es ist früh am Abend
irgendwo in einer "Schuttwüste". Die raumzeitliche Situation wird
durch die Personifikationen unterstrichen, mit denen der Erzähler
ihre Elemente darbietet. Das Fenster, das offensichtlich nur mehr
als Loch in der Mauerwand vorhanden ist, gehört zu einer
"vereinsamten Mauer". Es "gähnt" funktionslos gelangweilt in den
Himmel, den die frühe Abendsonne, wenn man ihn durch das "hohle"
Fenster betrachtet, ein irgendwie merkwürdiges blaurotes Licht
taucht. Im Licht der Abendsonne fliegen Staubpartikel herum, und
flimmern zwischen Schornsteinen, die zum Teil zerstört sind, aber
mit dem, was von ihnen übriggeblieben ist, sich immer noch in der
sie umgebenden Schuttwüste senkrecht in die Luft recken. Trotz der
dynamischen Akzente, die die Personifikationen setzten ("gähnen",
flimmern" in den Himmel "recken") wirkt alles irgendwie unbelebt, so
wie es der kurze Hauptsatz "Die Schuttwüste döste." pointiert am
Ende der Beschreibung der Ausgangssituation zum Ausdruck bringt.
Auch wenn der Leser bis dahin noch keine auf weitere Textaussagen
gestützte Vorstellung entwickeln kann, zu welcher Zeit
und
wo das Geschehen stattfindet, die Geschichte also so unvermittelt
beginnt, wie es bei Kurzgeschichten gemeinhin üblich ist, werden
doch Assoziationen wach, die auf einen Zustand nach einer
Katastrophe (Erdbeben, Terrorangriff, Krieg o. ä.) verweisen.
Gestützt werden solche Vorstellungen noch vom Titel der Geschichte,
der mit den darin enthaltenen "Ratten" insgesamt eine zerstörte Welt
zeigt, in der nur noch Ratten überleben können.
-
Während die Darbietung der Ausgangssituation von einer auktorialen
Erzählinstanz dargeboten wird, eine narratoriale räumliche und
sprachliche Perspektive vorliegt, wechselt der Erzähler mit dem Satz
"Er hatte die Augen zu." die Perspektive. Fortan stellt der Erzähler
das Geschehen im ersten Abschnitt der Geschichte in der personalen
Perspektive des bis dahin nicht weiter markierten "Er", des Jungen,
dar. Dessen Wahrnehmungsperspektive wird besonders deutlich, als er
mit geschlossenen Augen dennoch die geringsten Veränderungen des
umgebenden Lichts registriert ("Mit einmal wurde es noch dunkler.")
und mit blinzelnden Blick durch die vor ihm stehenden "Hosenbeine"
und seinem Wandern an ihnen hinauf, das Gesicht des älteren Mannes
sehen kann.
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
16.12.2023
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