In späteren Jahren hat sich •
Johann Wolfgang von Goethe
in seiner Autobiografie »"Aus
meinem Leben. Dichtung und Wahrheit" (»Fünfzehntes
Buch) im Rückblick mit seiner Prometheus-Dichtung bzw. der
Entstehungs- und Wirkungsgeschichte seiner •
Prometheus-Hymne zu seinen Lebzeiten wie folgt geäußert.v
"Gewöhnlich schrieb ich alles zur frühsten Tageszeit; aber auch abends,
ja tief in die Nacht, wenn Wein und Geselligkeit die Lebensgeister
erhöhten, konnte man von mir fordern, was man wollte; es kam nur auf
eine Gelegenheit an, die einigen Charakter hatte, so war ich bereit und
fertig. Wie ich nun über diese Naturgabe nachdachte und fand, daß sie
mir ganz eigen angehöre und durch nichts Fremdes weder begünstigt noch
gehindert werden könne, so mochte ich gern hierauf mein ganzes Dasein in
Gedanken gründen. Diese Vorstellung verwandelte sich in ein Bild, die
alte mythologische Figur des Prometheus fiel mir auf, der, abgesondert
von den Göttern, von seiner Werkstätte aus eine Welt bevölkerte. Ich
fühlte recht gut, daß sich etwas Bedeutendes nur produzieren lasse, wenn
man sich isoliere. Meine Sachen, die so viel Beifall gefunden hatten,
waren Kinder der Einsamkeit, und seitdem ich zu der Welt in einem
breitern Verhältnis stand, fehlte es nicht an Kraft und Lust der
Erfindung, aber die Ausführung stockte, weil ich weder in Prosa noch in
Versen eigentlich einen Stil hatte, und bei einer jeden neuen Arbeit, je
nachdem der Gegenstand war, immer von vorne tasten und versuchen mußte.
Indem ich nun hierbei die Hülfe der Menschen abzulehnen, ja
auszuschließen hatte, so sonderte ich mich, nach Prometheischer Weise,
auch von den Göttern ab, um so natürlicher, als bei meinem Charakter und
meiner Denkweise eine Gesinnung jederzeit die übrigen verschlang und
abstieß.
Die Fabel des Prometheus ward in mir lebendig. Das alte Titanengewand
schnitt ich mir nach meinem Wuchse zu, und fing, ohne weiter nachgedacht
zu haben, ein Stück1 zu schreiben an, worin das Mißverhältnis
dargestellt ist, in welches Prometheus zu dem Zeus und den neuen Göttern
gerät, indem er auf eigne Hand Menschen bildet, sie durch Gunst der
Minerva belebt, und eine dritte Dynastie stiftet. Und wirklich hatten
die jetzt regierenden Götter sich zu beschweren völlig Ursache, weil man
sie als unrechtmäßig zwischen die Titanen und Menschen eingeschobene
Wesen betrachten konnte. Zu dieser seltsamen Komposition gehört [48] als
Monolog jenes Gedicht, das in der deutschen Literatur bedeutend
geworden, weil, dadurch veranlaßt, Lessing über wichtige Punkte des
Denkens und Empfindens sich gegen Jacobi erklärte. Es diente zum
Zündkraut einer Explosion,
welche die geheimsten Verhältnisse würdiger Männer aufdeckte und zur
Sprache brachte: Verhältnisse, die, ihnen selbst unbewußt, in einer
sonst höchst aufgeklärten Gesellschaft schlummerten. Der Riß war so
gewaltsam, daß wir darüber, bei eintretenden Zufälligkeiten, einen
unserer würdigsten Männer, Mendelssohn, verloren.
Ob man nun wohl, wie auch geschehn, bei diesem Gegenstande
philosophische, ja religiöse Betrachtungen anstellen kann,
so gehört er doch
ganz eigentlich der Poesie. Die Titanen sind die Folie des
Polytheismus, so wie man als Folie des Monotheismus den Teufel
betrachten kann; doch ist dieser so wie der einzige Gott, dem er
entgegensteht, keine poetische Figur. Der Satan Miltons, brav genug
gezeichnet, bleibt immer in dem Nachteil der Subalternität, indem er die
herrliche Schöpfung eines oberen Wesens zu zerstören sucht, Prometheus
hingegen im Vorteil, der, zum Trutz höherer Wesen, zu schaffen und zu
bilden vermag. Auch ist es ein schöner, der Poesie zusagender Gedanke,
die Menschen nicht durch den obersten Weltherrscher, sondern durch eine
Mittelfigur hervorbringen zu lassen, die aber doch, als Abkömmling der
ältesten Dynastie, hierzu würdig und wichtig genug ist; wie denn
überhaupt die griechische Mythologie einen unerschöpflichen Reichtum
göttlicher und menschlicher Symbole darbietet."
(Goethe, Dichtung und Wahrheit, Fünfzehntes Buch (zeno.org)
docx-Download
-
pdf-Download
Gert Egle. zuletzt bearbeitet am:
18.11.2024