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Die
Literaturepoche des
Sturm und Drang
(1760-85) besitzt in
Straßburg ihren räumlichen Ausgangspunkt.
Goethe war im Jahre 1770 dorthin gereist, um seine juristischen
Studien zu vollenden. Im Winter des gleichen Jahres lernte er dort »Johann
Gottfried Herder (1744 - 1803) kennen. Dieser machte ihn auf »Shakespeare,
»Ossian und die Volksdichtung aufmerksam.
In Straßburg gewinnt Goethe eine Vielzahl neuer Einsichten, aber
insbesondere findet er sich selbst. Im nahen »Sesenheim
erlebt er seine erste, ihn seelisch tief bewegende Liebe zu
Friederike Brion.
Als sich Goethes Straßburg-Aufenthalt allmählich seinem Ende näherte,
lernt er »Jakob Michael Reinhold Lenz (1751 - 1792) kennen, der von
Königsberg gekommen war. Goethe verlässt Straßburg Richtung Frankfurt und
bereitet sich auf seinen Beruf als Anwalt vor. Seine Berufspflichten nimmt
er allerdings nicht sonderlich ernst. Sein Interesse gilt vielmehr dem
Malen und der Musik und der regen Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.
Im Sommer 1772 verbringt Goethe einige Zeit in Wetzlar. Wo er auftaucht,
gewinnt er neue Freunde und nimmt durch sein herzliches Wesen und seine
souveräne Intellektualität seine Mitmenschen für sich ein. Selbst wenn er
mitunter bizarre Einfälle hat oder er seine Scherze macht, die niemanden
verletzen, nimmt ihm dies niemand übel.
Im Jahre 1773 erscheint sein Werk "Götz von Berlichingen", das als erste
ausgereifte Dichtung des Sturm und Drang angesehen werden kann. Für die
jungen Dichter in seinem Umfeld wirkt der "Götz" wie eine Befreiung und
ein offenes oder geheimes Vorbild. Im Mittelpunkt steht der "große Kerl"
Götz, ein starker, unabhängiger Mann. Im Vergleich zu den höfischen Werten
der Eleganz und des äußeren Glanzes weist er eine schlichte, ritterliche
Menschlichkeit aus. Ganz deutlich weicht der "Götz" von der durch
»Johann
Christoph Gottsched (1700 - 1766) geforderten Nachahmung französischer
Vorbilder ab und gestaltet dunkle und gewaltige Motive: Femegericht,
Szenen in der freien Natur, Kinderszenen, die einen frischen, der
Wirklichkeit abgelauschten Ton anschlagen. In den Kurzszenen des "Götz"
kann man das Vorbild Shakespeares erkennen, und doch trägt jede Szene die
originelle Handschrift ihres Verfassers, ist jeder Satz von einem starken
Gefühl geprägt und wirkt die Sprache äußerst plastisch.
1774 erscheint der Briefroman "»Die Leiden des jungen Werthers", der in
mancherlei Hinsicht als ein Gegenstück zum "Götz" gelten kann. Im Zentrum
des Briefromans steht Werther, ein empfindsamer Held, der lieber den
Freitod wählt als auf die ihn ganz erfüllende Liebe zu verzichten. Damit
wird im "Werther" ein Thema artikuliert, das in den Sturm und Drang teils
als Voraussetzung eingeht, teils parallel zu ihm verläuft: die
Empfindsamkeit. Werther steigert sich so sehr in seine Gefühle und
Empfindungen hinein, dass er dem drohenden Konflikt nur noch durch den
Freitod entgehen kann. Wie sehr Goethe damit den Nerv seiner Zeit
getroffen hat, ist durch den ungeheuren Erfolg mit seinen Auswüchsen im so
genannten "Werther-Fieber", in dem der Freitod des Helden Nachahmer in der
Realität gefunden hat, hinreichend belegt.
Das Drama "»Götz von Berlichingen" und der Briefroman "Die Leiden des
jungen Werthers" sind Goethes bedeutendsten Beiträge zur Literaturepoche
des Sturm und Drang. "»Clavigo" und "»Stella" sind Versuche, neue
Stoffbereiche für die Geniedramatik zu erschließen. Es sind bürgerliche
Dramen, die durch ihre Berührung mit dem Sturm und Drang ein wenig Leben
erhalten haben, aber keinen so entscheidenden Beitrag zur Epoche geleistet
haben. Dennoch ist die Literaturepoche damit für Goethe noch nicht
abgeschlossen. Das Drama "»Faust" begleitet ihn ein Leben lang, dessen
stoffliche Wurzeln noch im Sturm und Drang liegen.
Goethes Ansehen wächst schnell und seine Popularität wird schnell größer.
Bedeutende Persönlichkeiten suchen seine Bekanntschaft. »Friedrich Gottlieb
Klopstock (1724 - 1803) besucht ihn, mit dem in Darmstadt lebenden »Johann
Heinrich Merck (1741 - 1791) schließt er Freundschaft, der »Prinz Carl
August von Weimar (1757 - 1828) lädt ihn nach Weimar ein, mit »Johann Kaspar
Lavater (1741 - 1801) reist Goethe nach Düsseldorf zu »Friedrich Heinrich
Jacobi (1743 - 1819) und »Wilhelm Heinse (1746 - 1803), mit den
»Grafen Stolberg
(»Christian 1748 - 1821;
»Friedrich Leopold 1750 - 1819) unternimmt er eine
Reise in die Schweiz, mit »Jakob Michael Reinhold Lenz (1751 - 1792) steht er
in brieflicher Verbindung. »Friedrich Maximilian Klinger (1752 - 1831), der
selbst aus Frankfurt stammt, ist ihm schon länger bekannt. Die "Genies",
wie man sie nennt, sind eine literarische Gruppe. Merck, Herder und Goethe
leiten 1772 gemeinsam die "Frankfurter Gelehrten Anzeigen", »Christoph
Martin Wieland (1733 - 1813) setzt sich in seinem "Teutschen Merkur" mit der
"Sekte" auseinander.
Mit seiner Übersiedlung nach Weimar beginnt für Goethe ein neuer
Lebensabschnitt. Zwar sieht es zunächst so aus, als würde er sein
ungebundenes Leben in einem nur noch ausgiebigeren Maße fortsetzen – das
Genie-Treiben in Weimar wird ein beliebtes Klatschthema -, aber allmählich
tritt eine Wandlung ein. Goethe, dessen Stellung am Hof nicht genauer
festgelegt ist, nimmt nun Anteil an der Verwaltung des kleinen Staates, Er
will die Bodenschätze fördern und treibt dazu mineralogische Studien. Die
innere Distanz zum Sturm und Drang wird offenbar, als Lenz und Klinger in
Weimar auftauchen und auf gut genialisch Verwirrung stiften. Es kommt
daher zum Bruch mit den ehemaligen Gefährten. Damit ist die persönliche
und dichterische Phase des Sturm und Drang für Goethe beendet.
(nach: W.
Kließ, Sturm und Drang, 3. Aufl., Velber: Friedrich Verlag 1975, S.21ff.)
Zu diesem Referat wurde der
nachfolgende
Stichwortzettel erstellt um einen halbfreien Vortrag zu
ermöglichen:
(nach:
Dieter Lorenz 1980, S.30) |
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