Andreas Gryphius (1616-1664)
Es ist alles eitel
Du siehst, wohin du siehst, nur eitelkeit auf erden.
Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein;
Wo ietzundt städte stehn, wird eine Wiese seyn,
Auf der ein schäfers kind wird spielen mit den herden;
Was itzundt prächtig blüth, sol bald zutreten werden;
5
Was itzt so pocht und trotzt, ist morgen asch und bein;
Nichts ist, das ewig sey, kein ertz, kein marmorstein.
Jetzt lacht das glück uns an, bald donnern die beschwerden.
Der hohen thaten ruhm muß wie ein traum vergehn.
Soll denn das spiel der zeit, der leichte mensch bestehn?
10
Ach, was ist alles diß, was wir vor köstlich achten,
Als schlechte nichtigkeit, als schatten, staub und Wind,
Als eine wiesen blum, die man nicht wieder find't!
Noch wil, was ewig ist, kein einig mensch betrachten.
Ein Tod
Marie Luise Kaschnitz (1901-1974)
Wenn einer sich vornähme, das Wort Tod nicht mehr zu benützen, auch
kein anderes, das mit dem Tod zusammenhängt, mit dem Menschentod oder mit
dem Sterben der Natur. Ein ganzes Buch würde er schreiben, ein Buch ohne
Tode, ohne Angst vor dem Sterben, ohne Vermissen der Toten, die natürlich
auch nicht vorkommen dürften ebenso wenig wie Friedhöfe, sterbende Häuser,
tödliche Waffen, Autounfälle, Mord. Es hätte es nicht leicht, dieser
Schreibende, jeden Augenblick müsst er sich zur Ordnung rufen, etwas, das
sich eingeschlichen hat, wieder austilgen, schon der Sonnenuntergang wäre
gefährlich, schon ein Abschied, und das braune Blatt, das herabweht,
erschrocken streicht er das braune Blatt. Nur wachsende Tage, nur Kinder
und junge Leute, nur rasche Schritte, Hoffnung und Zukunft, ein schönes
Buch, ein paradiesisches Buch.
aus: Marie Luise Kaschnitz, Steht noch dahin, Frankfurt/M.: Suhrkamp
Verlag, 6. Aufl. 1981, S.21)