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Lyrische Texte interpretieren (Schulische Schreibform)
▪
Grundbegriffe zur Gedichtinterpretation
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Leitfragen und Aufgaben
Mit seinem Gedicht ▪ "Ebenbild
unseres Lebens" gestaltet ▪
Andreas Gryphius
ein typisches Thema der
weltlichen
Lyrik in der ▪
Literaturepoche des ▪
Barock
(1600-1720). Verschiedene Gedanken umkreisen die Problematik der
Vergänglichkeit allen irdischen Daseins (Gedankenlyrik) und richten den
Blick des Lesers auf die Unausweichlichkeit des Todes.
In Form eines
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Sonetts, zwei Quartette und zwei Terzette, und im Versmaß eines
sechshebigen
Jambus entfaltet das
lyrische Ich in zahlreichen
Bildern den für barockes Lebensgefühl typischen Gegensatz von Sein und
Schein, von Glück (Fortuna) und Vergänglichkeit (Vanitas). Er mündet ein
in die Aufforderung nach Lebensgenuss und Lebensbejahung (Carpe diem)
einerseits und in die am Jenseits orientierte Mahnung, sich stets der
eigenen Sterblichkeit bewusst zu sein (Memento mori).
Das Gedicht entwickelt diese Gedanken mit verschiedenen inhaltlichen
Schwerpunkten in seinen vier Strophen, die nach dem für das Sonett
typischen Reimschema aufgebaut sind (abba – abba – cce – ddc).
In der ersten Strophe, die, ohne einen Adressaten der Äußerungen zu
verraten, beginnt, befasst sich das lyrische Ich mit der Stellung des
Menschen auf der Bühne des Lebens. Die Welt, der "Schauplatz“ (Z 2) seines
Lebens, ist geprägt vom immerwährenden Fortschreiten der Zeit, was durch
die in der Strophe zweimal verwendeten
Enjambements noch unterstrichen wird. Diesem Fluss der Zeit ist,
so lautet der Kern der Aussage des ersten Satzes, sämtliches menschliches
Handeln und Sein unterworfen. Das Fortschreiten der Zeit gleicht einem
Spiel, worin der Mensch ein (Mit-)Spieler ist. Die Regeln dieses Spiels
liegen aber außerhalb der Gestaltungsmöglichkeiten des Menschen. Was
bleibt sind mehr oder weniger eng umgrenzte Handlungsspielräume zur
Lebensgestaltung, die zumindest teilweise zur Sinngebung menschlichen
Lebens herangezogen werden. In
antithetisch angelegten Bildern verweist das lyrische Ich daher auf
derartige Optionen, die das Leben im "Spiel der Zeit“ bereit hält. Da
richtet sich der Blick einmal auf den Ort, an dem der Mensch sich, wenn
auch mit dem Gefühl einer gewissen Unsicherheit niederlässt (Z 2:"er sitzt
und doch nicht feste“), wobei damit wohl nicht nur eine rein äußerliche,
lokale Dimension (Zuhause, Heimat) gemeint sein dürfte, sondern auch die
Einbettung des Menschen in seine soziale Umgebung, wie auch das wackelige
Fundament seiner Werte und Normen. In einem steten Auf und Nieder, das auf
alle Lebensbereiche bezogen werden kann, zeigt sich die Dynamik der Zeit,
die den einen im nahezu gleichen Augenblick erhebt, indem sie den anderen
fallen lässt. Und auf der Bühne dieses typisch barocken Welttheaters
gehören soziale Unterschiede (Z 3/4 "Paläste“, "schlechtes Dach“) und
ungleiche politische Verhältnisse (Z 4: "der herrscht, und jener webt“)
dazu und werden als solche hingenommen. Als ob die in der ersten Strophe
entwickelten vier Antithesen noch formal unterstützt werden wollten,
gewinnt man den Eindruck, dass der unreine Reim des zweiten und dritten
Verses ("feste", "Paläste"), die Ungereimtheiten irdischen Daseins
unterstreichen wollte.
In der zweiten Strophe verweist das lyrische Ich auf die Unmöglichkeit, im
Spiel der Zeit Beständiges zu schaffen. Das barocke Motiv der
Vergänglichkeit (Vanitas) prägt die Abfolge der nachfolgenden Bilder. Mit
einer intensivierenden
Anapher am jeweiligen Satzanfang ("Was“) und durch eine
(gedankliche)
Mittelzäsur im
Alexandrinervers
unterstrichene Antithetik wird in drei kurzen aneinander gereihten Sätzen,
von denen einer über das Zeilenende hinausreicht (Enjambement) die
Vergänglichkeit alles dessen beschworen, was in der Vergangenheit
geschaffen worden ist. Im gleichen Atemzug wird in die Zukunft hinein
prognostiziert, dass augenblickliches Glück (Fortuna-Motiv) keinen Bestand
haben kann. Mit dem antithetischen Bild von den gerade noch im Saft
stehenden Ästen in der Natur zu ihrem herbstlichen Absterben leiten die
Vergänglichkeitsmotive über zur Betrachtung des Todes. Sich selbst und die
anderen einschließend (repräsentativer, öffentlicher Charakter der
Barocklyrik) erhebt das lyrische Ich am Ende des 2. Quartetts Klage
darüber (Z 7: "Wir Armen“), dass das menschliche, diesseitige Leben nur
Durchgangsstation zum jenseitigen darstellt und jenes jederzeit nur an
einem dünnen Faden hängt (Z 8: “Schwert an zarter Seide schwebt“).
Im ersten der beiden Terzette wird die eingangs nur konstatierte soziale
Ungleichheit der Menschen noch einmal aufgegriffen und mit dem am Ende des
zweiten Quartetts entwickelten Motiv des Todes verknüpft. Im Angesicht des
sicheren Todes verlieren, so die Aussage des ersten Terzetts, auch alle
jene Unterschiede an Bedeutung, die das Leben im Diesseits geprägt haben
(Ungleichheit der Stände, unterschiedlicher Wohlstand). Der Tod macht alle
gleich, so lautet die düstere und zugleich befreiende Mahnung des Memento
mori, mit dem das erste Terzett endet.
Und doch bleibt ein Schimmer Hoffnung, hat auch das irdische Leben und der
Daseinsgenuss seine Berechtigung. So fordert das lyrische Ich seine
ungenannten Adressaten zu Beginn der letzten Strophe auf, das „ernste
Spiel“ (Oxymoron,
Z 12) des Lebens solange mitzuspielen, solange Lebenszeit gewährt ist. (Z
12: „weil es die Zeit noch leidet“). Neben dieser unverhohlenen Bejahung
diesseitigen Lebensgenusses im Stile des Carpe-diem-Motivs (Z 13: „Bankett
des Lebens“) fordert das lyrische Ich aber auch zugleich auf, dass die
Menschen ihre Lektion zu lernen hätten, dass nämlich alles Materielle (Z
14: „Kron“, „Gut“), alle geistigen und körperlichen Vorzüge (Z 14:
„Weisheit“, „Stärk“) nur „leere Pracht“ (Oxymeron, Z 14) seien. Der
Gedanke an die Orientierung des Lebens am Jenseits (barocker Ordo-Gedanke)
schließt damit den Kreis der Gedanken um das Welttheater wieder und rückt
alles Dargestellte in den Bereich des Exemplarischen.
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Leitfragen und Aufgaben
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
07.11.2021