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Bausteine zum historischen Hintergrund von Lessings Nathan der Weise

Saladin, Sulthan von Egypten und Syrien

Francois Louis Claude Marin (1721-1809)


FAChbereich Deutsch
Center-Map Glossar Literatur Autorinnen und Autoren Gotthold Ephraim Lessing  Nathan der Weise
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 Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) hatte ein überwiegend positives Verhältnis zum Islam, den er als "natürliche" Offenbarungsreligion nicht zuletzt wegen seiner Toleranz gegenüber anderen Religionen wertschätzte. Dabei geht diese Wertschätzung des Islam und insbesondere auch des Sultans Saladin auf seine Beschäftigung mit den Quellen zur Geschichte des Islam zurück. So übersetzte Lessing 1751 die historischen Essays von Voltaire (1694-1778), darunter »Von dem Korane und dem Mahomed« und »Geschichte der Kreuzzüge«. 1753 übersetzte er Marignys Histoire de Arabes. Im Anschluss daran beschäftigte er sich noch mit anderen Werken über Saladin und die Geschichte des 3. Kreuzzuges, darunter die 1761 von E. G. Küster übersetzte Historie de Saladin (1758) von Francois Louis Claude Marin (1721 - 1809), aus, aus der wohl die meisten historischen Details stammen, die in den "Nathan" eingegangen sind. (vgl. Nisbet 2008, S.785)

"Endlich, am zwölften Tage seiner Krankheit, am Mittwochen den sieben und zwanzigsten Sefer, des zweyten Monats des arabischen Jahrs, im fünfhundert neun und achtzigsten Jahre der Hejira, im Monat Februar eilfhundert drey und neunzig nach Christi Geburt, beschloß Saladin den Lauf seines Lebens, in einem Alter von sieben und funfzig Mondenjahren. Er hatte zwey und zwanzig Jahre in Egypten nach dem Tode des Khalifs, und neunzehn Jahre in Syrien nach Noureddins Tode regieret. Sein ganzer Name war, Sulthan, Malek al Nasser, Salah-eddin, Emir el Moumenin, Aboul-Modhaffer, Youssouff ben Ayoub, ben Schadi, das ist, Sulthan oder Kaiser, beschützender König, Salah-eddin (Heil der Welt und der Religion), Befehlshaber der Gläubigen, siegerischer Vater, Joseph, ein Sohn Hiobs, des Sohns Schadi. [. . .]
Wenn dieser Sulthan die Hochachtung und die Thränen aller Völker mit in seine Gruft nahm, so haben in der That wenige Prinzen diese Gesinnungen durch so viele Tugenden verdienet, als wir in diesem Muselmanne bewundern müssen. Die Christen selbst haben sich nicht enthalten können, ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen: sie haben mir selbst einen Theil der Züge an die Hand gegeben, die in dieser Geschichte zerstreuet sind: ja ich bin verbunden gewesen, verschiedene derselben, welche meinen Lesern als gar zu große Neuigkeiten vorkommen möchten, auszulassen. Saladin beobachtete die Vorschriften des Korans mit so vieler Gewissenhaftigkeit, daß die Muselmänner ihn unter die Zahl ihrer Heiligen versetzet haben. Er ließ in allen vornehmsten Städten Moscheen, Schulen, Armen- und Krankenhäuser bauen; er nahm die Greise und die Waisen in seinen Schutz, und ernährete alle, welche in Dürftigkeit lebten. Diejenigen irren sich sehr, welche vorgeben, daß er als ein Philosoph gestorben sey; er lebte und starb als ein frommer und andächtiger Herr. Es scheinet einigen Schriftstellern in unsern Tagen unmöglich zu seyn, daß es wahrhaftig große Männer ohne jene so genannte Philosophie geben könne, welche darinn bestehet, daß man gar keine Religion hat. Sie wissen inzwischen, daß die Religion noch weit mehr dasjenige Band ist, welches die Fürsten mit den Unterthanen verknüpft, als dasjenige, welches die Unterthanen an die Fürsten bindet; daß dieses Band zu trennen, so viel heiße, als den Menschen alle Freyheit einräumen, alles ungestraft zu unternehmen, und daß, wenn gar keine Religion da wäre, man vielleicht, dem menschlichen Geschlecht zum Besten, ausdrücklich eine Religion machen müsse, um den Leidenschaften der Regenten einen furchtbaren Zaum anzulegen. Saladin, weit entfernt das Gesetz Muhammeds zu verachten, behielt selbst die abergläubigsten Übungen bey. Dieser Fehler, der bey den meisten Menschen eine Schwäche der Seele ankündiget, war bey ihm mit vielen Muthe verbunden: denn der Begriff von einem unwiederruflichen Schicksale, welches alle Begebenheiten dieser Welt bestimmt und ordnet, begeistert jedweden devoten Muselmann mit Unerschrockenheit, insonderheit in den Kriegen, die für den Ruhm des Islamitischen Glaubens geführet werden. Er setzte sich ohne Furcht allen Gefahren aus. Vor der Schlacht hatte er die Gewohnheit, zwischen den beyden Kriegesheeren hin und her zu reiten, wobey ihm nur ein einziger Waffenträger oder Schildhalter folgte. In dem Treffen war er der erste im Handgemenge. Zuweilen rückte er ganz nahe gegen die Franken an, befahl auf einmal zu halten, und ließ sich einige Hauptstücke aus dem Koran vorlesen, mittlerweile die Christen schon mit Pfeilen und Bolzen auf ihn schossen. Dem Stolze und der Weichlichkeit feind, trug er allezeit ganz schlechte Kleider, lebte von wenigen, bedienete sich nur gemeiner Speisen; sein Zelt war unter allen am mindesten prächtig. Gegen alle Ermüdungen ausgehärtet, stand er vor der Morgenröthe auf, ritt alle Tage zum Verkundschaften aus, arbeitete bey den Belagerungen wie ein gemeiner Soldat, führete alle Angriffe an, ordnete die Richtung der Maschinen, war der erste bey dem Sturme, und gab seinen Kriegesvölkern das Beyspiel der Zucht, der Mäßigkeit, der Standhaftigkeit, und des Muths, welche er ihnen einprägen wollte. Die Begierde, sich eine neue Art des Ruhms und der Heldenschaft zu erwerben, bewog ihn, sich zum Ritter machen zu lassen, indem er jenen herzhaften Kämpfern nichts nachgeben wollte, die die Welt mit dem Geräusch ihrer Heldenthaten erfülleten, und allein die wahre Tapferkeit zum Erbtheil zu haben glaubten. Ich verlange nicht, für die Richtigkeit der Sache die Gewähr zu leisten. [. . .] Seine Gnade, seine Gerechtigkeit, seine Mäßigung, seine Freygebigkeit, die seine Eroberungen weit überstiegen, haben sein Andenken allen Muselmännern, und allen denen, welche Tugend zu schätzen wissen, kostbar gemacht. Wenige Prinzen haben jemals so gern gegeben, als er. Ohngeachtet er Herr von Egypten, von Syrien, von dem glücklichen Arabien, und von Mesopotamien war, welches letztere ihm Tribut bezahlete, so hinterließ er doch in seinen Coffers weiter nichts, als sieben und vierzig Silber-Drachmen und einen einzigen Goldthaler. Man war genöthigt, alles zu leihen, was zu seinem Leichenbegängniß nöthig war. Er hatte weder Haus noch Garten, weder Stadt noch Land, welches ihm eigen gehörete. Diejenigen von seinen Kindern, welche er wegen ihrer zarten Jugend mit keiner Stadthalterschaft versehen hatte, waren gezwungen, bey ihren Brüdern oder bey ihren Onkels in Dienste zu treten, um ihren Unterhalt zu haben. Saladin legte seinen Völkern keine einzige neue Auflage auf: er verringerte sie alle, und hob verschiedene ganz auf, ohngeachtet er während seiner Regierung so schwere Kriege zu führen hatte. Er gab Städte und ganze Provinzen weg, und behielt sich nur die Oberlehnsherrlichkeit vor. Allein bey der Belagerung von Ptolemais machte er seinen Emirs ein Geschenk von mehr als zwölftausend kostbaren Pferden, ohne die geringern zu rechnen, die er unter die Soldaten vertheilete. Dies ist keine Vergrößerung, sondern eine Sache, die von seinen Stallmeistern selbst bezeuget wird. Seine ausnehmend großen Verschenkungen machten oft, daß es an dem Nothwendigen fehlete. Sein Schatzmeister hatte daher die Gewohnheit, daß er ohne sein Wissen allezeit etwas Geld auf den Nothfall zurück behielt. Allein Saladin machte diese Vorsicht unnöthig, indem er seine Hausgeräte verkaufen ließ, wenn er nichts mehr zu geben hatte.
Seine Gerechtigkeit glich seiner Pracht. Er hielt alle Montage und Donnerstage seinen Divan selbst, mit Zuziehung seiner Cadhis, er mochte in der Stadt oder bey der Armee seyn. An den übrigen Tagen in der Woche nahm er Bittschriften, Berichte, Klagschriften an, und entschied die Dinge, die keinen Aufschub litten. Alle Personen, ohne Unterschied des Ranges, des Alters, des Landes, der Religion fanden bey ihm einen freyen Zutritt: die Muselmänner, die Christen, die Unterthanen, die Ausländer, die Armen, die Reichen, alle wurden zu seinem Richterstuhle zugelassen und nach den Gesetzen, oder vielmehr nach der natürlichen Billigkeit gerichtet. [. . .]
Seine Gnade war so groß, daß er niemals ein Vergehen gegen seine Person bestrafte. Diese Tugend schlug oft in eine Schwachheit aus, und schadete der ihm schuldigen Ehrerbietung. Wir haben in dieser Geschichte gesehen, mit wie vieler Willfährigkeit er zu vergeben pflegte. Beleidigungen, schmähsüchtige Reden, zuweilen ein offenbarer Ungehorsam, nichts von diesen allen konnte seine Mäßigung unterbrechen. Seine Seele, die niemals durch eine heftige Leidenschaft in Bewegung gesetzt wurde, kannte weder den Zorn, noch die Rache, welche eine Folge von demselben ist. Die Religion allein und die Unmenschlichkeit der Christen machten ihn zuweilen grausam gegen sie. Seine Bedienten bestohlen ihn; seine Schatzmeister wandten seine Einkünfte zu ihrem eigenen Nutzen an, ohne in eine andere Strafe zu verfallen, als daß sie ihrer Bedienungen entsetzet wurden. Zween Mamelukken zankten sich einmal einige Schritte von ihm; der eine warf nach dem andern mit seinem Pantoffel: dieser wich dem Wurfe aus, und der Pantoffel traf den Sulthan: allein dieser Prinz stellete sich, als wenn er es nicht gemerkt habe, und drehete sich nach der andern Seite, als wenn er mit einem seiner Generals reden wollte, damit er nicht gezwungen seyn möchte, den Urheber dieser That zu bestrafen. Zu der Zeit, als er wegen der unmenschlichen Grausamkeit des Königs Richards am meisten gegen die Franken aufgebracht war, und allen die Köpfe herunter säbeln ließ, welche man in denen Treffen gefangen bekam, schleppte man einen christlichen Officier in sein Zelt, der von tödtlichen Schrecken bedonnert war. Saladin frug ihn, was die Ursach seiner Furcht wäre. Ich zitterte, sagte der Officier, indem ich mich Ihrer Person nahete; allein meine Furcht ist verschwunden, so bald ich Sie sahe: Ein Prinz, dessen bloßer Anblick nichts als Gütigkeit und Gnade verkündiget, kann nicht so grausam seyn, mich zum Tode zu verdammen. Der Sulthan lächelte, und schenkte ihm das Leben und die Freyheit.
Wir sind gezwungen, viele ähnliche Züge mit Stillschweigen zu übergehen, welche von den Muhammedanischen Schriftstellern mit Sorgfalt aufgezeichnet sind, und die alle dem Herrn Ehre machen, dessen Geschichte wir beschrieben haben. Milde, Wohlthätigkeit, Menschenliebe, Religion, Gerechtigkeit, Freygebigkeit, machten seinen eigenthümlichen Caracter aus. Man berichtet uns, daß seine Gestalt noch mehr Liebe als Ehrfurcht einprägte, daß sein Blick nicht jene Frechheit an sich hatte, die man zuweilen an den Beherrschern der Welt wahrnimmt; daß seine Gespräche einfach, höflich, natürlich, beredt waren, allein daß seine Einbildungskraft sich niemals in der Poesie und selten in jenen kühnen Figuren, in jenen übertriebenen Metaphorn verlor, mit welchen die Morgenländer so befreundet sind. Er liebte eine Art von Studiren, das zwar sehr nichtswürdig, aber bey den frommen Muselmännern sehr hoch geschätzet wird: er suchte nämlich alle mohammedanische Traditionen, die Erklärungen des Korans, den mannigfaltigen Sinn der Ausleger, die verschiedenen Meynungen der Schulen kennen zu lernen, und fand ein Vergnügen daran, über diese Materien mit den Priestern und Cadhis zu disputiren. Er begünstigte die Poeten und die Dialectiker, die damals in den Morgenländern sehr gewöhnlich waren, nicht gar sehr, überhäufte die Lehrer des Gesetzes mit Wohlthaten, und verfolgte keinen, als die Schriftsteller, welche in ihren Werken gegen die guten Sitten und gegen die Religion keine Ehrerbietung bewiesen. Er hatte keine von jenen großen Leidenschaften, welche die Menschen aus der gemeinen Sphäre heraus reißen, Leidenschaften, die für die Menschlichkeit so traurig sind, wenn sie die Seele der Regenten bestürmen. Größer durch seine stillen und friedlichen Tugenden, als durch seine kriegerischen Thaten, schien er von der Natur mehr zum Privatleben, als zu der Regierung eines großen Staats bestimmt zu seyn. Ihm fehlete diejenige Schärfe, welche Fürsten nothwendig ist, ihre Macht in Respect zu erhalten. Er konnte niemals eine strenge Kriegeszucht unter seinen Truppen einführen, und hielt seine Emirs mehr durch seine Gelindigkeit, durch seine Tugenden und Beschenkungen in Gehorsam, als durch den Zügel seiner Gewalt. Das Glück setzte ihn auf einen Thron, nach welchem er nicht trachtete: die Nothwendigkeit, sich auf demselben zu behaupten, machte ihn gegen seine Wohlthäter undankbar. Mehr die Religion, als die Staatskunst, gab ihm die Waffen in die Hand, und ließ ihn Blut vergießen, welches er zu versprützen schauderte.

(aus: Francois Louis Claude Marin, Geschichte Saladins Sulthans von Egypten und Syrien, übersetzt von E.G. Küster, Celle 1761, Bd. II, S.320-324, zit.n. Erläuterungen und Dokumente. Nathan der Weise, hg.v. Peter von Düffel, Stuttgart: reclam 1985, S.81-86)

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   Arbeitsanregungen:
  1. Arbeiten Sie heraus, welche Charaktereigenschaften Saladins von Marin hervorgehoben werden.

  2. Worin bestehen seine historischen Leistungen?

  3. Vergleichen Sie die Darstellung Saladins mit der von Voltaire und der Lessings im Nathan.

 

 
   
 

 
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