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Figurengestaltung in dramatischen Texten
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Kontrast-
und Korrespondenzbeziehungen der Figuren ▪
Figurenkonstellation ▪
Konfiguration ▪
Figurenkonzeption ▪
Figurencharakterisierung
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Literarische Charakteristik
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Tempelherr-Szenen im Dramentext von Lessing
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Der Tempelherr im Rahmen der
Szenenanalysen
Die
Figur des
Tempelherrn
in
Lessings
Drama »Nathan
der Weise« kann unter zahlreichen verschiedenen Aspekten betrachtet und
interpretiert werden. Ein kleine Auswahl von Interpretationsaussagen
lädt zur Auseinandersetzung ein:
-
"Zu den christlichen Figuren des Schauspiels gehört
endlich noch der Tempelherr. Sein Äußeres, den drallen Gang, den guten,
trotzigen Blick, die Gewohnheit, die Augbrauen mit der Hand zu
streichen, beschreibt uns Nathan, wie er ihm zuerst nahe tritt. »Ein
Jüngling wie ein Mann!« sagt er und meint, in der rauen, bittern Schale
des Sonderlings stecke sicher kein ebensolcher Kern. Der Tempelherr ist
eine Jünglingsnatur von der besten Art: leidenschaftlich, aufbrausend,
voll Stolz und Trotz, aber auch voll Mut und Edelsinn. Wir werden an den
Tellheim in der »Minna
von Barnhelm« und seine schroffe Ehrenhaftigkeit erinnert, und
werden durch beide an Lessing selbst erinnert; denn es sind Züge seiner
eigensten Natur, womit er hier die Geschöpfe seiner Fantasie ausstattet.
Der Tempelherr ist im Abendland unter Christen erzogen, hat aber im
gelobten Lande, wie er sagt, schon manche Vorurteile abgelegt; gerade an
den blutigen Religionskämpfen, die er hier teils mitgefochten, teils
mitangesehen, ist es ihm klar geworden, dass es fromme Raserei ist,
seinen Gott als den vermeintlich besten der ganzen Welt aufdrängen zu
wollen; hat er sich zu einem religiösen Standpunkt emporgeschwungen, auf
dem er sich mit Nathan begegnet. Aber er ist noch der brausende
Jüngling, noch nicht der im prüfungsvollen Leben geläuterte Mann; daher
kommt es auch, dass, wie ihm Nathan mit seinem Zurückweichen in Betreff
Rechas unverständlich wird, er alsbald den Christen gegen den Juden
herauskehrt, wütend wird, dass sich Jude sich einfallen lasse, der
Christenheit eine Seele abjagen zu wollen, und kein Bedenken trägt, den
geistlichen Fanatismus, den er doch selbst von seiner schlimmsten Seite
kennen gelernt hat, gegen ihn zu Hülfe zu rufen. Das tut er freilich nur
im Sturm der Leidenschaft; er tut es nicht ganz, sondern weicht zurück,
sobald ihm im Gespräch mit dem Patriarchen zu Bewusstsein kommt, mit
welcher Macht er sich da verbinden wollen; und er gesteht hernach seinen
Fehler dem Nathan mit gewinnender Aufrichtigkeit. Aber wie fein ist es
von dem Dichter, dass er die schönen Reden:
Es
sind Nicht alle frei, die ihrer Ketten spotten [IV,4
V 2757] und
Der Aberglauben schlimmster ist, den seinen
Für den erträglichern zu halten ... [IV,4
V 2760] Dass er diese Reden den Tempelherrn in Bezug auf Nathan führen lässt,
während sie diesen doch gar nicht, sondern vielmehr ganz nur den
Redenden selber in seinem damaligen Beginnen treffen." (aus: David Friedrich Strauß, Über Lessings Nathan. Ein Vortrag (1863),
in: Bohnen (Hg.) (1984), S.36f.; an die moderne Rechtschreibung angepasst, G.E.)
-
"Der Tempelherr,
diese herrliche Jünglingsgestalt von stärkster dramatischer Wirkung, ist
[...] jenseits jeder positiven Religion. Er hat das aber nicht erreicht
in einem religiös-intellektuellen Vorgang wie Nathan, oder auch kraft
eines großen Überblicks wie Saladin; sondern wie sein trotziger,
rücksichtsloser Wahrheitssinn hineingestellt war in diese Mischung der
Bekenntnisse und der Rassen, lernte er jeden Anspruch der Gläubigen,
eine wahre Religion zu besitzen, verachten, gering denken von der Menge
und doch Menschenwert voll anerkennen, wo er auf ihn traf. Aber - darin
erscheint nun seine Grenze - seine Kraft, aus dem Ganzen in Liebe und
Hass, in stolzer Siegessicherheit der Welt gegenüber zu leben, hat noch
nicht gelernt, der Vernunft sich zu unterwerfen: er erlebt vor unseren
Augen die Umwandlung, die auch ihn durch Schmerz und Resignation
hindurchführt und ihn reif macht." (Wilhelm
Dilthey 1867, S.56)
vgl. auch: Die Instrumentalisierung der
christlichen "Gotteskrieger" - Notopfer-Karte des VDA, 1932)
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Figurengestaltung in dramatischen Texten
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Kontrast-
und Korrespondenzbeziehungen der Figuren ▪
Figurenkonstellation ▪
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Figurencharakterisierung
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Literarische Charakteristik
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Tempelherr-Szenen im Dramentext von Lessing
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Der Tempelherr im Rahmen der
Szenenanalysen
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
03.05.2021
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