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Unter schwerem seelischen Druck betrat Schiller die Räume der Akademie,
mühsam nur fand der sich in den ungewohnten Verhältnissen zurecht. Alles
muss sich ihm empört haben gegen den militärischen Ton, die Disziplin, wohl
auch teilweise den Unterricht; was sollte das alles ihm, der Pfarrer werden
sollte! Die Folgen solcher Geistesverfassung zeigten sich auf den
verschiedensten Gebieten. Er litt körperlich, allerdings vielleicht auch
infolge schnellen Wachstums; in den ersten zwei Jahren war er sieben Mal
krank, einmal fünf Wochen lang. Er zog sich Strafen zu: die meisten seiner
'Strafbillette' erhielt er in diesen beiden Jahren, meist für Verstöße gegen
die "Propreté", zweimal für Überschreitungen der Hausordnung. Seine
Leistungen waren durchaus nicht hervorragend; zwar erhielt er im Dezember
1773 einen Preis in der griechischen Sprache, aber sonst lauten die Urteile
seiner Lehrer recht kühl: sie reden von seinem 'langsamen, dissoluten
Wesen', nennen seine Gaben mittelmäßig, den Fleiß vorsichtig 'seinen Kräften
angemessen', dann lautet es auch einmal besser, aber am 4. Dezember 1774
heißt es wieder, dass er wegen der öfteren Krankheiten 'bei allem seinen
Fleiß doch gegen andere ziemlich weit zurückgeblieben' sei.
Besser als die Lehrer wissen häufig die Mitschüler, wie es um einen
Kameraden steht. Durch jenes Ansinnen des Herzogs an die Eleven, über ihre
Gefährten Auskunft zu geben, sind wir im Besitz einer ganzen Reihe von
Urteilen seiner Mitschüler über Schiller - freilich, die Umstände, unter
denen sie abgefasst wurden, sind nicht danach angetan, sie zu sehr
verlässlichen Dokumenten zu machen, es wusste ja jeder, was er durch
unvorsichtige Äußerungen für Unheil anrichten konnte. Immerhin geht etwas
aus ihnen hervor: es wäre falsch, aus dem oben Gesagten zu schließen, dass
Schiller selbst in der ersten Akademiezeit ein Kopfhänger gewesen wäre. Ein
Franzose behauptet zwar, seine melancholische Gemütsstimmung mache ihn wenig
gesellig, noch ein anderer nennt ihn still und nur selten munter, ein
dritter spricht von seiner Eingezogenheit; in überwiegender Zahl preisen
aber andere an ihm eine 'artige Lustbarkeit und Lebhaftigkeit', nennen in
'beständig aufgeräumt', 'immerdar lustig' und ähnliches. Die reichlich
wiederkehrende Versicherung, er fühle sich mit seinem Schicksale ungemein
zufrieden, ist natürlich wertlos, der Herzog wäre ja wohl außer sich geraten
über menschlichen Undank, wenn von einem seiner Söhne etwas anderes gesagt
worden wäre; aber im Ganzen scheint sich Schiller ins Unvermeidliche
gefunden zu haben: er war verschlossen gegen solche, die ihm nicht gefielen
- er hat es auch später sehr gut verstanden, sich unerwünschte Zeitgenossen
vom Leibe zu halten - denen, die ihm näher standen, war ein heiterer und
witziger Zeitgenosse; was er im Innersten empfand, wussten höchstens
Vertrauteste.
Auch dafür sind diese Urteile ein Beweis, dass er sich in die militärische
Propreté hineinfand. Dass er darin nie ein besonders Muster wurde, wird sich
jeder selber sagen können, der bedenkt, was für Gedanken in diesem
jugendlichen Kopfe bald gären sollten; aber wäre er in dieser Beziehung ein
schwarzes Schaft gewesen, wie man wohl früher annahm, so hätten die
Kameraden sicherlich nicht ganz überwiegend das Gegenteil gesagt.
Im fünfzehnten Jahre sollte er sich schon für ein Berufsstudium entscheiden:
schweren Herzens wählte er die Rechte und musste sich nun auch noch mit
Naturrecht, Reichshistorie und römischen Altertümern abquälen. 'Mit
Munterkeit' habe er dieses Studium ergriffen, so versicherte er dem Herzog
in seiner Selbstcharakteristik und fügte doch freimütig hinzu, dass er, bei
aller freudigen Erwartung künftigen Beamtenwirkens, sich weit glücklicher
schätzen würde, könnte er als Gottesgelehrter später seinem Fürsten und dem
Vaterlande dienen. Auf deutsch hieß das, dass er der Akademie lieber heute
als morgen den Rücken wenden wolle; uns zeigt es, dass die alte Sehnsucht
noch in ihm lebendig war, und doch war schon eine neue entfacht.
Nicht nur Kränklichkeit und Unlust ließen seine Leistungen schwach und
schwächer werden: eine besondere Welt nahm seine besten Gedanken, sein
Sinnen und Trachten in Anspruch, die Welt der Poesie. Alle benutzbaren
Mußestunden gehörten dichterischer Lektüre: Klopstocks gefühlvolles, die
Zeit tief ergreifendes religiöses Gedicht, den 'Messias', einzelne seiner
schwungvollen, gedankentiefen Oden hatte er wohl schon im Elternhause kennen
gelernt, jetzt schwelgte er in der poetischen Welt des Alten Testamens,
begeisterte sich an Psalmen und Propheten, las den römischen Epiker Virgil,
alles Dingen, an denen ihn die Akademie kaum ernsthaft hindern konnte.
Weshalb hätten ihre Zöglinge denn nicht die Bibel und römische Klassiker
lesen sollen! Stärker ans Herz schlugen ihm aber doch wohl die neuesten
Erzeugnisse deutscher Dichtung: Lessings Dramen waren noch jugendfrisch,
Goethes 'Götz von Berlichingen', sein 'Werther', sie hatten eben erst der
deutschen Welt verkündigt, was für poetische Schätze noch in Vergangenheit
und Gegenwart zu heben seien. All das fand seinen Weg auf die Akademie und
entzückte dort wie anderswo jugendliche Herzen: Schillers erstens uns
erhaltenes Gedicht 'An die Sonne' entstand, mit Klopstock wetteifernd
dichtete er an seinem religiösen Epos 'Moses', von dem nichts mehr vorhanden
ist, und - welcher jugendliche Dichter mag im geheimsten Fache des
Schreibpultes verbergen, was ihm die Muse schenkte! - vertrauten,
gleichgestimmten Seelen wurde mitgeteilt, was so entstanden war.
Unter den Mitschülern wusste man auch Bescheid. Der Herzog bekam es vielfach
zu hören, dass der Eleve Schiller an der Poesie den größten Geschmack finde;
die Vertrautesten wussten auch, dass er zur Tragödie neige. Das schrieb in
seiner Charakteristik Freund Hoven, der Jugendgespiele, mit dem sich der als
Freundschaftsbund auf der Akademie erneuerte und der unter dem Einflusse
Schillers nun auch einen Dichter in sich erwachsen fühlte. Und noch andere
führte ähnliches Streben den beiden nach: da war der Pfarrerssohn
Johann Wilhelm Petersen, der spätere gelehrte Bibliothekar und Verfasser
einer Geschichte der Nationalneigung der Deutschen zum Trunke, über welche
Neigung er übrigens auch praktisch sehr gut Bescheid wusste, da war vor
allem, auf Jahre hinaus der Getreueste der Getreuen, der Mömpelgarder
Goldschmiedsohn Georg Scharffenstein, der es
später zum Generalleutnant brachte, das waren aus der Gruppe der Künstler
und Musiker Heinrich Dannecker, späterhin Schwabens
genialster Bildhauer, und Rudolf Zumsteeg, der später
den Zeitgenossen so vieles aus den Werken seines Jugendfreundes zu Dank
vertonte. Sie fanden sich in der Erholungszeit und auf den Spaziergängen
zusammen, sie bildeten in der fremden Welt einen kleinen Kreis vertrauter
Seelen, ihr gemeinsames Schwärmen und Träumen, Dichten und Trachten hat
Schiller einen gewissen Ersatz für geopferte Ideale, ein Gegengewicht gegen
den Druck der Verhältnisse.
Und nun erfuhren auch diese eine bedeutsame Umwandlung. Der Herzog
beschloss, seine Akademie aus der Waldeinsamkeit der Solitude nach Stuttgart
zu verlegen. […]
In Stuttgart wurde die Akademie bedeutsam erweitert: sie erhielt eine
medizinische Fakultät, so dass ihre Zöglinge auf ihr zu Ärzten ausgebildet
werden konnten. Schiller mag diese Neuerung als Erlösung betrachtet haben.
Der Sinn stand ihm gar nicht nach den Erklärungen, Unterscheidungen und
´verzwickten Fällen der Juristerei, er schmachtete nach lebendigerem Stoff.
Dazu die Lücken seines Wissens, die ihm schier unausfüllbar erschienen;
kurz, er und Hoven entschlossen sich Mediziner zu werden. Dem Herzog, der
für die neue Fakultät Studenten haben musste, war es recht, er stellte sogar
in diesem Berufe eine bessere Versorgung für späterhin in Aussicht als im
erstgewählten; so wurde denn der Berufswechsel vollzogen - ein neues Leben
konnte beginnen.
Es begann noch lange nicht. Liebe zur Heilkunst hatte wahrhaftig nicht
Schiller zu ihr geführt; drum spürte er auch keinen übermäßigen Drang, sich
ihr mit Herz und Sinn gefangen zu geben. Zwar sorgte er dafür, dass er nicht
wieder in so eine peinliche Lage geriet wie bei den juristischen Studien,
aber sein volles Interesse war anderswo. Jetzt blühten im gerade die ersten
Erfolge (sie waren an sich bescheiden genug) auf dem Felde der Poesie: zwar
sein noch auf der Solitude entworfenes Drama 'Der Student von Nassau', bei
dem Werthers tränenreiches Schicksal Pate gestanden hatte, wurde nur den
Freunden bekannt und schließlich wieder vernichtet, aber ein Gedicht 'Der
Abend', das sein junger Autor an
Haug, den Herausgeber des 'Schwäbischen Magazins', einer in Stuttgart
erscheinenden Zeitschrift, sandte, wurde von diesem (1776) veröffentlicht.
Er hat des öfteren, um junge Talente zu fördern, die Spalten seines Blattes
Schülern der Akademie oder des Gymnasiums geöffnet - immerhin: zum ersten
Mal gedruckt! Wie mochte das dem jungen Dichter den Mut höhen, die Achtung
der Kameraden steigern, besonders da der gutmütige Haug ihm, wenn er so
fortführe, auch noch in pomphaftem Latein eine Drommetenstimme ('os magna
sonaturum', einen Mund, bestimmt Großes zu verkünden) verheißen hatte. […]
Auch anderes war geeignet, ihn schon damals in die Bahn zu lenken, die ihm
bestimmt war. In Stuttgart fanden die neuesten Erzeugnisse der Literatur
noch schneller Eingang als auf der Solitude. Die geheimnisvoll wehmütigen
Gesänge aus altkeltischer Vergangenheit, die unter dem Namen des
schottischen Barden Ossian gingen, wie die ganz anders gearteten, mehr als
bedenklichen Verserzählungen Wielands wurden gelesen, im Mittelpunkt von
Schillers Interesse stand aber zweifellos das Drama. Lessings kritische
Tätigkeit, sein hervorragendes Beispiel hatten den Weg zu einem den
Deutschen eigentümlichen Drama bereitet, der 'Götz' goss deutschen Leben
einer reichen Vorzeit in dramatische Form, ließ seine Menschen die kräftige
Sprache der Natur reden, eine Reihe junger Dramatiker folgte diesen Spuren:
große Leidenschaften wollten sie in urwüchsiger Sprache darstellen. Aufsehen
hatten besonders zwei Dramen erregt, 'Die Zwillingen' von Klinger und
'Julius von Tarent' von Leisewitz, beides Tragödien des Bruderhasses. An der
letzen vor allem begeisterte sich Schiller, unter ihrem Einfluss erwuchs ihm
wieder ein Drama, in dem er sich zum ersten Mal auf historischen Boden
wagte, aber auch dies, 'Cosmus von Medici' benannt, teilte das Schicksal
seiner Vorgänger.
Vor allem lernte er aber jetzt den Dichter kennen, der dem germanischen
Drama seine kraftvollste Gestaltung gegeben hat: er las Shakespeare. Und er
wurde ihm durch den Unterricht zugeführt, durch den anregendsten und
verehrtesten seiner Lehrer, den Philosophen
Abel. […]
Nicht als ob er [Schiller, d. Verf.] sich an den englischen Dichter
unbedingt hingegeben hätte: er bewunderte die Macht seiner Gestalten, die
Fülle seiner Welt- und Menschenkenntnis, die Art, wie den Leidenschaften
Sprache verlieh, aber - wer war denn dieser Shakespeare? Wo stand er mit
seinem Herzen? So meinte es der junge Schwabe nicht, wenn er dichtete: er
wollte nicht hinter seinen Gestalten verschwinden, ihm ein Sprachrohr
sollten sie sein, und alles Volks sollte merken, was ihr Schöpfer auf dem
Herzen habe.
Und er hatte viel auf dem Herzen an persönlichem Ingrimm, denn er erwachte
zum Bewusstsein seiner Eigenheit und ihrer Rechte. Es ist einmal so: man
sich in seine Lage einleben, sie sich erträglich zu machen verstehen und
doch gerade dann anfangen, sie als unwürdig zu empfinden und gegen sie zu
rebellieren. So war es mit Schiller: er hatte sicherlich nicht mehr das
drückende Gefühls des Zurückbleibens wie früher; […] Er war ihm achtzehnten
Jahr und dürstete nach Freiheit und Selbstbestimmung. Den Ordnungen der
Akademie ein Schnippchen zu schlagen, hatte er gelernt, aber war es nicht
unwürdig, dass er das nötig hatte? Damals hat er mittelbar oder unmittelbar
Gedanken Rousseaus, des großen Genfer Schriftstellers, kennen gelernt. Von
den verderblichen Einflüssen der Zivilisation predigte der, aus den freien
Kindern der Natur habe sie Sklaven gemacht, ihre Tugenden in Laster
verkehrt, darum zurück zur Natur, in und mit ihr soll der junge Mensch
aufwachsen, seine Gaben soll der Erzieher sich entwickeln lassen, ihn aber
nicht hineinpressen in irgendein Schema. Ja, dann geschah ihm, dem jungen
Schiller, himmelschreiende Gewalt! Wer hatte ihn nach Neigungen und
Fähigkeiten gefragt, wer fragte noch danach? Eine Dressur war sein tägliches
Leben - und wie lange lag noch der ersehnte Tag der Freiheit hinaus"
Wen musst er aber für all das verantwortlich machen? Den Herzog. Nun hätten
Karl Eugens imponierende Persönlichkeit, so manche gelegentliche
Freundlichkeit, mancher Scherz den natürlichen Gegensatz verringern können,
aber begnügte er sich ja nicht; er wollte laut verkündete Dankbarkeit. Der
junge Schiller wird oft genug bei den Akademiefesten die Reden seiner
Genossen angehört haben: was muss er empfunden haben bei der dick
aufgetragenen Schmeichelei, was bei dem Gedanken, dass ähnliche Lobhudeleien
eines Tages auch ihm zugemutet werden könnten! […]‘
Solche Gedanken klingen mit in dem zweiten Gedicht, das der Jüngling im
'Schwäbischen Magazin' (1777) veröffentlichte und das 'Der Eroberer' heißt.
Die Dichtung hält Gericht ab über einen Großen der Erden, über den
Kriegshelden, der um seines Ruhmes, seine Macht willen Staaten zerstört und
Völker knechtet, dem Menschenleben ein Spiel und Spott sind. Ihm flucht er
mit allem Pathos Klopstockscher Odensprache - gäbe es denn aber in seiner
Gegenwart solcher Völkergeißel?
Nein, und literarische und geschichtliche Erinnerungen hätten am Ende nicht
genügt, um dem jungen Dichter gerade diesen Stoff zu führen, wenn er nicht
in nächster Nähe einen Mann gesehen, seinen Druck empfunden hätte, der an
despotischem Wollen, an Rücksichtslosigkeit gegen das Glück anderer es mit
seinem 'Eroberer' aufnahm. Diese Stimmung kann nur vertieft worden sein, als
man auf der Akademie von
Schubarts Schicksal, das ihn gerade jetzt traf, hörte, als gleichzeitig
des unglücklichen Mannes Sohn, Ludwig Schubart, in die Akademie aufgenommen
wurden und da nun im allgemeinen Chor von Dankbarkeit gegen den
Kerkermeister seines Vaters überzufließen hatte.
Die Stimmung, aus welcher 'Der Eroberer' hervorgegangen war, suchte sich
weiter Luft zu machen, und ein günstiges Geschick gab dem jungen Dichter den
geeigneten Stoff an die Hand. Freund
Hoven machte ihn auf eine Erzählung eben jenes Schubart aufmerksam; von
zwei feindlichen Brüdern handelte sie, und nach des Freundes Idee sollte die
Geschichte dazu dienen, darzustellen, wie das Schicksal zur Erreichung guter
Zwecke auch auf den schlimmsten Wegen führe. Aus diesem löblichen Zwecke
wurde freilich nicht viel: all der Zorn und Ingrimm, all die Nöte eines
leidenschaftlich bewegten jugendlichen Herzens wurden in dies Gefäß
gegossen, und so entstand in jahrelanger Arbeit keine gutmütige
Rechtfertigung des Wettlaufs, sondern jene gewaltige, die tiefsten
Gegensätze des Menschenlebens aufwühlende Dichtung, 'Die
Räuber'.
Aber vorläufig hieß es ein Doppelleben führen. Was ihm am Herzen lag, die
eigenste Dichtung, musste heimlich´, in abgestohlenen Stunden, gefördert
werden, und selbst darin musste er sich Maß auferlegen, denn die
Anforderungen des Fachstudiums wuchsen, und er wollte ihnen genügen.[…]
Der Kandidat der Medizin schloss seinen Bildungsgang mit einer in erster
Linie philosophischen Abhandlung ab; [....]
Was sonst noch an Prüfungen und Disputationen abzumachen war, wurde
erledigt: Seit dem 9. Dezember (1780) fanden sie mit dem üblichen Gepräge
statt, und der 14.Dezember war dann der Tag der Preisverteilung und
Entlassung aus den Räumen, die ihm verhasst und vertrat, lieb und leid
geworden waren. Die Akademie hatte an ihm getan, was ihres Amtes war;
draußen sollte nun der Eleve zeugen, was in ihm steckte. Er hat es gezeigt,
und trotz allem darf sich Karls Anstalt dieses Zöglings rühmen. Nicht nur
dass sie ihm die treffliche philosophische, die umfassende allgemeine
Bildung gab, die in diesem Geiste schließlich das Gemäße war, nicht nur dass
auf ihr, in ihrer männlichen Umgebung, ihrem soldatischen Betriebe, der dem
Dichter ans sich gar nicht zusagte, sich das Erbe des Vaters, jener starke,
fast kriegerische Geist, in ihm unwillkürlich entfalten konnte und so sich
ihm jener männliche Charakter ausprägte, dessen Männer sich immer wieder
freuen - die Akademie hat uns gerade diesen Dichter Schiller, so wie er dem
deutschen Volke ein Heros geworden ist, gegeben. Ob sie das wollte, ist eine
ganz andere Frage.
In schnödester Vergewaltigung eigensten Wunsches war er ihr Schüler geworden
und geblieben; gegen ihren weit über das Knabenalter hinausreichenden Zwang
zu militärischer Disziplin in unmilitärischen Dingen befand sich sein
werdendes Selbstbewusstsein in steter Fehde, die er doch im stillen Busen
bewahren musste; die Einmischung des Herzogs, der Zwang zu höfischer
Schmeichelrede und erheuchelter Dankbarkeit gaben der Stimmung noch eine
politische Beimischung: aus allem ergab sich als Frucht der herzoglichen
Schule, der Pflanzstätte vielgetreuer Beamten, bei Schiller eine geradezu
revolutionäre Gesinnung, ein Aufbäumen gegen die Zustände in Staat und
Gesellschaft, das in seiner Jugenddichtung seinen hinreißenden Ausdruck
fand. […] Auch auf Klosterschule und Stift wäre aus Schiller ein Dichter
geworden, und eine hellere Jugend wäre ihm im Ganzen wohl auch beschert
gewesen; aber nimmer wäre
Karl Moor in die böhmischen Wälder gegangen, nimmer wäre über
Fürstenwillkür und Ministerhochmut das Gericht in 'Kabale und Liebe'
gehalten worden. […] Sein Volk darf im Zwange der Akademie, in der Willkür
ihres Stifters eine Fügung des Schicksals sehen. Das Eisen, das in dieser
Schmiede geschmiedet war, erwies sich als hart, und eine weichmütige Zeit
konnte es brauchen.
(aus:
Ludwig 1912, S.40-56, gekürzt) |
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