Ach, da reißen im Sturm die Anker, die an dem Ufer
Warnend ihn hielten, ihn faßt mächtig der flutende Strom.
Ins Unendliche reiht er ihn hin, die Küste verschwindet,
Hoch auf der Fluten Gebirg wieget sich mastlos der Kahn.
Schiller.
Der Zögling der Karlsakademie, der mit den »Räubern« in der Tasche die
Hochschule verließ, hatte das Recht, vom Leben etwas anderes zu verlangen,
als was der Masse seiner Kameraden beschieden war. Indes dachte er zunächst
nicht daran, der Medizin untreu zu weiden; ihm schwebte der Gedanke einer
speziell wissenschaftlichen Karriere vor. Eine weitere Ausbildung in
freierer Arbeit, womöglich an auswärtigen Universitäten, und dann etwa eine
Professur in Tübingen oder an der Karlsakademie selber – das mochte er sich
als künftigen Lebensgang ausmalen. Das Spezialfach, das er sich erwählt, die
Physiologie, wies ihn ja auch naturgemäß auf eine gelehrte Beschäftigung,
nicht auf die praktische Laufbahn hin. Allein wir wissen: Schiller war von
der Bestimmung des Herzogs abhängig, und dieser ernannte ihn zum Medikus, d.
h. Feldscher des Regiments Augé. Diese Verfügung ist so überraschend, so
widersinnig, daß man nicht anders kann als nach geheimen Absichten, welche
der Herzog mit ihr verfolgte, forschen. Zum Regimentsmedikus waren
sicherlich gar viele in Württemberg tauglich, vielleicht auch tauglicher als
Schiller. Nicht einmal die Absolvierung des Studiums war für diesen Posten
erforderlich. Das Regiment Augé war ferner ein äußerst reduziertes,
großenteils bestand es aus Invaliden. »Zum Regiment Augé kommen« war eine
spöttische Redensart geworden. Schillers Begabung kannte der Herzog; daß er
geglaubt hätte, der feurige Geist schicke sich zu diesem schmählichen Joch,
ist undenkbar. Es müssen andere rein persönliche Gesichtspunkte den Herzog
bestimmt haben. Entweder war er gegen den jungen Dichter und Redner
erbittert, und diese Ernennung sollte eine Strafe bedeuten – doch fehlen uns
Anzeichen und Anlässe für eine solche Voraussetzung –, oder der Herzog
wollte seine »Erziehung« an Schiller noch fortführen und glaubte in der
Tretmühle des Feldscherdienstes dieses freien Geistes am besten Herr weiden
zu können. Nach dem ganzen Charakter des schwäbischen Landesvaters ist dies
letzte das Wahrscheinlichste. Freilich lieferte der Fürst damit den besten
und entscheidendsten Beweis seines gänzlichen Mangels an Menschenkenntnis
und erzieherischer Begabung. Uns kommt der Ausspruch des Don Carlos in den
Sinn: »Dies seine Saitenspiel zerbrach in Ihrer metallenen Hand; Sie konnten
nichts als ihn ermorden.« Schillers geistige Kraft zu morden, darauf zielten
in der Tat in den beiden nächsten Jahren alle Maßnahmen des Herzogs hin, bis
sich die Lebenskraft in dem Gemarterten unwiderstehlich aufbäumte und ihn
die Ketten zerreißen ließ.
Daß die Medikusstelle nicht etwa, wie man zunächst ja hoffen konnte, nur
faute de mieux als Auskunftsmittel Schillern zugewiesen war, wurde sofort
klar, als der Vater mit dem pflichtschuldigen Ausdruck seines
»freudetrunkenen « Dankes an den Herzog das Gesuch richtete, seinem Sohn zu
gestatten, neben seiner Anstellung auch Privatpraxis treiben, und wie dazu
erforderlich war, außer dem Dienst Zivilkleidung tragen zu dürfen. Karl
Eugen schlug das rundweg ab, und Schillers medizinische Tätigkeit war also
auf seine invaliden Grenadiere beschränkt; er soll sich dabei in der
Anwendung sehr gewaltsamer Mittel gefallen haben. Dieser ungenügende
Beschäftigungskreis brachte aber den Vorteil mit sich, daß Schiller um so
mehr sich auf schriftstellerische Tätigkeit hingewiesen sah. Er konnte nun
auch den Seinigen, auch dem Herzog gegenüber seine literarische Arbeit mit
schlagenden praktischen Gründen rechtfertigen; sie war notwendig, um seine
äußerst geringfügigen Einnahmen zu verbessern. Und so wurde Schiller gerade
durch die mißgünstige Behandlung des Herzogs auf sein eigenstes Gebiet, auf
das Berufsschriftstellertum, hingedrängt. Wir sehen den Regimentsmedikus in
den nächsten zwei Jahren als dramatischen Autor, als lyrischen Dichter, und
auch als Redakteur und Publizist vor der Welt auftreten.
Das Wesentliche war natürlich für ihn die Veröffentlichung der »Räuber«.
Obgleich er nachher behauptet hat, sie nicht für die Bühne geschrieben zu
haben, drängte es ihn in Wirklichkeit doch gewaltig zur Aufführung. Aber
daran war in Stuttgart nicht zu denken. So mußte sich Schiller mit dem Druck
begnügen. Aber vergeblich sah er sich nach einem Verleger um, der ihm
Honorar zugesichert hätte. Der Entschluß zum Selbstverlag wurde nun gefaßt,
und damit eine Reihe schlimmer Geldnöte für den weltunkundigen Dichter
eröffnet. In jener Zeit schrankenlosen Nachdrucks und gänzlich mangelnder
Organisation des Buchhandels war ohne große Geschäftskenntnis und Schlauheit
überhaupt kein Gewinn zu erzielen. Sich ohne jede Erfahrung mit geliehenem
Gelde auf dies Gebiet wagen, hieß einfach sich schutzloser Ausbeutung
preisgeben. So hatte Schillers dichterischer Ruhm und seine materielle Not
die gleiche Geburtsstunde. Schnell war die erste Auflage der »Räuber«
vergriffen, aber die Schulden, welche sie dem hoffnungsfreudigen Herausgeber
eintrugen, wurden nicht getilgt.
Das unausgesetzte Streben und Ringen nach hohem Ziel bewies Schiller auch
während der Drucklegung des Dramas. Unermüdlich änderte er. Wir besitzen
noch einen von ihm verworfenen Druckbogen, der das erste Gespräch zwischen
Karl Moor und Spiegelberg in breiterer und noch maßloserer Ausführung gibt,
als wir es jetzt lesen. »Wer möchte nicht lieber,« ruft Moor da aus, »im
Backofen Belials braten mit Borgia und Catilina, als mit jedem Alltags-Esel
dort droben zu Tische zu sitzen.« Noch interessanter aber ist vielleicht der
Einblick in die Selbsterziehung des Schriftstellers, den uns ein Vergleich
zwischen der geplanten und der wirklich abgedruckten Vorrede eröffnet. In
der ersten Form ist sie eine Expektoration, wie sie Schiller seinen derben
Kameraden beim Wein vortragen mochte; in der zweiten ist sie das Werk eines
Autors, der mit Bewußtsein und Klarheit zum Publikum redet. Dort spricht
noch ein unfertiger literarischer Abenteurer, hier schon der scharf
bestimmende und scheidende Redekünstler, als den wir Schiller kennen. Einen
Satz wie den über den »Pöbel« könnte der Dichter auch zwanzig Jahre später
noch geschrieben haben: »Zu kurzsichtig mein Ganzes auszureichen, zu
kleingeistisch mein Großes zu begreifen, zu boshaft, mein Gutes wissen zu
wollen, wird er, fürcht' ich, fast meine Absicht vereiteln, wird vielleicht
eine Apologie des Lasters, das ich stürze, darin zu finden meinen, und seine
eigene Einfalt den armen Dichter entgelten lassen, dem man gemeiniglich
alles, nur nicht Gerechtigkeit widerfahren läßt.« Nach dieser
»Gerechtigkeit« hauptsächlich streben beide Vorreden; zu ihr wollen sie den
Leser aufrufen. Und Schiller hatte sie nötig, diese »Gerechtigkeit«. Wir
wissen ja, in welchem Räucherdunst von Tugendphrasen er aufgewachsen war,
wie der Hof, die Akademie darin wetteiferten und wie sich von da aus diese
Wolken von Heuchelei über das ganze schöngeistige Treiben Stuttgarts
verbreiteten. Und dazwischen blitzte nun Franz Moors Seziermesser, welches
alle Fasern des gesellschaftlichen Lebens bloßlegt, vor dem kein Punkt
verhüllt bleibt, und dazwischen läßt Karl Moor die Raketen seines
himmelstürmenden Trutzes emporsteigen, welche durch allen Nebel und Qualm
bis zu den Pforten des Himmels hinaufzudringen sich vermessen. Schiller
verwies auf das Vorbild großer Dichter, auf die Notwendigkeit, auch das
Laster zu schildern, wenn man das Leben darstellen wolle; auf das
unumgängliche Erfordernis, auch dem Laster etwas Anziehendes zu verleihen,
wenn es nicht den Leser anekeln sollte, er berief sich darauf, daß das
Laster doch den Ausgang nehme, der seiner würdig sei, – daß der Verirrte
wieder in das Geleise der Gesetze trete. Aber er hütete sich wohl, die
offenkundige Tatsache auszusprechen, daß sein Drama in Franz Moor die
Heuchelei verdammte, in Karl Moor aber die schrankenlose Selbstvergötterung
des Individuums mit der vollen Sympathie und Bewunderung des Dichters
ausschmückt.
Noch in einer anderen Hinsicht als in moralischer, glaubte Schiller das Werk
seines stürmischen Jugendeifers vor mißverstehender Kritik schützen zu
müssen: in Hinsicht der freien Handhabung der dramatischen Form. Es nimmt
dies wunder; denn das Publikum war, wie wir wissen, seit einem Jahrzehnt,
seit Goethes Götz, seit Lenz' und Klingers Dramen an viel größere
Formlosigkeit gewöhnt, als sie in den »Räubern« zu finden ist. Offenbar war
das württembergische Ländchen in seiner strengen Abgeschlossenheit nur wenig
von der neuesten Strömung der deutschen Literatur berührt worden, und so
glaubte Schiller den Lesern eine Erklärung schuldig zu sein, warum er sich
nicht in den »Schranken eines Aristoteles oder Batteux« gehalten habe. Hätte
er Lessings Dramaturgie schon gründlich gekannt, so hätte er sich die
Entschuldigung sparen können; denn der dort mit kongenialem Verständnis
gegebenen Deutung des Geistes der Aristotelischen Lehre entsprechen die
»Räuber« in allem Wesentlichen; aber Schiller, der nur die steife Regel
pedantischer französischer Dramaturgen kannte, glaubte sich allen Vorwürfen
damit entziehen zu sollen, daß er vorgab, überhaupt nicht für die Bühne
geschrieben zu haben. Im ersten Entwurf der Vorrede ließ er sich daneben
doch das Geständnis entschlüpfen, daß er sich »glücklich schätzen würde,
wenn sein Schauspiel die Aufmerksamkeit eines deutschen Roscius verdiente«;
in der Ausführung strich er auch diesen bescheidenen Wink.
Die Wirkung der im Frühjahr 1781 erscheinenden »Räuber« war ungeheuer. In
Stuttgart galten sie
dem ruhigen
Spießbürger als eine Ausgeburt der Hölle; aber die ganze junge
Generation begeisterte sich für sie. Weiter in Deutschland wirkten sie nicht
so sehr wie etwas Neues als wie der höchste, freilich auch schaudererregende
Erfolg der, seit Herders Auftreten eingeschlagenen, »genialischen« Richtung;
dagegen in dem politisch revolutionären Sinn, in dem sie später der
französische Konvent auffaßte, als er Schiller zum Citoyen ernannte, wirkten
sie in der Heimat nur wenig; Deutschland war für politische Ideen und
Agitationen zu wenig vorbereitet. Schillers Name wurde nun aber sofort den
besten der deutschen Literatur beigezählt. Für die zweite Auflage, die nach
wenig Monaten nötig wurde, fand sich nun schnell ein Verleger; dieser setzte
auf das Titelblatt das Motto »In Tyrannos« mit der Vignette des
aufsteigenden Löwen, was beides der beschwichtigenden Vorrede Schillers
seltsam widersprach. In Stuttgart wäre dies nicht zu wagen gewesen; da das
Drama aber in Frankfurt erschien, so blieb das Wahrzeichen unbeanstandet.
Übrigens wurden in dieser Ausgabe manche der krassesten Stellen, besonders
sexuellen Inhalts, gestrichen oder gemildert; in den späteren Drucken sind
sie jedoch meist wiederhergestellt worden.
Inzwischen hatte der Dichter sich auch anderwärts als Schriftsteller
hervorgetan und in jeder Kundgebung seinen Ruf als kühner Neuerer und als
Mann von rücksichtsloser Eigenart bestätigt. Seine Lyrik hatte sich zunächst
wieder wie auf der Akademie in einem »Leichencarmen« bewährt, das aus dem
üblichen Empfindungs- und Gedankenkreise kräftig hinausschritt. Zu einer
Frage an den Ewigen, an seinen Ratschluß, der den frühen Tod eines
hoffnungsvollen Jünglings verschuldet, gestaltet sich die ganze Dichtung, –
und damit weiter zu einem tiefempfundenen Zweifel an der Möglichkeit gläubig
vertrauender, hoffnungsfreudiger Weltbetrachtung.
O, ein Mißklang auf der großen Laute!
Weltregierer, ich begreif es nicht!
Hier, auf den er seinen Himmel baute –
Hier im Sarg – barbarisches Gericht!
So viel Sehnen, die im Grab erschlaffen,
So viel Keime, die der Tod verweht,
Kräfte, für die Ewigkeit erschaffen,
Gaben für die Menschheit ausgesät!
Aber wohl dir! – Köstlich ist dein Schlummer,
Ruhig schläft sich's in dem engen Haus;
Mit der Freude stirbt auch hier der Kummer,
Röcheln auch des Menschen Qualen aus ...
Wohl dir, wohl in deiner schmalen Zelle!
Diesem komisch-tragischen Gewühl,
Dieser ungestümen Glückeswelle,
Diesem possenhaften Lottospiel,
Diesem faulen fleißigen Gewimmel,
Dieser arbeitsvollen Ruh,
Bruder! – Diesem teufelvollen Himmel
Schloß dein Auge sich auf ewig zu.
Nicht in Welten wie die Weisen träumen,
Auch nicht in des Pöbels Paradies,
Nicht in Himmeln wie die Dichter reimen –
Aber wir ereilen dich gewiß.
Ob es wahr sei, was den Pilger freute,
Ob noch jenseits ein Gedanke sei,
Ob die Tugend über's Grab geleite,
Ob es alles eitle Phantasei?
Schon enthüllt sind dir die Rätsel alle!
Wahrheit schlürft dein hochentzückter Geist,
Wahrheit die in tausendfachem Strahle,
Von des großen Vaters Kelche fleußt.
Obgleich der Zensor manche Milderungen dieses Gedichtes erzwang, so galt
Schiller jetzt doch den maßgebenden Kreisen als ein schlimmer Umsturzmann.
»Bruder! ich fange an in Aktivität zu kommen,« schrieb er in der ihm noch
geläufigen burschikosen Weise an Hoven, »und das kleine hundsvöttische Ding
hat mich in der Gegend herum berüchtigter gemacht, als zwanzig Jahre Praxis.
Aber es ist ein Name wie desjenigen, der den Tempel zu Ephesus verbrannte.
Gott sei mir gnädig!«
Ein anderes umfangreicheres Gedicht, das Schiller damals in durchsichtiger
Anonymität veröffentlichte, konnte das Urteil über ihn auch nicht bessern;
es war »Der Venuswagen«. Obgleich diese Dichtung als herbe, satirische
Verurteilung alles Verderbens, das die rohe Sinnlichkeit anrichte, auftrat,
so war die Schilderung doch so kräftig und derb, daß sie an sich Anstoß
erregen mußte. Ganz besonders mißliebig aber mußte in den Hofkreisen der
Angriff auf das Maitressenwesen der Fürsten und seinen Einfluß auf die
Politik wirken.
Ja die Hure (laßt's ins Ohr euch flüstern)
Bleibt auch selbst im Kabinett nicht stumm.
In dem Uhrwerk der Regierung nistern
öfters Venusfinger um.
Diese Verse werden Karl Eugen nicht entgangen sein. Und auch als
Schiller in dem »Württembergischen Repertorium«, das er redigierte, ein
Begrüßungsgedicht für den aus dem Ausland zurückkehrenden Herzog
einrücken ließ, (vielleicht aus der Feder des Kameraden Petersen) fand
der herzogliche Zensor nicht den richtigen Ton darin getroffen. Neben
überschwänglichen Lobsprüchen war die Strophe mit untergelaufen:
Groß zog er hin – die Schätze fremder Weisen
Zurückzubringen wie der laute Ruf versprach:
Dort zog er hin, wo Menschen glücklich heißen,
Und diese Kunst der Gottheit ahmt er nach.
Der Zensor strich diese Zeilen.
Doch trotz mancher Fährlichkeiten reizte es den jungen Dichter dennoch,
im größeren Maßstab als Lyriker öffentlich aufzutreten. Das Jahr 1781 war
für Schiller reich an lyrischen Dichtungen; daß er sich aber entschloß, eine
eigene Sammlung derselben herauszugeben, hatte auch einen äußeren Anlaß.
Friedrich Stäudlin, ein junger Schöngeist, hatte im September 1781 Stuttgart
mit einer Neuerung, einem »Schwäbischen Musenalmanach auf das Jahr 1782«,
beschenkt. In diesem fanden sich alle möglichen Talente Württembergs
vereinigt, von Schiller aber nur ein einziges Gedicht: »Die Entzückung an
Laura«. Sei es nun, daß Schiller nicht mehr eingesandt hatte, weil er sich
Stäudlin nicht unterordnen wollte, sei es, daß dieser Gedichte von ihm
zurückgewiesen hatte, jedenfalls fühlte sich Schiller veranlaßt, ein eigenes
Unternehmen dem Stäudlinschen gegenüberzustellen, und so kam die
»Anthologie« zu stande, die zum größten Teil Gedichte des Herausgebers
selber bringt, wenn auch der Freundeskreis einiges beisteuerte. Natürlich
erschien die wenig in gewohnten Gleisen gehende Sammlung anonym; die
einzelnen Gedichte nur mit Chiffren versehen –, und so besorgt war Schiller,
seine Autorschaft im unklaren zu lassen, daß er seine Gedichte unter
verschiedenen Chiffren versteckte; noch heute ist dadurch manche Bestimmung
schwierig, in einzelnen Fällen unmöglich. Das Ganze beginnt mit einer
grotesken Widmung des dichtenden »Medikus« an seinen »Prinzipal den Tod«,
von dem er hofft, er werde ihn mit heiler Haut an Galgen und Rad
vorübergeleiten, vor dem Schicksal eines D'Amiens und Ravaillac bewahren!
Als Druckort und Abfassungsort der Vorrede ist Tobolsk angegeben, sei es
nun, daß der Dichter damit Württemberg als ein Sibirien charakterisieren,
sei es daß er sich selbst unter die bestraften Revolutionäre einreihen
wollte.
Günstig ist der Eindruck dieser Anthologie nicht. Weder zeugt sie von einem
großen lyrischen Talent, noch verrät sie eine sympathische Persönlichkeit;
neben den Räubern kann sie in keiner Art bestehen. Unausgeglichen zeigt sie
himmelstürmenden Idealismus und grobe Sinnlichkeit, spitzfindige Grübeleien
und überreizte Empfindung; ebenso in der Form gesuchte und verwickelte
Versmaße neben arger Nachlässigkeit in Rhythmus und Reim. Aber eines tritt
doch überzeugend aus diesem Chaos hervor: daß eine bedeutende Kraft hier
wirkt. Nicht ein Lyriker, aber ein Redner von eindringlicher Gewalt spricht
zu uns. Man lese das »Monument Moors, des Räubers«, wo der Dichter zuerst
die Größe seines Lieblingshelden mit Aufwand aller Rhetorik preist und dann
fortfährt:
Jünglinge! Jünglinge!
Mit des Genies gefährlichem Ätherstrahl
Lernt behutsamer spielen!
Störrisch knirscht in den Zügeln das Sonnenroß:
Wie's am Seile des Meisters
Erd' und Himmel in sanfterem Schwunge wiegt,
Flammt's am kindischen Zaume,
Erd' und Himmel in lodernden Brand!
Unterging in den Trümmern
Der mutwillige Phaeton!
Mit wuchtigem Ausdruck der Verachtung dagegen kämpft der Dichter gegen
Kleinlichkeit und Engherzigkeit der Gesinnung in dem Strafgedicht
»Rousseau«, das über die Verketzerung eines der größten Geister der Neuzeit
Wehe ruft; von dem umfangreichen Gedicht sind nur zwei Strophen in Schillers
gesammelte Werke übergegangen, in welchen das Pathos und die Satire der
ursprünglichen Fassung nicht nachzufühlen ist. Von schneidender Bitterkeit
ist der Sarkasmus in den »schlimmen Monarchen«, wo sich Schiller für alle
erzwungenen Schmeichelreimereien grimmig bezahlt gemacht hat.
Und ihr rasselt, Gottes Riesenpuppen,
Hoch daher in kindisch stolzen Gruppen,
Wie der Gaukler in dem Opernhaus?
Pöbelteufel klatschen dem Geklimper,
Aber weinend zischen den erhabnen Stümper
Seine Engel aus.
In einigen der auf das höchste Pathos gestimmten Gedichte tritt auch eine
wahre lyrische Empfindung hinzu, und so entsteht wirklich Ergreifendes;
Schauer der Erhabenheit wehen uns aus dem Hymnus »Die Größe der Welt« an:
Die der schaffende Geist einst aus dem Chaos schlug,
Durch die schwebende Welt flieg' ich des Windes Flug,
Bis am Strande
Ihrer Wogen ich lande,
Anker werf', wo kein Hauch mehr weht
Und der Markstein der Schöpfung steht.
Es ist eine faustische Stimmung, die ihren Abschluß freilich in der
Resignation, die sich vor der Unendlichkeit des All bescheidet, finden muß.
Dagegen sind die rein lyrischen Dichtungen zweifellos die schwächsten der
Sammlung. In den Laura-Oden wird wohl niemand, auch wenn er allen Schwulst
des Ausdruckes abstreift, auf einen Kern wahrhaft herzlichen Empfindens
stoßen. Und geradezu grotesk erscheinen diese Gedichte, wenn man erfährt,
daß sie einer Hauptmannswitwe Vischer galten, bei welcher der
Regimentsmedikus wohnte, einer spießbürgerlichen Kokette, die zwei Jahre
später mit einem jungen Adeligen durchging. Schiller hatte eben als
Akademiezögling das schöne Geschlecht überhaupt nicht kennen gelernt, und
nun er frei war, sah er »Helena« im ersten, besten Weibe. Weit natürlicher
klingt das vereinzelte Absagegedicht »An Minna«, dessen Beziehung auf
Wilhelmine Andreä Jakob Minor wahrscheinlich gemacht hat. Seltsam mutet es
uns an, daß Bürgers »Nachtfeier der Venus« den jungen Dichter zu dem
schwärmerischen »Triumphlied der Liebe« anregte, ihn, der Bürgers
Liebeslyrik später so hart verurteilen sollte.
Die psychologische Ader des Dramatikers beweist der Lyriker Schiller dagegen
schon in dem Erguß, den er der Kindesmörderin in den Mund gelegt hat. Der
Monolog streift hier schon an die Ballade, ähnlich wie in der zwanzig Jahre
später entstandenen »Kassandra«. Manche Strophen entbehren auch hier des
natürlichen, überzeugenden Ausdruckes; einige aber sind von packender
Gewalt. In den vier Zeilen
Seht! Da lag's entseelt zu meinen Füßen –
Kalt hinstarrend mit verworr'nem Sinn
Sah ich seines Blutes Ströme fließen,
Und mein Leben floß mit ihm dahin – –
in diesen Versen redet schon der künftige Meister der Ballade. Ein
kräftiges Talent epischer Schilderung beweist die »Schlacht« (»Bataille«)
und in milderen Farben »Der Flüchtling« (»Morgenphantasie«), wo der Dichter
sich schon sein eigenes künftiges Erlebnis auszumalen scheint. Nicht
gelungen ist dagegen der volkstümliche Erzählerton in dem bänkelsängerhaften
»Graf Eberhard der Greiner«; zum Volksdichter war Schiller nicht bestimmt;
die gesuchte Einfachheit wurde zur Plattheit.
Die »Anthologie« hat in Württemberg wohl Wirkung getan und Schillers Ruf als
eines gefährlichen Genies noch gesteigert; aber über die Landesgrenzen
hinaus ist sie kaum bekannt geworden. Und das ist natürlich und gerecht;
neben dem, was die deutsche Lyrik damals schon geleistet hatte und zu
leisten fortfuhr, konnten die Gedichte der Anthologie nur zum geringsten
Teil mitzählen. Welcher Abstand von den Göttinger Musenalmanachen, den
Liedern Bürgers und Höltys und Claudius' in ihrer lebendigen Naturfrische zu
Schillers erzwungenen und gewaltsam gesteigerten Dichtungen! Von Goethes
Zauberklängen, die bisher nur vereinzelt erschollen waren, zu schweigen!
Schiller blieb für das deutsche Volk der Dramatiker; der Lyriker konnte
daneben nicht aufkommen.
Noch weniger der Publizist und Redakteur, obgleich Schiller auch damals
schon das journalistische Talent bewies, das er später noch oft bewähren
sollte. Er redigierte kurze Zeit die »Nachrichten zum Nutzen und Vergnügen«,
die zweimal wöchentlich erschienen; unbefriedigt von dem mechanischen und
geistlosen Betrieb dieses Blättchens gründete er dann das »Württembergische
Repertorium«. Sein Lehrer Abel und sein Akademiegenosse Petersen
unterstützten ihn dabei. Hier konnte er dem Wogen und Drängen seines Geistes
freien Raum geben, und sogleich nimmt unter seiner Hand die Zeitschrift eine
populär-philosophische Richtung; die eigentümliche Verbindung von Denken und
Phantasie, die in Schillers Wesen lag, erweist sich schon hier in höchst
charakteristischer Art. Pessimistische und optimistische Weltbetrachtung
stellen zwei Freunde im »Spaziergang unter den Linden« einander gegenüber.
Die erstere ist fester begründet und klarer durchdacht; die letztere
bekämpft sie nicht mit Argumenten grundsätzlicher Überzeugung, sondern nur
mit dem Entschluß, jede flüchtige Freude zu genießen, bis sie verflogen ist.
Die tiefe Unbefriedigung durch die Wirklichkeit, welche Schiller zu jeder
Zeit erfüllt hat, ist wortreich und wirkungsvoll ausgedrückt; aber es fehlt
noch der positive Idealismus, der sich später dieser Stimmung siegreich
gegenüberstellt. Und am Schluß gewinnt die naturalistische Skepsis über den
Philosophen die Oberhand, so daß er mit zwei abrupten Sätzen beide
Anschauungen aus persönlichen, nichts weniger als ungewöhnlichen Erlebnissen
ihrer Träger ableitet. Auf eine ethisch-erhebende Wirkung zielt dagegen die
kurze Erzählung: »Eine großmütige Handlung aus der neuesten Geschichte.« Sie
ist einer wahren Begebenheit nacherzählt, welche Schillern vermutlich durch
die Familie Wolzogen bekannt geworden war. Sie feiert den Heroismus einer
aus Selbstlosigkeit hervorgehenden Entsagung; aber sie enthält zugleich eine
stumme Anklage gegen das Schicksal; denn jede Entsagung stiftet das
Gegenteil von dem Glück, das sie anderen zu bereiten hofft; fester,
selbstbewußter Egoismus wäre das Richtige gewesen. Aber ihn zu empfehlen,
wagt Schiller nicht, und so schließt die Erzählung mit einer Dissonanz, so
fein und taktvoll sie auch vorgetragen ist: sie lehrt nicht, was sie nach
der Meinung des Erzählers lehren soll. – Moralische Zwecke verfolgt auch die
Abhandlung »Über das gegenwärtige deutsche Theater«, die uns das
überraschende Bild eines jungen, wirkungskräftigen Dichters erkennen läßt,
dem das ästhetische Bewußtsein noch gänzlich im Schlafe liegt, der nur nach
moralischen Gesichtspunkten urteilt, – freilich nicht ebenso handelt; denn
wer möchte glauben, daß die »Räuber« aus dem Drang, sittlich zu belehren,
entsprungen seien! Ja der Schöpfer des theatralisch wirksamen Dramas, der
seine ganze Seele hineingelegt hat, ist im besten Zuge, das ganze Theater in
Bausch und Bogen zu verdammen, und läßt schließlich nur noch Gnade ergehen,
weil doch hier und da beiläufig auch eine ersprießliche Wirkung von den
Brettern ausgehen könne, hier und da ein Freund der Wahrheit und Natur
Belehrung schöpfen, hier und da »eine verlassene Saite der Menschheit« auch
in der rohen Masse nachklingen könne. Und dabei war, der so urteilte,
zugleich auch selbst schon auf der Bühne erschienen; die »Räuber« waren vom
Literaturdrama zum erprobten Bühnenwerk geworden!
Hier an diesem entscheidenden Lebenspunkt Schillers müssen wir länger
verweilen. Freiherr von Dalberg, der Leiter des Mannheimer Nationaltheaters,
hat das Verdienst, diese Wendung herbeigeführt zu haben. Es mag ihm selbst
später wohl bisweilen unheimlich vorgekommen sein, daß er dies Wagstück
vollführt hatte; denn er war kein genialer Feuerkopf, der nach Unerhörtem
stiebte, obschon immerhin ein weitblickender, für seine Zeit und seinen
Stand vorurteilsfreier Mann. Es war überhaupt schon eine Tat selbständiger
Denkungsart gewesen, daß der junge Reichsfreiherr im Frühling 1781 die
Leitung des kurpfälzischen Hoftheaters übernahm. Er hegte den Wunsch, es
auch des Namens eines »Nationaltheaters« würdig zu machen, und der
bedenkliche Vorgang der Hamburger Bühne Lessingschen Angedenkens schreckte
ihn nicht. Er bekümmerte sich tatsächlich selber um alles, und nicht nur um
des praktischen Zweckes willen; ein stark lehrhafter Zug, ein
charakteristisches Erbteil von dem schon abschneidenden Zeitalter der
»Aufklärung« machte es ihm lieb, eine möglichst persönliche Einwirkung auf
Dichter, Regisseur und Schauspieler zu üben. Ein junger Poet von Talent und
Feuer, aber noch bildungsbedürftig und bildungsfähig, das war für den
Freiherrn so recht, was er suchte und brauchte. Auf die »Räuber« wurde er
zuerst durch den Mannheimer Buchhändler Schwan aufmerksam gemacht, der in
Schillers Leben noch eine wichtige Rolle spielen sollte. Er zeigte sogleich
eine gewisse Geneigtheit, das Stück zu geben, wenn einige besonders schlimme
Stellen gemildert würden. Schwan beeilte sich, Schiller davon Kunde zu
geben, den er für seien Verlag gewinnen wollte. Als der Dichter sich zu
einer Bearbeitung des Stückes bereit erklärte, kam ihm Dalberg mit dem
schmeichelhaften Anerbieten, auch fernere Stücke künftig dem Mannheimer
Theater einzureichen, entgegen. Auf Schiller brachte diese Aussicht, die
sich ihm hier eröffnete, eine hinreißende Wirkung hervor. Die Schranke, die
ihn bisher von einer freien und weiten Laufbahn getrennt, schien gefallen;
offene Aussicht bot ihm sich dar, und die Verhältnisse, in denen er lebte,
zeigten ihm auf einmal ihre ganze Enge und Kleinlichkeit. Der gewaltige
Drang nach der Bühne, der in dem geborenen Dramatiker lebte, brach plötzlich
hervor. Er schrieb dem Intendanten, es sei sein Lieblingsgedanke, sich in
Mannheim, dem Paradies der dramatischen Muse, zu etablieren; es wurde dies
aber durch seine »nähere Verbindung mit Württemberg« erschwert. Das war eine
verschämte Bitte an den Freiherrn, für seine Zukunft zu sorgen, und noch
deutlicher war der Wunsch ausgesprochen, ihm wenigstens zu einer
Besuchsreise zu verhelfen. »Leider,« schrieb Schiller, »setzen mich
ökonomische Verfassungen außer stand, weite Reisen zu machen, die ich jetzt
um so freudiger machen würde, da ich noch einige fruchtbare Ideen für das
mannheimische Theater Ew. Exzellenz zu kommunizieren die Ehre haben möchte.«
Selbstgefühl und diplomatische Schlauheit sind in dieser Schlußphrase schon
ebenso vereinigt, wie später in den meisten Geschäftsbriefen Schillers;
allein auf Dalberg machten sie in diesem Augenblick noch keinen Eindruck;
ihm lag nur an den »Räubern« und nicht an ihrem Dichter.
Ohne speziellere Winke oder gar Vorschriften abzuwarten, schritt nun
Schiller mit größter Energie an die Theaterbearbeitung des Stückes.
Bewunderungswürdig ist die Unabhängigkeit, mit welcher er sich seinem
eigenen, erst seit einem Jahr vollendeten Werk wie einem fremden
gegenüberstellt; bewunderungswürdig auch der Instinkt, mit dem er die
Anforderungen der Bühne empfand und beurteilte. Noch jetzt werden die Räuber
in wesentlichen Punkten, besonders in der Darstellung von Franzens Ende,
nach dieser Bearbeitung gespielt. Eine Verbesserung im dramatisch-poetischen
Sinn kann man sie aber doch nicht nennen. Neben den rein bühnengemäßen
Änderungen macht sich auch eine Neigung zu überkünstlichen, ausspintisierten
psychologischen Experimenten bemerklich. Zu den glücklichen theatralischen
Änderungen gehört es, wenn im ersten Akt die Szene zwischen Franz und Amalia
unmittelbar an die zwischen Franz und dem Vater angereiht wird, wenn ferner
die beiden wenig individualisierten Räuber Grimm und Schwarz in eine Person
zusammengezogen werden. Im vierten Akt ist der Gedanke des Zerwürfnisses
zwischen Franz und seinem Werkzeuge Hermann dramatisch und psychologisch ein
glücklicher; Hermanns Rolle erhält nicht nur eine interessante Steigerung,
sondern es ist auch für Franz' Charakterzeichnung ein wertvoller Zug
gewonnen, wenn wir erkennen, daß der absolute, nur auf Aussaugung seiner
Untergebenen bedachte Egoismus schließlich auch keine Mithelfer mehr finden
kann, weil er es verlernt hat, irgend jemanden an sich zu fesseln. Aber die
Ausführung der Szene ist unwahr-theatralisch und entbehrt des überzeugenden
Lebens, das sonst in den »Räubern« pulsiert. Neben der Effekthascherei der
gegenseitigen Pistolendrohung eine aufdringliche, lehrhafte Sentenz in
Franzens Munde: »So ist es doch wahr und abermal wahr! Kein Faden ist so
fein gesponnen unter der Sonne, der so schnell risse als die Bande des
Bubenstückes.« Noch unnatürlicher ist der folgende Monolog des Vatermörders,
in welchem er erklärt, die »Reliquien der Menschheit in sich in Ehren
halten« und vor dem Brudermord zurückscheuen zu wollen. Wer glaubt es diesem
ausgedörrten Schurken, daß er »noch etwas fühle, das der Liebe gleicht?« Man
möchte ihm zurufen, wie dem Mephistopheles geschieht:
»Sprich nicht vom Herzen; das ist eitel!
Ein lederner verschrumpfter Beutel,
Das paßt dir besser zu Gesicht.«
Aus einer Wendung dieses Monologs, der schreckhaften Frage: »Wer
schleicht hinter mir?« konnte Iffland einen starken schauspielerischen
Effekt gewinnen; aber der folgende, absichtsvoll moralisierende Abschluß
hebt diese Wirkung wieder auf. Ebensowenig glücklich ist die Umwandlung und
Steigerung der Szene zwischen Amalia und dem angeblichen Grafen Brand. Ist
es schon in der ersten Ausgabe schwer begreiflich, daß Amalia in dem Grafen
ihren Karl nicht erkennt, so wirkt es geradezu als widersinnig, daß sich nun
eine wild leidenschaftliche Liebesszene zwischen beiden abspielt, welche
Amalia zu heftigen Selbstvorwürfen wegen ihrer vermeintlichen Untreue gegen
Karl aufstachelt! – Daß darauf Hermann in der Befreiungsszene am Turm eine
größere Rolle spielt als früher, ist eine Verbesserung; aber was soll man
dazu sagen, wenn er Karl Moor mit den Worten anredet: »Furchtbarer
Fremdling! Bist du vielleicht der satanische Poltergeist dieser Wüste? oder
bist du der Sbirren der dunklen Vergeltung einer, die durch die Unterwelt
patrouillieren gehen und die Geburten der Mitternacht mustern?« Solche
Sinnlosigkeiten finden sich ursprünglich in den »Räubern« nicht; sie sind
der notgedrungene Behelf des gezwungenen Umarbeiters, der sich künstlich zu
einer leidenschaftlichen und hochtrabenden Sprache emporschraubt. Leider
ging diese Manier dann auch in den kurz darauf gedichteten »Fiesco« über, wo
nur allzu viele Beispiele dieses inhaltleeren Schwulstes uns begegnen.
Aber die weitaus bedeutendste Veränderung, und eine solche, auf die sich der
Dichter viel zu gute tat, war die, welche Franz nicht durch Selbstmord
sterben, sondern dem Gericht des Bruders verfallen läßt. Auch diese Wendung
verdient wie die Hermann-Szene dem grundlegenden Gedanken nach vollen
Beifall. Der Selbstmord ist für ein so verworfenes Geschöpf, wie Franz es
ist, kein Ausgang, der unseren durch alle Mittel bis zum Ekel aufgereizten
Abscheu überwinden kann. Daß er im Hungerturm, in den er den Vater vergraben
hat, selbst sein Ende heranschmachtet, mag man eine kindliche
Vergeltungsjustiz nennen; sie entspricht dennoch nicht nur dem kindlichen,
sondern überhaupt dem gesunden Empfinden. Aber leider ist auch hier die
Ausführung durch Schwulst und Unnatur schlimm entstellt. Die Idealisierung
Karls und der Bande in Anlaß ihres Strafgerichts über Franz widerspricht
ganz und gar der Schlußwendung des dramatischen Ganges, welche den
Räuberhauptmann ja gerade zur Selbsterkenntnis und Selbstverdammung bringen
soll. In dem Augenblick, da Karl erkennt, daß er »am Rande eines
entsetzlichen Lebens« steht, ist die Gespreiztheit und Verstiegenheit seines
Benehmens und seiner Reden wider alle psychologische Konsequenz. Daß nun gar
die nichts weniger als hysterisch organisierten Räuber in ihren Stimmungen
hin- und hertaumeln wie Leute, die für eine Nervenheilanstalt reif sind, daß
sie auf Moors rührendste Reden zuerst »ein Gelächter anstimmen«, und gleich
darauf »erschrocken ihre Waffen zur Erde werfen«, dann wieder »lärmend in
die Hände klatschen«, endlich »langsam und bewegt von der Bühne abgehen«,
das ist schlechterdings hohle Theatermache, es fehlt ganz und gar die
wuchtige Kraft und die Sicherheit, die in der ursprünglichen Dichtung Schlag
auf Schlag trifft. Die Schlußszene, in welcher Schweizer und Kosinsky, »dem
Vater im Himmel wiedergegeben« und als Erben der Moorschen Grafschaft
eingesetzt werden, führt die ausgeklügelten Effekte bis zu grotesker
Seltsamkeit fort.
Der Freiherr von Dalberg übrigens war im ganzen mit der Bearbeitung
zufrieden; er hatte nur noch einige fernere Wünsche. Amalie ließ er durch
Selbstmord enden, eine Veränderung, die Schiller mit Recht sehr bitter
kritisiert hat, – und das ganze Stück verpflanzte er mit einem gewaltig
kühnen Griff aus der Zeit des siebenjährigen Krieges in die Epoche
Maximilians I. So willkürlich dies auch war, so waren die Folgen doch nicht
so schlimm, wie der Dichter fürchtete. »Die Räuber« sind trotz aller
Realistik im einzelnen – im ganzen doch ein Phantasiegebilde, und sie sind
im 18. Jahrhundert ebensowenig heimisch wie im 15. oder 16.
Der große Tag (der 13. Januar 1782), der dem
geborenen Dramatiker wirklich die Bühne erschloß, nahte heran. Merkwürdig,
mit welcher Klarheit Schiller schon während der Vorbereitungen die
Forderungen des Theaters erkannte! »Der Zuschauer,« schreibt er, »will an
sich nicht philosophiert, sondern gehandelt haben«; »die poetische Seite
kann jederzeit mit Vorteil an einem Theaterstück wegbleiben«; – Worte von
einer wahrhaft grausamen Nüchternheit des Urteils, die man einem
zweiundzwanzigjährigen Dichter, der die Frucht vieler stiller Stunden
leidenschaftlichen Schaffens ans Licht bringt, gar nicht zutrauen sollte.
Für die Aufführung verfaßte Schiller schließlich aber doch noch ein von
Dalberg gewünschtes »Avertissement«, welches den Bühnendichter ganz hinter
dem moralisierenden Prediger zurücktreten läßt, offenbar um bedächtige oder
ängstliche Einwände gegen das Stück abzuwehren.
Der bedeutungsvolle Augenblick, welcher zum erstenmal ein Werk Schillers auf
der Bühne lebendig werden sah, wurde mit gebührendem Interesse, ja mit
leidenschaftlichem Anteil vom Publikum begrüßt. So vieles in Schillers
äußerem Lebensgang kleinlich und kümmerlich erscheint, das Theater hat er
als Triumphator schon beschritten, noch ehe er gesiegt hatte. Aus allen
benachbarten Städten strömte man zur Aufführung; lange vor Beginn war das
Haus überfüllt; Dalberg hatte an den Kosten für die Ausstattung nicht
gespart; die besten Kräfte wirkten mit, vor allem Boek als Karl Moor und der
junge Iffland als Franz. Schon im vierten Akt riß Boek in der Szene am Turm
die Zuschauer in die tiefste Erschütterung hinein; als aber im fünften
Iffland seine ganze Kraft in der Verzweiflungsszene entfaltete, als er
ausrief: »Richtet denn droben über den Sternen einer? – Nein. Nein! Ja. Ja!
Fürchterlich zischelt's um mich: Richtet droben einer über den Sternen!
Entgegengehen dem Rächer über Sternen diese Nacht noch! Nein! sag' ich« – da
brach die Erregung unter den Hörern in furchterweckender Weise aus; heisere
Aufschreie ertönten, mit geballten Fäusten sprangen die einen auf, andere
fielen in Ohnmacht, und bis zum Schluß setzte sich dieser Paroxysmus fort,
»eine allgemeine Auflösung«, nennt ihn ein Zeitgenosse, »wie ein Chaos, aus
dessen Nebeln eine neue Schöpfung hervorbricht.«
Schiller hatte der Vorstellung beigewohnt. Dalberg und der Buchhändler
Schwan hatten ihn aufgefordert, und mit seinem Freunde Petersen war er Zeuge
des glänzenden Erfolgs, den die »Räuber« davontrugen. Je gewaltiger die
Wirkung war, welche diese endliche Befriedigung einer jahrelangen Sehnsucht
auf ihn üben mußte, desto merkwürdiger ist die unbefangene, ja bis zur
Ungerechtigkeit scharfe Kritik, mit der er den Eindruck seines eigenen
Werkes gleich nachher beurteilt hat. In seinem »Repertorium« gab er eine
ausführliche Kritik der bei Schwan im Druck erscheinenden
Theaterbearbeitung, und ließ noch einen kurzen Bericht über die Aufführung
folgen. Herbe Worte läßt er über Amalia und über den alten Moor fallen; an
Franz hat er auszusetzen, daß nicht ersichtlich sei, woher er seine
»herzverderbliche Philosophie« im Kreis einer friedlichen, schuldlosen
Familie geschöpft habe. Nur die stolze Freude an der Gestalt Karl Moors
bricht auch hier ungehemmt durch: »Er geht auf wie ein Meteor und schwindet
wie eine sinkende Sonne«. Wenn hier Lob und Tadel noch gemischt sind und man
meinen könnte, der Tadel diene nur als Deckmantel der Anonymität des
Kritikers, damit er zugleich desto unbefangener sein eigenes Werk auch loben
könne, so muß vor dem Theaterbericht doch jede solche Mutmaßung verstummen.
»Wenn ich Ihnen meine Meinung deutsch heraussagen soll, – dieses Stück ist
demohnerachtet kein Theaterstück. Nehme ich das Schießen, Sengen, Brennen,
Stechen und dergleichen hinweg, so ist es für die Bühne ermüdend und schwer.
Ich hätte den Verfasser dabei gewünscht; er würde viel ausgestrichen haben,
oder er müßte sehr eigenliebig und zäh sein.«
Gewöhnlich pflegen junge Dichter auf andere Art für das Renommee ihrer Werke
zu sorgen als durch solche Selbstkritiken. Aber Schiller, hart und
unerbittlich in seinem Urteil über andere, war auch unerbittlich gegen sich
selbst. Das Vollbrachte hat er immer verachtet und immer nach Höherem
gestrebt; sein ganzes Leben hindurch kehrt der Gedanke wieder, daß er bisher
nur Mangelhaftes geleistet habe und erst jetzt zu einem vollwichtigen Werk
alle Kraft zusammennehmen wolle. Denn die Selbstkritik lähmte nicht etwa
sein Schaffen, sondern spornte es beständig; sie war eng verbunden mit einem
hohen Selbstgefühl, das nicht daran zweifelte, zu großen Dingen berufen zu
sein. In diesem Sinn schreibt er auch an Dalberg, er habe viel in Mannheim
beobachtet, viel gelernt, und wenn Deutschland einst einen dramatischen
Dichter in ihm finde, so müsse man die Epoche von diesem Besuch aus zählen.
Deutschland! Über Württemberg ist Schiller nun hinausgewachsenem; in den
großen Zug der aufstrebenden deutschen Poesie fühlt er sich aufgenommen.
Aber wie fest hielten ihn zugleich die realen Verhältnisse in Württemberg
gebunden. Heimlich, bei Nacht und Nebel war er nach Mannheim gereist, weil
er keinen Urlaub zu diesem Zwecke hoffen konnte; die Befriedigung des
Autors, vor dem Publikum erscheinen zu dürfen, hatte er sich, versagen
müssen, und mit bitterer Selbstironie hatte er in der Rezension geschrieben:
der Autor des Stückes, höre man, sei Arzt bei einem württembergischen
Grenadierbataillon, das mache dem Scharfsinn seines Landesherrn alle Ehre;
denn bei seiner Vorliebe für starke Wirkungen dürfe man ihm wohl nur
Grenadiere, besser vielleicht noch Pferde zur Kur übergeben.
Je mehr öffentliche Auszeichnung Schiller zuteil wurde, desto ärger wurde
das Mißverhältnis zu seiner kümmerlichen amtlichen Stellung. Schon äußerlich
war es ein peinlicher Anblick, den hochgewachsenen, schlanken Mann in eine
»steife und abgeschmackte Uniform« eingepreßt zu sehen, für welche ihm alle
»Tournüre« mangelte, in der er sich, ohne die Kniee recht biegen zu können,
»wie ein Storch bewegte«. So trat der junge Dichter auf, dem sich alle
Blicke überall zuwandten, den man respektvoll einander schon von weitem
zeigte: »Seht! da kommt Schiller.« Aber schlimmere Mißstände als diese
äußerlichen ergaben sich aus der unerfreulichen sozialen Stellung, in die
Schiller gebannt blieb. Sein Hauptumgang blieben die Kameraden aus der
Akademie, mit welchen er sich in einem verspäteten, derb burschikosen
Kneipenleben schadlos zu halten suchte. Schiller kam in dem philiströsen
Stuttgart dabei bald in den Ruf eines Trunkenboldes; das war freilich ganz
ungerechtfertigt; aber zu einer feineren geselligen und gemütlichen Bildung
konnte ihn allerdings diese Lebensweise nicht führen. Nur eine Beziehung
knüpfte sich, die Schillern emporheben konnte: zu Henriette, der noch
jugendlichen Mutter des Akademiezöglings Wilhelm von Wolzogen.
Aufrichtigsten Anteil zollte sie dem jungen Dichter, während ihr Sohn
unbedingt zu ihm hinaufsah; ebenso die anderen Jugendgenossen, die Hoven,
Petersen, Conz. Und auch ein junger Musiker, Andreas Streicher, wurde damals
von Schillers Persönlichkeit unwiderstehlich gefesselt und sollte bald
Gelegenheit haben, ihm seine Anhänglichkeit in rührender Weise zu betätigen.
Streicher hat uns auch eine ansprechende Schilderung Schillers hinterlassen;
er erwähnt die blasse Gesichtsfarbe, die aber im Gespräch schnell in hohe
Röte überging, die freundlich blickenden, meist etwas entzündeten Augen, die
kunstlos zurückgelegten, rötlichen Haare, den blendend weißen Hals, den
Schiller gern entblößt trug, sobald er den Uniformzwang ablegen durfte.
Streicher hebt mehr das Freundliche, Gutherzige der Persönlichkeit hervor;
von anderen wissen wir, daß die scharf gebogene Nase, die vorragende
Unterlippe auch den Eindruck großer Energie hervorrief.
Von den vielen Landsleuten, die sich damals um Schiller drängten, war nur
einer, dessen Urteil für ihn als maßgebende Stimme gelten konnte; es war der
unglückliche Christian Schubart, den Karl Eugens erzieherische Vorsorge zu
seiner Besserung auf Schloß Hohen-Asperg gefangen hielt. Durch den
Kommandanten, General Rieger, der Schillers Pate war, wurde ein Besuch
ermöglicht. Schubart war tief gerührt; er fiel dem Dichter der »Räuber«, die
er glühend verehrte, mit Tränen um den Hals, und für Schiller war diese
warme Gefühlsäußerung des älteren Dichters eine Erinnerung von dauerndem
Wert. Freilich konnte das erschütternde Bild des Gefangenen ihm auch
Gedanken erregen über die Gefahr, die ihm selbst drohte, wenn er
rücksichtslos auf seinem Wege vorschritt. Bis jetzt hatte der Herzog wenig
Anlaß gehabt, sich an der Konduite des Regimentsmedikus zu freuen, und daß
er an seinen Dichtungen keine Freude fand, wissen wir schon. Und an Anlässen
zu neuem Mißfallen fehlte es nicht. Nicht lange nach jenem Besuch starb
General Rieger, und Schiller widmete ihm ein Leichencarmen, das wie eine
Palinodie der höfischen Dichtungen des Karlsschülers klingt. Riegern wird
hier, ob mit Recht oder Unrecht, nachgerühmt: »Nicht um Erdengötter klein zu
kriechen, Fürstengunst mit Untertanenflüchen zu erwuchern war dein Trachten
nie.« Und der Tod selber spricht strafend »aus Riegers Bahre«:
Erdengötter! Glaubt ihr ungerochen
Mit der Größe kindisch – kleinem Stolz –
Alles fast der schmale Raum von Holz –
Gegen mich zu pochen?
Hilft euch des Monarchen Gunst,
Die oft nur am Rittersterne funkelt,
Hilft des Höflings Schlangenkunst,
Wenn sich brechend euer Aug' verdunkelt? ....
Wird man dort nach Riegers Range fragen,
Folgt ihm wohl Karls Gnade bis dahin?
Wird er höher von dem Ritterkreuz getragen,
Als vom Jubel seiner Segnenden?
Es kann nicht Wunder nehmen, daß dies Gedicht von einem Fürsten, dem der
Genuß höfischer Schmeichelei zum Lebensatem geworden war, sehr übel vermerkt
wurde. Und die Gelegenheit, die Ungnade fühlen zu lassen, kam nur zu bald.
Zu Ende des Maimonats reiste Schiller zum zweitenmal heimlich zu einer
Vorstellung der »Räuber« nach Mannheim. Die Sache wurde diesmal ruchbar, der
Herzog forderte Schiller persönlich vor sich, verbot ihm aufs strengste den
Verkehr mit dem Ausland und diktierte ihm einen vierzehntägigen Arrest.
Verbot jedes Verkehrs mit dem »Ausland« – das war tatsächlich ein
Unterbinden der ganzen literarischen Tätigkeit; Württemberg war kein
selbständiges literarisches Gebiet; die Stuttgarter Bühne war unbedeutend.
Es war ein harter Schlag für Schiller, daß ihm plötzlich das Mannheimer
Fenster, durch das er in die Außenwelt geblickt hatte, zugeschlagen wurde.
Er stand vor einer schweren Entscheidung. Denn zugleich wurde ihm eine
eingehende Beschäftigung mit seiner Brotwissenschaft wieder nahegelegt. Die
Karlsakademie hatte durch Kaiser Joseph II. eben die Rechte einer
Universität erhalten; sie hieß von nun an »Hohe Karlsschule« und konnte auch
den medizinischen Doktorgrad erteilen. Schillers Genossen, wie Hoven,
rüsteten sich ihn zu erwerben, und auch Schiller mußte es, wenn er nicht
sich selbst verurteilen wollte, ewig in der hinteren Reihe der Mediziner zu
bleiben. Aber die erneuerte fachwissenschaftliche Arbeit, die dazu
erforderlich war, stimmte wenig zu den Neigungen des Regimentsmedikus, der
schon hinter einem neuen Drama, der »Verschwörung des Fiesco« saß. In dieser
Not wandte er sich an den Mann, den er für seinen Gönner hielt, an Dalberg.
»Unglücklicher kann bald niemand sein als ich,« gesteht er in dem Brief vom
4. Juni dem Intendanten. »Darf ich mich Ihnen in die Arme werfen,
vortrefflicher Mann? Ich weiß, wie schnell sich Ihr edelmütiges Herz
entzündet...« Nein! Davon wußte Schiller gar nichts; er verwechselte die
Unternehmungslust eines jungen Theaterleiters, der ein interessantes Werk
gern »herausgebracht« hatte, mit einer persönlichen Anteilnahme, die Dalberg
gar nicht empfand. Schillers Vorschläge, ihm zu ermöglichen, in dem
»griechischen Klima« Mannheims zum »wahren Dichter« zu werden, machten auf
jenen gar keinen Eindruck. Um so weniger als Schiller ihm selbst mitteilte,
daß dabei der Widerstand seines Herzogs zu überwinden sein würde, wobei er
ihm sogar schon vorsorglich die Mittel an die Hand gab, Karl Eugen durch
richtige Ausnutzung seiner Eitelkeit zu gewinnen. In einem zweiten Brief vom
15. Juli mußte dann Schiller schon von der Ungnade, die ihn getroffen, und
vom Arrest melden, und das mußte den höfisch-vorsichtigen Dalberg noch mehr
abschrecken, sich mit einem mißliebigen Beamten des Herzogs von Württemberg
irgendwie zu kompromittieren. Von dieser Seite fand sich Schiller in seinen
Hoffnungen getäuscht.
Und zugleich trafen ihn die Schläge des Unglücks immer heftiger; eine
schicksalsvolle Fügung schien gegen ihn zu wirken. Eine völlig unbedeutende
Stelle in dem gewaltigen Revolutionswerk der »Räuber« wurde durch eine
merkwürdige Verkettung wahrhaft verhängnisvoll. Im zweiten Akt sagt der
»feine, politische Kopf« der Bande, Spiegelberg, zu seinem wißbegierigen
Schüler Razmann: »Reis' du ins Graubünder Land, das ist das Athen der
heutigen Gauner.« Diese ganz beiläufige, außerdem im Fortgang des Dialogs
wieder halb aufgehobene Äußerung, die durch den Unwillen gegen einen aus
Graubünden stammenden Aufseher in der Akademie veranlaßt war, wurde von zwei
verschiedenen Seiten (den Schriftstellern Wredow und Am Stein) tadelnd
hervorgehoben und kam dadurch auch zur Kenntnis der Graubündner
Landes-Versammlung. Diese wünschte einen Widerruf des kränkenden Vorwurfs
und suchte auf verschiedenen Wegen Schiller dazu zu veranlassen. Hier war es
nun eine Mittelsperson, der Ludwigsburger Garteninspektor Walther, der aus
freien Stücken unternahm, die Sache zur Kenntnis des Herzogs zu bringen.
Zweifellos war persönliche Gehässigkeit dafür maßgebend, wenn wir auch die
spezielle Ursache derselben nicht kennen. Karl Eugen war aufs höchste
entrüstet, daß der ohnehin unbequeme Regimentsmedikus gar Anlaß zu
Verwickelungen mit einer fremden Regierung gab. Er ließ Schiller wiederum
vor sich kommen und verbot ihm bei Strafe der Kassation ferner irgend welche
anderen als medizinische Schriften zu veröffentlichen. Schiller wäre nicht
er selbst gewesen, wenn er sich diesem Verbot gefügt hätte. Aber er wollte
auch nicht den Gehorsam aufkündigen, ohne das letzte gewagt zu haben. So
richtete er denn am 1. September 1782 eine Bittschrift an den Herzog, in
welcher er zunächst die pekuniäre Seite seiner dichterischen Tätigkeit
bespricht, dann sich auf »den allgemeinen Beifall« beruft, womit einige
seiner »Versuche in ganz Deutschland aufgenommen wurden«, und damit auch dem
Herzog zu bedenken gibt, daß er »von allen bisherigen Zöglingen der großen
Karls-Akademie der erste und einzige gewesen, der die Aufmerksamkeit der
großen Welt angezogen und ihr wenigstens einige Achtung abgedrungen hat.
Eine Ehre,« beteuert er mit berechneter Unterwürfigkeit, »welche ganz auf
den Urheber meiner Bildung zurückfällt! Hätte ich die literarische Freiheit
zu weit getrieben, so bitte ich Ew. Herzogliche Durchlaucht
alleruntertänigst, mich öffentliche Rechenschaft davon geben zu lassen, und
gelobe hier feierlich, alle künftigen Produkte einer scharfen Zensur zu
unterwerfen.«
Wäre der Herzog statt durch despotische Willkür von gesunder Vernunft
geleitet worden, so hätte er auf dieses Gesuch hin eine zustimmende Antwort
geben müssen. Daß Schiller ein großes Talent war, das der Akademie wie dem
ganzen Lande Ehre eintragen mußte, lag auf der Hand; wenn er sich
verpflichtete, alles was er schrieb, die Zensur passieren zu lassen, so war
dem Herzog damit die Möglichkeit gegeben, ihn in bestimmten Bahnen zu
erhalten. Eine andere Frage ist, ob nicht Schiller mit diesem Angebot zu
weit ging, ob er nicht sich selbst untreu wurde, indem er seine Produktionen
gewiß sehr willkürlichen Forderungen unterordnen wollte? Wer aber möchte
wagen, ihm einen Vorwurf zu machen, daß er lieber zuerst die möglichste
Nachgiebigkeit übte, ehe er zu verzweifelten Maßregeln griff? Allein der
Herzog selber drängte ihn zur Entscheidung; Karl Eugen erwarb sich
unfreiwillig das Verdienst, daß Deutschland nicht einen verstümmelten,
sondern einen ganzen Schiller erhalten hat. Er verbot dem Dichter, bei
Strafe des Arrestes, noch irgend ein Gesuch an ihn zu richten. »Ist dies
schon Wahnsinn, hat es doch Methode«, kann man daraufhin nur sagen.
Man hat wohl die Meinung ausgesprochen, in diesem Bescheid sei eine so
hochgradige Ungnade zum Ausdruck gekommen, daß Schiller sofort habe fliehen
müssen, um nicht irgend welchen Willkürmaßregeln anheimzufallen. Das ist
vielleicht nicht unrichtig; aber sicherlich nicht deshalb, nicht aus Furcht
ist Schiller geflohen. Er tat es, um weiter dem Beruf dienen zu können, den
er als den seinigen anerkannt hatte, und dem er jetzt alles, die Heimat, die
materielle Existenz, den guten Namen opferte. Er wurde ein mittelloser,
vagabundierender Deserteur; aber mit dem Bewußtsein, daß es »die
Gerechtigkeit gegen sein eigenes Talent erfordere, es zu seinem Ruhm und
Glück anzubauen«. – Und weder das Talent noch die zähe Energie haben ihn im
Stich gelassen; nur die Kraft des Körpers reichte nicht aus, und er büßte
ein ruhmvolles, inhaltreiches Leben mit frühem Tode.
Ohne Überstürzung, mit derselben berechnenden Klugheit, welche die
idealistische Schwärmerei in ihm beständig begleitete, setzte er seine
Flucht ins Werk. Die Mutter weihte er im letzten Augenblick ein; der Vater
als herzoglicher Offizier durfte nichts ahnen. Sein treuer Genosse auf der
Flucht wurde der junge Musiker Streicher, den wir schon kennen lernten. Der
hatte den Wunsch, in die Welt zu ziehen, aber dabei gar keinen Anlaß zur
Heimlichkeit. Nur um Schiller zur Seite zu stehen, nahm er die peinliche
Rolle eines paßlosen Reisenden mit falschem Namen auf sich. Eine von
rührender Freundestreue erfüllte Schilderung dieser Flucht hat er uns
hinterlassen. Es war der Abend des 22. September 1782; auf dem Lustschloß
Solitude fanden große Festlichkeiten zu Ehren des russischen Großfürsten
Paul statt, bei denen auch Hauptmann Schiller beschäftigt war. Am Eßlinger
Tor hatte der Akademiegenosse Scharffenstein die Wache; so fuhren die zwei
Flüchtlinge dort hinaus, doch ohne den Offizier anzutreffen; der Schildwache
gaben sie sich als Doktor Wolff und Ritter an. Jenseits des Tores fuhren sie
nordwärts um die Stadt herum. Es ging nach Mannheim zu, auf Dalberg setzte
Schiller alle seine Hoffnungen. Aber wiederum wurden sie getäuscht.
(aus:
Harnack 1898, Bd. 1, zit. nach
Projekt Gutenberg)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
16.12.2023