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Methodenrepertoire zur
szenischen Erarbeitung von Dramentexten
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Analyse einer dramatischen Szene
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Strukturen dramatischer Texte
▪
Analyse einer dramatischen Szene im Überblick
▪
Formen des Gesprächs im Drama
▪
Analyse der dramatischen Kommunikation
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Dramenhandlung
▪
Dramatische Rede
▪
Formtypen
des Dramas
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Dramaturgie und Inszenierung
Mortimer und Leicester stehen in einem
kontrastiven Verhältnis zueinander, das sich im Hinblick auf ihr Alter,
ihre soziale Stellung und ihr Verhältnis zu Elisabeth, aber auch unter dem
Aspekt ihrer Einstellungen aufzeigen lässt.
Während Mortimer, ein junger Mann von 20 Jahren, ohne Erfahrungen am Hof
Elisabeths von seinen Gefühlen beherrscht wird, steht Leicester, der
wesentlich ältere Mann, eigentlich im Zenit seiner Stellung und Macht. Er
ist der unbestrittene Günstling Elisabeths und in allen wichtigen Gremien
des Reiches mit Sitz und Stimme vertreten.
Als die beiden auf Wunsch Mortimers zu ihrer geheimen Unterredung
zusammenkommen, gebührt dem englischen Großen eigentlich von Anfang an
eine dominierende Rolle. Doch die Angelegenheit, um die es geht, ebnet die
sozialen Unterschiede der beiden zunächst einmal ein, die beide
gleichermaßen ängstlich und selbstbewusst zugleich von ihrem jeweiligen
Gegenüber ein Zeichen erwarten, das Vertrauen für weitere Informationen
schaffen soll. Dies ist insbesondere bei Mortimer bemerkenswert, der an
dieser Stelle keine Scheu vor dem Großen des Reiches zeigt, auch wenn er
letzten Endes mit der Aushändigung des Briefes von Maria an Leicester den
Anfang macht.
Als Mortimer die für ihn authentische Gefühlsbewegung Leicesters beim
Betrachten des mitgesandten Bildes von Maria Stuart bemerkt, ist für ihn,
wie auch den Lord, die nötige Vertrauensbasis für weitere Informationen
geschaffen. Allerdings bleibt Leicester, der ja Mortimers
Informantendienste und offizielle Version für seine Glaubensänderung vor
Elisabeth (II,4 V 1496) mit angehört hat, noch immer auf der Hut. So will
er, ehe er sich selbst weiter auslasse, von Mortimer wissen, wie dieser
das Vertrauen Marias habe gewinnen können. Erst als Mortimer seine
internationalen Verbindungen und das Schreiben des Kardinals von Guise
erwähnt, das Maria von seinen Absichten überzeugt habe, ist auch Leicester
bereit, weitere Informationen zu geben. Denn im Raum und zwischen beiden
steht in diesem Moment immer noch das argwöhnische Unverständnis
Mortimers, der sich die Hintergründe für die von Leicester gespielte
Doppelrolle nicht erklären kann..
Leicester bittet Mortimer darauf hin zunächst um Verständnis für sein Misstrauen, da
seine Position am Hof Elisabeths durch Walsingham und Burleigh ständig
bedroht sei. Er sei sich daher nicht sicher gewesen, ob Mortimer ihn in
deren Auftrag in eine Falle habe locken sollen. Auf diese
Entschuldigungsversuche Leicesters reagiert Mortimer geradezu respektlos mit einer ironischen
Bemerkung, die Verständnis für die Ängste des "vielbedeutenden, gewalt'gen
Lords" (II,8 V 1710) vorgibt. Leicester, der zwar nach außen hin nicht darauf eingeht, sieht
sich im Anschluss daran allerdings doch genötigt zu reagieren. Im Gestus
einer großartigen Umarmungsgeste und im Tenor einer gänzlich überzogenen
Freundschaftserklärung, die es ihm ermögliche, sich allen Kummer von der
Seele zu reden (vgl. II,8 V 1755ff.), versucht er Mortimer für sich
einzunehmen und ihm Doppelspiel und Sinneswandel zu erklären. So sieht er
sich also mehr oder weniger gezwungen, Mortimer über seine
Beziehung zu Maria Stuart aufzuklären. Als er sich dazu noch in die
Pose eines wagemutigen Retters wirft, der das eigene Leben für Maria aufs
Spiel zu setzen bereit wäre, ("Jetzt im Gefängnis, an des Todes Pforten /
Such' ich sie auf, und mit Gefahr des Lebens.", V 1767) erntet er erneut
nur den ironischen Spott Mortimers, der mit seiner ironisch
kommentierenden Bemerkung "Das heißt großmütig handeln!" (V 1769) die
Selbstinszenierung Leicesters und sein Streben nach Dominanz in diesem
Gespräch durchkreuzt. So sieht sich Leicester gezwungen, weitere
Ausführungen zu seiner Rechtfertigung abzugeben, die jedoch erneut an der
gleichen ironischen Bemerkung Mortimers ("Ich beklag' Euch, Graf!" V 1793)
verpuffen. So sieht sich Leicester deshalb veranlasst, Mortimer seine
Gefühle für die überaus attraktive Maria Stuart zu bekennen. Als er dazu
ausführt, dass ihm Maria ihre Hand versprochen habe, wenn er sie rette,
wendet sich das Gespräch hin zu einem Disput über den Weg zur Befreiung
Maria Stuarts.
Mortimer klagt Leicester dabei zunächst einmal an, am Todesurteil
Marias mitgewirkt und seitdem nichts zu ihrer Befreiung unternommen zu
haben. Dadurch gewinnt Mortimer endgültig eine dominierende Rolle in dem
Gespräch, die er zuvor, von den Gesprächsanteilen beider betrachtet, nicht
unbedingt für sich beanspruchen konnte, auch wenn seine eingestreuten
ironischen Bemerkungen immer wieder den Anspruch darauf signalisieren. Er
ergreift sofort die Gelegenheit, seinen Plan darzulegen, als Leicester
vermeintlich Zustimmung zur Beteiligung an einer Befreiungsaktion
signalisiert ("Nein, ich hoffte / hoffe noch, das Äußerste zu hindern, /
Bis sich ein Mittel zeigt, sie zu befrein." – V 1838-1840) Die
Auseinandersetzung um den von Leicester vehement abgelehnten gewaltsamen
Befreiungsversuch Marias treibt beide Männer, die darüber hinaus
Konkurrenten um die Zuneigung Marias sind, in einen offenen Streit. Ohne
dass es einem der beiden gelingt, in diesem Streit zunächst die Überhand
zu gewinnen – von Schiller durch die
Stichomythie (V 1863-1880) offenkundig ausgedrückt – halten sich die
beiden in symmetrischer Form der Kommunikation Chancen, Risiken und die
Fragwürdigkeit der Motive der geplanten Aktion vor.
Erst als Mortimer erwähnt, dass er von Elisabeth den Auftrag erhalten
hat, Maria zu ermorden, wendet sich das Gespräch in einer Weise, die die
angeheizte Stimmung der beiden Männer zumindest für einen Augenblick
abzukühlen vermag. Allerdings verhallt das Lob, das Leicester Mortimer
dafür ausspricht, Elisabeth belogen zu haben, angesichts der sofort wieder
aufwallenden Meinungsverschiedenheiten. Während Leicester dadurch Chancen
sieht, Zeit zu gewinnen, um seinen eigenen Plan der Begegnung der
Königinnen umzusetzen, glaubt Mortimer, dass sie Zeit zum Handeln dränge.
Mit nahezu den gleichen Argumenten, die Leicester im Staatsrat für den
Verzicht auf die Hinrichtung und die weitere Inhaftierung Maria Stuarts
vorgebracht hat, argumentiert Mortimer nun entschlossen dagegen. Auf eine
solche Weise könne, das steht für ihn fest, Maria nicht befreit werden.
Mortimer versucht, Leicester weiter zur Tat zu drängen. Indem er ihn zum
offenen Aufruhr gegen Elisabeth auffordert und von ihm energisch verlangt,
sein Doppelspiel zu beenden, bringt er Leicester noch einmal in die
Defensive. Dabei ist es nicht nur die Art und Weise, wie er seine
Forderungen nahezu im Befehlston vorträgt, die Mortimers Dominanz in
dieser Phase des Gesprächs unterstreicht, sondern auch der Seitenhieb auf
Leicesters Männlichkeit, an die zu erinnern sich der weitaus jüngere Mann
sich im Zusammenhang mit Leicesters Verhalten gegenüber Elisabeth
gegenüber dem weitaus Mächtigeren erlaubt.
So bleibt Leicester zunächst nichts anderes, als mit einer Anzahl
rhetorischer Fragen seine wenig überzeugende Gegenwehr sichtbar zu machen
und das Eingeständnis zu machen, dass unter der Herrschaft Elisabeths
jeglicher Heldenmut umsonst sei. Aus diesem Grund bittet er Mortimer, sich
seiner Führung anzuvertrauen und keine unbedachten Schritte zu
unternehmen.
Als das Gespräch wegen der herannahenden Elisabeth unterbrochen zu werden
droht, will Mortimer aber noch wissen, welche Botschaft er Maria von
Leicester überbringen solle. Die ausweichende und gleichermaßen Mortimer
vor den Kopf stoßende Antwort Leicesters, er möge Maria die Schwüre seiner
ewigen Liebe überbringen, endet das Gespräch an einer Stelle, die über die
taktischen Überlegungen hinaus den tiefer gehenden Gegensatz der beiden
Männer herausstellt: Wem gelingt es, Maria Stuart für sich zu gewinnen.
Zieht man den ganzen Verlauf des Dialogs zwischen Leicester und
Mortimer in der Szene II,8 in Betracht, so kann wohl kein Zweifel daran
bestehen, dass Mortimer insgesamt gesehen das Gespräch dominiert. Auch
wenn die Gesprächsanteile in ihrer Mehrheit bei Leicester liegen, sind sie
doch meistens nur mehr oder weniger hilflose Rechtfertigungsversuche gegen
die ohne Respekt vor dem Großen des Reichs vorgetragenen Anklagen und
Fragen des jungen Mortimer. Und: Leicester gelingt es nicht, dass sich
Mortimer seiner Führung unterstellt. Im Gegenteil, Mortimer verfolgt nun
seinen Plan so eigenständig, wie er es sich auch vorgenommen hat und hat
damit Marias Bitte erfüllt, mit Leicester Kontakt aufzunehmen. So ist in
dieser Szene jedenfalls Mortimer der eigentliche Gewinner, auch wenn er
letzten Endes gegenüber dem skrupellosen Leicester den Kürzeren ziehen
wird.
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Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
16.12.2023