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▪
Methodenrepertoire zur
szenischen Erarbeitung von Dramentexten
▪
Analyse einer dramatischen Szene
▪
Strukturen dramatischer Texte
▪
Analyse einer dramatischen Szene im Überblick
▪
Dramenhandlung
▪
Formtypen
des Dramas
▪
Dramaturgie und Inszenierung
Die Interpretation der Szene ▪
III,4 von ▪
Schillers
▪
Drama
▪ »Maria
Stuart« ist ein zentraler Gegenstand der Literaturwissenschaft. Die
folgende Zusammenstellung gibt darin einen Einblick:
Rudolf Ibel, 1943
"Die berühmte Begegnung zwischen Maria und Elisabeth endet ja keineswegs
mit der Erhebung Marias auf die Ebene des Ideals. Hier wirkt kein
Idealismus, sondern das ganz elementare Gefühl des in seiner Ehre
beleidigten Weibes, das sich trotz Selbstverleugnung gedemütigt und
verspottet sieht und nun seinerseits zum Angriff auf die Feindin übergeht.
Die handelt hier nicht geistig frei, sondern im Banne ihrer bluthaften
Seelenwallung. Ihr ganzes Wesen antwortet ungeteilt und unmittelbar.
Gerade in diesem Auftritt dichtet Schillers Genius unbekümmert um die
Theorie vom Erhabenen und zeigt, dass es noch eine Erhabenheit im Menschen
gibt, die mit ursprünglicher Gewalt aus dem seelisch-sinnlichen,
dämonischen Grund des Menschen aufbricht. Im Zustand der dämonischen
Erhabenheit scheidet sich der Mensch nicht mehr in ein physisches und
moralisches Wesen »schärfstens voneinander« (Schiller,
Über das Erhabene), sondern die eine Lebensflamme lodert aus
dem Herzen empor, unbekümmert um die Vernichtung des Einzellebens. Die so
Entflammte wagt ihr Leben nicht als »reine Intelligenz«, die sich einen
»Ausgang aus der sinnlichen Welt« sucht, sondern als der in seiner Ehre
beleidigte Mensch. Auch Ehre ist ja nicht irgendein höchstes
Vernunftprinzip, sondern eine ursprüngliche Haltung und somit
naturnotwendig, schicksalhaft. Folgerichtig besiegelt Maria, aus
beleidigtem Gefühl ihre weibliche und königliche Ehre verteidigend", ihr
Schicksal im »Affekt«." (Ibel
1943, zit. n. Ibel, 9. Aufl, 1982,
S.61f.)
Ilse Graham 1974
Die Königinnen sind nicht zwei getrennte Personen. Genauer gesagt ist
Maria die greifbare dramatische Verkörperung der geheimen erotischen
Triebe ihrer "Schwester". Diese Verbindung ist auf mehreren Ebenen und mit
einer Fülle verbaler Verknüpfungen durchgeführt [...].
Dieselbe Begierde, die in Maria hell und sichtbar brennt, schwelt also,
ihrem bewussten Willen verborgen und unerreichbar, auch in Elisabeth. Die
schottische Königin ist in ihrem Gefängnis gewissermaßen eine Teilansicht
der geheimen Erotik ihrer Rivalin, aber auf die richtige Dimension
vergrößert und offen auf eine Riesenleinwand projiziert. [...] Und ebenso
umgekehrt: In der Gestalt Elisabeths hat der Dichter die hemmenden Kräfte
des Gewissens dargestellt und vergrößert, die in Maria rudimentär
geblieben [...] sind. [...] Jede von beiden [...] ist greifbare
Verkörperung derjenigen Triebe, die in der anderen nicht entfaltet und
internalisiert sind.
Diese geheime Beziehung dürfen wir nicht außer Acht lassen, wenn wir uns
der verhängnisvollen Begegnung der Königinnen zuwenden. Ihr Treffen
bedeutet nicht nur, ja nicht einmal im Wesentlichen den direkten
Zusammenprall zweier getrennter und einander feindlicher Gestalten, die
aus politischen, intellektuellen und Gründen des Temperaments
unversöhnlich gegenüberstehen. Vielmehr bedeutet es für beide eine
Konfrontation mit sich selbst; genauer gesagt, mit den unterdrückten und
unausgebildeten Zügen ihrer Seele, die ihr nun unbequemer Weise in Gestalt
ihres eigenen verwandten, aber feindlichen Alter ego entgegentreten. Das
eigentliche Problem, das sich den beiden Königinnen stellt, ist, ob jede,
indem sie sich mit der anderen auseinandersetzt und sie akzeptiert, dazu
gelangt, den Teil ihrer eigenen Person zu erkennen und anzuerkennen, den
sie verdrängt hat. Denn nur wenn beide sich mit dem versöhnen, was sie
innerlich abgelehnt haben, können sie seelisch ein lebensfähiges Ganzes
werden. Daher stellt die Begegnung [...], die entscheidende Prüfung für
die Bereitschaft und Fähigkeit jeder der beiden Königinnen, das, was ihr
bisher fremd geblieben ist, zu internalisieren und mit denjenigen
Eigenschaften zu versöhnen, die in ihrem Wesen vorherrschen, um so eine
reife und reiche Persönlichkeit zu werden."
(Graham, Ilse: Schiller's Drama. Talent and Integrity, London: Methuen
1974, S.152, 155, zit. n.
Grawe (Hrsg.) 1978, S.196f)