docx-Download -
pdf-Download
▪
Figurengestaltung in dramatischen Texten ▪
Kontrast-
und Korrespondenzbeziehungen der Figuren ▪
Figurencharakterisierung
▪
Techniken
der Figurencharakterisierung in dramatischen Texten
▪
Auktoriale Techniken
▪
Figurale
Techniken
▪
Literarische Charakteristik
Literarische
Charakteristik dramatischer Figuren
Harm-Torsten Reinke hat sich in seinem Aufsatz "Der
Einfluss Schillers dramentheoretischer Schriften - insbesondere der
Abhandlung Über das Erhabene- auf aktuelle Maria Stuart-Interpretationen
der Germanistik" (http://www.literaturdigital.de/index.html?schiller.html ,
2.5.02 ) mit den Auffassungen ▪
Gert
Sautermeisters unter Bezugnahme auf Aussagen Schillers
auseinandergesetzt.
Dabei setzt er sich mit insbesondere mit folgenden
Interpretationsaussagen Gert Sautermeisters auseinander (Sautermeister,
Gert (1992). “Maria Stuart – Ästhetik, Seelenkunde,
historisch-gesellschaftlicher Ort”. In: Walter Hinderer (Hg.): Schillers
Dramen. Stuttgart, S. 280-335)
-
Die Figur der Maria Stuart verwirkliche am Ende "das vollständige
Ganze der ästhetischen Erziehung" (Sautermeister 1992, S.320 f.)
-
"Maria hebt die Differenz zwischen äußerer Vollkommenheit und
menschlicher Unvollkommenheit in ihrer Todesstunde auf. Sie wird zur
schönen Seele: jetzt wetteifern die königliche Schönheit ihrer Gestalt
und der Adel ihrer Menschlichkeit harmonisch miteinander" (Sautermeister
1992, S.320)
-
Unmittelbar vor der Vollstreckung des Todesurteils gelange Maria in
eine Seinssphäre, welche das Auseinanderstreben von Sinnlichkeit und
Vernunft überwinde und den Menschen zur schönen Seele mache (vgl.
Sautermeister 1992, S.).
-
Schiller gehe es nicht darum, die in der Fachliteratur sonst
zitierte Theorie des Dualismus von Trieb und Vernunft aufzuzeigen,
sondern vielmehr darum, eine versöhnende Synthesis-Konzeption
vorzustellen.
-
Sautermeister Synthesis-Konstruktion: "Eine ihrer zentralen
Kategorien [der Synthese] ist die schöne Seele – Symbol der harmonischen
Verfassung des Individuums, das seine sinnlich-natürlichen und
sittlich-geistigen Kräfte zwanglos versöhnt (Sautermeister 1992, S.321).
-
Die ursprünglich gegeneinander streitenden Kräfte von Trieb und
Vernunft sehe Sautermeister bei Maria im Einklang miteinander, "....
nachdem sie sich vom Stau verdrängter Aggressionen entlastet hat (Sautermeister
1992, S.321).
-
So, meine Sautermeister, sei der Weg für Maria frei, das von
Schiller formulierte Ideal zu veranschaulichen, das sich in ihrem
Übertritt zur schönen Seele vollziehe: "Die schöne Seele ist weder
Resultat einer kontinuierlichen Verinnerlichung des Sittengesetzes noch
eine heroische Abweisung der Naturkräfte [...] Sie fällt vielmehr einem
Menschen zu, der sich zu seinem unterdrückten, ‚unedlen‘ Selbst bekennt
und es dadurch überwunden hat" (ders. 1992: 321f.). Dieser Zustand
ermögliche es Maria, ohne Rachegelüste und aus freiem Willen mit
Elisabeth Frieden zu schließen
-
“Sittlichkeit ist zum Naturtrieb geworden” (Sautermeister 1992,
S.322). Daher finde der Widerstreit zweier entgegengesetzter Kräfte
seine versöhnende Vereinigung im idealen Zustand der schönen Seele, was
im Stück – gleichsam als anschauliche Entsprechung- durch eine Vielzahl
sinnbildlicher Darstellungen zum Ausdruck kommt (vgl. Sautermeister
1992, S.324)
Der Begriff der "schönen Seele" bei Schiller und die Kritik an
Sautermeister
Unter Bezugnahme auf die nachfolgenden Aussagen Schillers entwickelt
Reinke seine Kritik an der Synthesis-Konzeption Sautermeisters:
-
"Eine schöne Seele nennt man es, wenn sich das sittliche Gefühl
aller Empfindungen des Menschen endlich bis zu dem Grad versichert hat,
dass es dem Affekt die Leitung des Willens ohne Scheu überlassen darf,
und nie Gefahr läuft, mit den Entscheidungen desselben in Widerspruch zu
stehen” (1)
-
"Die schöne Seele hat kein andres Verdienst, als das sie ist. Mit
einer Leichtigkeit, als wenn bloß der Instinkt aus ihr handelte, übt sie
der Menschheit peinlichsten Pflichten aus, und das heldenmütigste Opfer,
das sie dem Naturtriebe abgewinnt, fällt wie eine freiwillige Wirkung
eben dieses Triebes in die Augen” (Schiller 1994: 111). Schiller
schreibt weiter: “Daher weiß sie [die schöne Seele] selbst auch niemals
um die Schönheit ihres Handelns, und es fällt ihr nicht mehr ein, dass
man anders handeln und empfinden könnte..." (2)
-
"In einer schönen Seele ist es also, wo die Sinnlichkeit und
Vernunft, Pflicht und Neigung harmonieren, und Grazie ist ihr Ausdruck
in der Erscheinung.” (3)
Deutung und Kritik an Sauermeister:
-
Die schöne Seele erfüllt im spontanen Handeln die Gesetze der
Vernunft.
-
"Das Bewusstsein um einen unreglementierten Affekt, der Triebfeder
einer alternativen Handlungsweise wäre, geht der schönen Seele
verloren, was unzweifelhaft Folge einer Internalisierung der
Sittengesetze ist. Und zwangsläufig ist es dieser Verlust, der die
Grazie der äußeren Erscheinung ermöglicht."
-
"So wie die Anmut der Ausdruck einer schönen Seele ist, so ist Würde
Ausdruck einer erhabenen Gesinnung" (4).
-
“Der Mensch ist zwar in ihrer Hand [der Natur], aber des Menschen
Wille ist in der seinigen” (5).
Deutung und Kritik an Sauermeister:
-
Diese Würde zeigt sich nur in Extremsituationen, in denen
die Gesetze der menschlichen Eigenart im krassen Widerspruch zu denen
der Natur stehen. In einer solchen Situation delegiert der
Mensch, sofern er das kann, seinen Willen an die Vernunft. Damit
gewinnt er Freiheit von der Natur und ihren immerwährenden
Gesetzen.
-
"Ein Mensch, der mir das Todesurteil schreiben kann, hat darum noch
keine Majestät für mich, sobald ich selbst nur bin, was ich sein soll.
Sein Vorteil über mich ist aus, sobald ich will" (6).
Deutung und Kritik an Sauermeister:
-
Die erhabene Reaktion "hilft" dem Menschen in zwei
Extremsituationen: Zum einen wenn er mit dem (sinnlich-) Unendlichen,
den Schranken seiner Vorstellungskraft konfrontiert wird, zum anderen
wenn ihn etwas Furchtbares übermächtig bedroht. In beiden Fällen
bedrängt ihn ein Gefühl des Wehseins. Dieses Gefühl überträgt er
jedoch in eine von der Vernunft geleitete Vorstellung, was ihm
wiederum ein Gefühl des Frohseins vermittelt. So empfindet er nämlich
Freude darüber, unabhängig von der unfassbaren Natur zu sein,
indem er sich mit abstrakten Begriffen über sie hinwegsetzt, Ebenso
froh ist er aber auch, nun unabhängig von der verderbenden Natur zu
sein, indem er das Unabänderliche selbst aus freien Stücken will.
-
"Bei dem Schönen stimmen Vernunft und Sinnlichkeit zusammen, und nur
um dieser Zusammenstellung willen hat es Reiz für uns [...] Beim
Erhabenen hingegen stimmen Vernunft und Sinnlichkeit nicht zusammen, und
eben in diesem Widerspruch liegt der Zauber, womit es unser Gemüt
ergreift" . (7)
Deutung und Kritik an Sauermeister:
-
"Die schöne Seele muss sich also im Affekt in eine erhabene
verwandeln, und das ist der natürliche Probierstein, wodurch man sie von
dem guten Herzen oder Temperamentstugend unterscheiden kann” (8).
Erst wenn die schöne Seele über den Willen herrscht, geht die schöne
Seele “[...] ins Heroische über und erhebt sich zur reinen Intelligenz”
(9).
Deutung und Kritik an Sauermeister:
-
Sautermeisters zentraler Begriff der schönen Seele lässt den
eigentümlichen Schluss nicht zu, Schiller visiere eine Synthese von
Trieb und Vernunft an.
-
Der Gegensatz von Trieb und Vernunft wird zwar überwunden, aber
keineswegs zugunsten einer Synthese. Vielmehr beherrscht die Vernunft
letzten Endes den Trieb.
-
Die auf der Bühne zur Darstellung von Marias Vollkommenheit
ausgestellten Symbole können seine Synthesis-Konzeption nicht wirklich
beweisen. So bleibt die Frage offen, wo beispielsweise der
Selbsterhaltungstrieb der Maria bleibt , wenn “[...] die Versöhnung
von übersinnlichem Gesetz und natürlichem Affekt in Marias
Sterbestunde [...]” erfolgt (10)
-
Schiller war die Macht dieses Triebes durchaus bewusst: “Denn der
Erhaltungstrieb ringt ohne Unterlass nach der gesetzgebenden Gewalt im
Gebiete des Willens, und sein Bestreben ist, ebenso ungebunden über
den Menschen wie über das Tier zu schalten” (11)
-
“Das Erhabene verschafft uns also einen Ausgang aus der sinnlichen
Welt, worin uns das Schöne gern immer gefangen halten möchte. Nicht
allmählich (denn es gibt von der Abhängigkeit keinen Übergang zur
Freiheit), sondern plötzlich und durch eine Erschütterung reißt es den
selbständigen Geist aus dem Netze los, womit die verfeinerte
Sinnlichkeit ihn umstrickte, und das umso fester bindet, je
durchsichtiger es gesponnen ist” (12).
Deutung und Kritik an Sauermeister:
-
Folgt man der Auffassung, dass Maria angesichts ihres nahenden
Todes selbstlose Versöhnungsbotschaften sendet, und die Personen in
ihrer Umgebung an ihr kein “Merkmal bleicher Furcht, kein Wort der
Klage” (Schiller o. J.: 1.Aufz., 1. Auftr., Z. 3410) erkennen, liegt
dies an der Erhabenheit, zu der sie gelangt ist. Denn durch das
Erhabene findet Maria Stuart Ausgang aus einer von sinnlichen Kräften
gesteuerten Welt gefunden hat. Diese Wandlung zur Erhabenheit könnte
möglicherweise eingetreten sein, als sie von ihrem Todesurteil
erfährt, auch wenn gerade dieses Ereignis merkwürdigerweise von
Schiller nicht auf die Bühne gebracht worden ist.
(1) Schiller, Friedrich (1994). “Über Anmut und Würde”. In: Klaus L.
Berghahn (Hg.): Kallias oder die Schönheit. Stuttgart, S. 111
(2) ebd.
(3) ebd.
(4) ebd.
(5) Schiller, Friedrich (1995 b). “Über das Erhabene”. In: Klaus L.
Berghahn (hg.): Vom Pathetischen zum Erhabenen. Schriften zur
Dramentheorie. Stuttgart, S. 88
(6) Schiller, Friedrich (1994), S. 133
(7) Schiller, Friedrich (1995 b), S.88f.
(8) Schiller, Friedrich (1994), S. 119
(9) ebd.
(10) Sautermeister, Gert (1992). “Maria Stuart – Ästhetik, Seelenkunde,
historisch-gesellschaftlicher Ort”. In: Walter Hinderer (Hg.): Schillers
Dramen. Stuttgart, S. 280-335, h: S.323.
(11) Schiller, Friedrich (1994), S.120
(12) Schiller, Friedrich (1995 b), S.90f.
docx-Download -
pdf-Download
▪
Figurengestaltung in dramatischen Texten ▪
Kontrast-
und Korrespondenzbeziehungen der Figuren ▪
Figurencharakterisierung
▪
Techniken
der Figurencharakterisierung in dramatischen Texten
▪
Auktoriale Techniken
▪
Figurale
Techniken
▪
Literarische Charakteristik
Literarische
Charakteristik dramatischer Figuren
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
16.12.2023
|