»Michael Gruner
(1945-2021) hat •
Maria Stuart 1997 am »Staatstheater
Darmstadt inszeniert:
"Die Inszenierung des Österreichers Michael Gruner hält sich jedoch an die
Schillersche Vorgabe und betont die angebliche Jugendlichkeit der beiden
Frauen. Nicht nur hat er junge Schauspielerinnen gewählt - Veronika Nickl
als Elisabeth und Franziska Sörensen als Maria - sondern die erotische
Komponente erhält auch verbal und teilweise handfest einen hohen
Stellenwert. Immer wieder bricht Elisabeth in bittere Bemerkungen über die
Anziehungskraft ihrer Rivalin aus, und sowohl Leicester als auch Mortimer
beugen sich den Reizen der beiden Frauen als seien diese Twens.
Glücklicherweise hat der Regisseur den Mut gehabt, das Stück konsequent um
etwa ein Drittel zu kürzen. Dadurch gewinnt es an Tempo und Dichte, die es
zeitweise etwas in die Nähe eines Thrillers rückt, vermeidet jedoch
jegliche Längen, die bei längeren klassischen Texten leicht auftreten
können. Überhaupt wirkt die Sprache nie klassisch im Sinne von
"hölzern-ehrfürchtig". Durch die weitgehend umgangssprachliche Diktion der
Dialoge gewinnen die Figuren menschliche Züge, die auch heute
nachzuvollziehen sind. Selbst die wenigen Monologe von Elisabeth und Maria
wirken dadurch menschlich hautnah und glaubwürdig.
Elisabeth charakterisiert der Regisseur als eine Frau, die zwischen
ihren Beratern und ihren eigenen Vorstellungen und Wünschen hin- und
herschwankt. Sie merkt, dass ihre Berater ihre eigenen Ziele verfolgen,
teilweise durchs vermeintliche Staatswohl kaschiert. [...] Sie ist die
eigentlich tragische Person, die im Grunde keine freie Entscheidung
treffen kann und am Ende allein und verlassen dasteht. [...]
Ihre Gegenspielerin Maria ist von Kopf bis Fuß Königin. Nie wird
sie ihre wahre Situation akzeptieren, und lieber stirbt sie, als im Staub
zu kriechen. Im großen Zwiegespräch mit Elisabeth brechen bei beiden
Frauen nach anfänglichem taktischem Geplänkel die Dämme, und sie werfen
sich zum Schluss alle Wahr- und Gemeinheiten an den Kopf, so Marias
Schicksal besiegelnd. Maria hat eine durchgängige Vita, sie kann
konsequent handeln, auch wenn sie daran zugrunde geht. Mit hocherhobenem
Haupt, nur kurzfristig schwankend, schreitet sie dem Schafott entgegen.
Über allen menschlichen Auseinandersetzungen durchzieht der kalte Hauch
der Machtpolitik das Stück. Nur darum geht es [...] immer steht das
schnöde Machtkalkül im Mittelpunkt der Überlegungen. Michael Gruner
arbeitet diese Strukturen deutlich heraus, wenn er Lord Burleigh
mit dem "Parade-Intriganten" Rolf Idler (Clavigo) besetzt oder Matthias
Scheuring einen schmierigen Leicester geben lässt.
Humor kommt durch den französischen Gesandten hinein, der den
französischen Charme bis zur Affektiertheit treibt und die "Grande Nation"
vor sich herträgt. Sein "Frankreisch" war allerdings der jüngeren
Vergangenheit entlehnt.
Als besonderen Gag hatte Michael Gruner das Stück in eine
Rahmenhandlung verpackt. Zu Beginn und wieder zur Schlussszene
erscheinen alle Figuren auf der Bühne, anfangs ein Menuett tanzend, am
Ende mehr "hingeflözt". Elisabeth liest zum Schluss wie bei einer Probe
ihren Text teilweise mit dem Zeigefinger aus dem Textbuch, und als der
französische Gesandte - in Abwandlung des Schillerschen Textes - den
berühmten Schlusssatz "Der Lord lässt sich entschuldigen. Er ist per
Schiff nach Frankreisch!" gesprochen hat, fällt die verlassene Elisabeth
in einen tranceartigen Schlusstanz, das maskierte Gesicht vom Bühnenboden
grell angestrahlt..
In den Hauptrollen überzeugten Veronika Nickl als zickig-zerrissene
Elisabeth und Franziska Sörensen als königliche Maria. Vor allem die Szene
der beiden Frauen geriet beiden zu einem "Showdown" ihrer Rollen und
schauspielerischen Fähigkeiten, ohne in "Schrei-Theater" abzurutschen.
[...]
Peter Schulz hatte das Bühnenbild karg aber effektvoll als Schafott
ausgestattet. Schwarze Vorhänge verhüllten große Teile der Bühne und
ließen nur eine "Guckkasten"-Bühne frei. Ein dreieckiges, rotes Tuch
diente als Tiefe schaffender Raumteiler oder auch als Unterlage und
versinnbildlichte die roten Elemente der Richtstätte. Einige Stühle, schon
in der letzten Saison "Renner" der Bühnenausstattung, rundeten das
Mobiliar ab.
Besondere Mühe hatte sich Gabriele Sterz mit den Kostümen gemacht.
Mit viel Aufwand hatte sie originalgetreue Kleidung des ausgehenden 16.
Jahrhunderts mit Pumphosen und weit ausladenden Kleidern entworfen.
Zusätzlich trugen alle Spieler aufgeschminkte weiße Masken, die
symbolisierten sollten, dass jeder nur eine Rolle spielt und sein wahres
Ich hinter einer Maske verbirgt. Nur Maria schminkt sich ab, nach der
letzten Beichte durch ihren Haushofmeister vor dem Gang zum Schafott. Da
nutzt auch keine Maske mehr, da ist der Mensch nackt.
(aus:
egotrip, Wo Schiller Shakespeare am nächsten ist,
http://www.egotrip.de/kultur/stuart.htm, 8.7.02, Auszüge)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
16.12.2023