"Die Königin des katholischen Schottland sieht sich im protestantischen
England "gefangen wider alle Völkerrechte", noch dazu von ihrer
Halbschwester Elisabeth, der aber Blutsbande nichts mehr bedeuten, wenn es
um die Herrschaft im Lande geht. [...]
Leichtsinn und Leidenschaft, Sinnenfreude und Katholizismus kämpfen in
diesem am 14. Juni 1800 uraufgeführten Trauerspiel Friedrich Schillers
gegen scheinbare Zucht und Ordnung, Sittenstrenge und Protestantismus.
[...] Doch wer glaubt, es ginge in der Tragödie allein um
Konfessionsstreitigkeiten, irrt. Im Verlauf der fünf Akte wird vielmehr
deutlich, dass Religions- bzw. Konfessionszugehörigkeit von den Handelnden
benutzt wird sowohl für internationale Macht- und Wirtschaftskämpfe als
auch für persönliche Intrigen und Familienfehden. Das ist sogar ein halbes
Jahrtausend nach dem Elisabethanischen Zeitalter aktuell: Frieden zwischen
Katholiken und Protestanten gibt es auf großbritannischem Territorium noch
immer nicht. Und wie nicht nur die jüngsten heftigen Ausschreitungen in
Nordirland zeigen, befinden wir uns wohl noch immer im Mittelalter der zu
allerlei Zwecken instrumentalisierten Religions- und Konfessionskriege.
Dieser auch in unseren Tagen brisante Aspekt des Stückes blieb in der
Aufführung der "Anstifter" allerdings etwas ungenutzt und fiel teilweise
Textkürzungen zum Opfer. Statt des von Schiller vorgesehenen Rosenkranzes
und Kruzifixes in der reuigen Hand zeigte man Maria Stuart, gespielt von
Karin Polit, stets mit einer Flasche Alkohol, der am Ende gar als
Abendmahlssakrament herhalten musste – so konnte die tragische Fallhöhe
der Heldin schon mal ins Komische abgleiten. Vielleicht hätte diese
Flasche besser der Elisabeth (Susanne Kröhl) gestanden, die nach außen
strenge Königinnenwürde zu bewahren sucht, in Wirklichkeit aber von dem
zügellosen Lebensstil träumt, den ihre Halbschwester vor Festnahme und
Kerkerhaft gepflegt hatte. Umgarnt von intriganten Lords, fällt Elisabeth
willenlos das Todesurteil über die zu Unrecht Gefangene, wird schließlich
von ihren Beratern verlassen, das Volk rebelliert, Maria ist tot – die
Tragödie der Elisabeth kann beginnen. [...]
Besonders effektvoll von Regisseur Raphael Utz (auch in der Rolle des Lord
Burleigh) inszeniert: der Schlagabtausch zwischen den Herrscherinnen in
der zentralen Szene des Dramas. Kühles blaues Scheinwerferlicht deutet die
Irrealität der Begegnung an, zu der es historisch nie gekommen ist. Voten
ablesend, die ihnen zugesteckt werden, ist jede der beiden
Protagonistinnen für eine Weile nur Instrument der sie umgebenden Männer.
[...]
Uta Schwabe
(aus:
Website der Universität Heidelberg, Auszüge
http://www.uni-heidelberg.de/presse/unispiegel/us5_2001/gefangen.html
)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
16.12.2023