Die Aufführung von
•
Friedrich Schillers •
Maria
Stuart am »Wiener Burgtheater Jahr 2001 unter der Regie von
»Andrea Breth
(geb. 1951) hat das
nachfolgende Presseecho erhalten
Text 1:
In Wien wird mit Schiller kein Schmu gemacht. Der Autor wird ernst und
beim Wort genommen, die Geschichte texttreu, wenn auch nicht ungekürzt
erzählt, wird weder zerstückt noch aufgebrochen noch besserwisserisch
aktualisiert. Da zudem eine Phalanx prominenter Schauspieler auf der Bühne
steht, ist der Erfolg programmiert: Nach dreieinhalb Stunden feiert das
Publikum der Burg lautstark sein Ensemble.
(aus: Die Zeit, 31. 10. 2001)
Text 2:
Mit genauem Ohr für die Zwischentöne in Schillers Text bringt Breth zum
einen die verdrängte Innenwelt der Figuren, zum anderen den
verhängnisvollen Mechanismus der sich selbst festschreibenden Macht zur
Sprache. In ihrer neuen Arbeit als Hausregisseurin an Klaus Bachlers Haus
setzt die feinsinnige Regisseurin auf die Vielschichtigkeit ihrer
Darsteller. Vor allem Elisabeth Orth als "Elisabeth" deckt die
verletzlichen und leisen Schattierungen der zynischen Herrscherin auf.
(aus: Mitteldeutsche Zeitung, 29. 10. 2001)
Text 3:
Das ist fein erdacht und sorgsam geführt, mit Ehrfurcht vor dem Text und
im vollen Vertrauen auf Schiller. Mit ihrer vornehm konsequenten
Zurückhaltung beim Griff in die Metaphorik der Gegenwart ließ Andrea Breth
dem Wiener Publikum keine andere Chance, als die zu jubeln.
(aus: Dresdner Neueste Nachrichten, 29. 10. 2001)
Text 4:
Den Erfolg der Premiere vermag das freilich nicht zu mindern. Denn dieser
Triumph hat einen Namen: Elisabeth Orth ist Elisabeth, Königin von
England, in Wien des Dramas eigentliche Heldin. Mit Fug und Recht betritt
sie an der Spitze eines zauberischen allegorischen Festzugs die Szene. Was
für eine Schauspielerin!
(aus: Die Welt, 29. 10. 2001)
Text 5:
Es ist die Stunde der Corinna Kirchhoff, die vielschichtigen Facetten
Marias durch präzise Körperbewegungen und vor allem: durch die Sprache zu
vermitteln. Nach all den Stückzertrümmerungen der letzten Jahre
konzentrieren sich Breth und ihre Darsteller wieder auf die innere Kraft
des Texts, um dennoch unversehens Neues in ihm zu entdecken.
(aus: Der Tagesspiegel Berlin und Potsdamer Neueste Nachrichten, 31.
10. 2001)
(zit. n.:
Burgtheater im Internet, 8.7.02 ,
http://www.burgtheater.at/interaktiv/interaktiv.htm )
Text 6:
Ganz England ein Verließ? Ob das Schloss zu Fotheringhay, wo Maria in
Gefangenschaft lebt, ob der Palast zu Westminster, wo Elisabeth residiert,
ob der Park, wo sich die Königinnen treffen im dritten und mittleren Akt
von Schillers Trauerspiel «Maria Stuart» - die kahlen, kulissenhaften
Wandelemente, welche Annette Murschetz auf der Bühne des Burgtheaters
eingerichtet hat, signalisieren eine luftlos unfreie Welt. Etwas Stroh
oder Gras am Boden, ein paar Sessel, mehr braucht es nicht für die
wechselnden Schauplätze. Aber reicht das? Als Gefangene kommen einem die
Menschen hier nicht vor, die sich im Unterschied zu Schiller bei Andrea
Breth enttäuschender Weise mehr dar- denn bloßstellen. Wenn, dann sind sie
gefangen in Susanne Raschings prunkenden Bilderbuchkostümen. Samt und
Seide saugen alle Emotionen auf. Wattierte Wämse und Hosen und lange
ärmellose Mäntel mit Pelzbesatz für die gestielfelten Männer; geschnürte
Mieder und weite, rauschende Röcke für die Frauen [...] [...]
Wo der Irrsinn verstören müsste, regiert die Vernunft. Machtkämpfe,
Glaubenskrieg, Weiberrivalität, Männerintrigen? Wohl ist davon die Rede,
bei der katholischen Maria und Mortimer in übersteigertem, bei der
protestantischen Elisabeth und ihrem Stab in abgeklärtem Ton; allerdings
verrät er in keinem Fall innerliche Betroffenheit.
Schmerzhaft spürbar wird diese Äußerlichkeit beim [...] Treffen der
schottischen mit der englischen Königin im Park. Jede ist Herrin ihrer
Lage und bestandene Politikerin nicht mit dem Herz, sondern dem Kopf auf
dem rechten Fleck. Daran ändert die Tatsache überhaupt nichts, dass [...]
Maria die Fassung sofort verliert und [...] Elisabeth die Fassung stur
behält; denn beide scheinen ihr Temperament vorsätzlich als Waffe
einzusetzen: erstere eine aggressive Intelligenz, die keine Angst hat vor
Gefühlsbetontheit, zweitere eine undurchdringliche Abwehrhaltung. Corinna
Kirchhoff [Maria. d. Verf.] mag sich auf den Boden werfen, hemmungslos
weinen, Trost suchen in den Armen von Gertraud Jesserers spröder Amme
Kennedy: [...] Die anwesenden Herren promenieren vielmehr wie
teilnahmslose Gestalten auf festem Grund, weder Marias desperaten Triumph
wahrnehmend noch Elisabeths Demütigung (die der Gegnerin erst, dann die
eigne). Kein Wunder. Was zwischen den Frauen passieren sollte - ein
Innehalten, eine Erschütterung, ein Zusammenbruch, eine Krise -, passiert
nämlich nicht. Kein Hass, keine Liebe; nur Rhetorik und Deklamation. Statt
zu explodieren, implodiert die Szene. Dieses Trauerspiel drückt sich vor
seinem Höhepunkt.
Drückeberger gibt es darin zur Genüge. Doch nicht nur Talbot, aus dem
Martin Schwab einen um den Brei herum redenden Mäßigungsprediger macht,
selbst Leicester, bei Schiller ein Opportunist erster Güte, unterlässt es,
sein gefährlich taktierendes Doppelspiel auch nur anzudeuten: Michael
König, eine behäbige Dauerpräsenz, lässt sich von Elisabeth Orth die Hand
tätscheln und sogar ans Geschlecht greifen - übrigens ohne dass dadurch
irgend ein erotischer Verdacht aufkäme. Ähnlich ergeht es Mortimer [...]
er ist mehr aufgeregt als tollkühn, weniger besessen als ehrgeizig. [...]
Und auch hier muss ein berechnender Griff zwischen die Beine
dokumentieren, wie sich der Mann aufgrund einer automatischen, jeder
Sinnlichkeit entbehrenden Mechanik zum willfährigen Instrument machen
lässt. [..]
(Barbara Villiger Heilig in: Neue Zürcher Zeitung, 29. Oktober 2001)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
16.12.2023