Die Aufführung von •
Friedrich Schillers •
Maria
Stuart an den »Bonner Kammerspielen im Jahr 2001 unter der Regie
von »Andreas von Studnitz
(geb.1954) gab Anlass zu der folgenden Kritik von Ulrich
Bergmann:
"Königin Elisabeth steigt im Panzerkleid als Glamour-Star die
steile Treppe zur Show hinab. Die Show ist die Staatspolitik. Irgendwie
stimmt das ja auch. Die Minister benehmen sich in ihren grauen Anzügen wie
die feinen Zuhälter der so genannten freien Wirtschaft. Na gut. Sie nehmen
der Königin
das
Blech von der Seele und stellen es scheppernd ab. Da steht die blonde
Venus nun auf den Stufen ihrer moralischen Treppe abwärts. Leicester will
hoch. Er will Maria und Elisabeth, am liebsten die schöne Maria. Leicester
betrügt beide Königinnen gleichzeitig. Leicester ist ein richtiges
Arschloch. Da steht sein aufrichtiger Wille. Er reißt sich die Kleider vom
Leib, während er die Stufen hinauf stürzt, und wirft sein nacktes Fleisch
der englischen Königin zum Fraß vor.
Im schönen Schein der Bühne regnet es immer wieder mal in feinen Schwaden.
Wahrscheinlich ist nicht das englische Wetter gemeint, sondern
Spermienregen. In diesem Klima sieht die Welt sehr schön aus. Nach dem
Streit der Königinnen, in dem beide ihre Hormone freilegen, kann Mortimer
seine Geilheit nicht mehr zähmen. Er lässt die Hose fallen wie eine Maske,
das Arschloch fällt über Maria her, aber er steht die Nummer nicht durch.
[...] Maria ist auch nicht viel besser. Sie bleibt bis zum Schluss, was
sie am Anfang war: Ein schwaches Weib. Kein Erkenntnisprozess, keine echte
Läuterung in dieser Aufführung zugestanden. Sie darf die Treppe, auf der
Elisabeth in unsere Realität hinabstieg, nicht als moralische Siegerin
hinaufsteigen, zu stark oder ironisch sind die Striche.
Andreas von Studnitz zeigt uns in seiner leicht moralistischen
Veranstaltung: Der Mensch ist schlecht. Er will Macht und Geld. Er liebt
nur sich. Er hat keine Ideale. Er kennt nur Intrigen. Er ist geil. Er
denkt mit dem Schwanz. Seine Seele liegt irgendwo zwischen zwei Löchern.
Der Mensch ist ein Arschloch. Es gibt kein Ich, es gibt nur Es. Wir sind
alle nur Zuhälter, geile Freier, Nutten und Stricher. Ja, Andreas von
Studnitz kennt die Welt, wie sie wirklich ist! Er zeigt Schiller, was eine
Harke ist! Idealismus ist nur Lüge oder Selbstbetrug! [...]
Diese Inszenierung war so gesehen fürn Arsch. Für die Ärsche im Publikum.
Sie ging irgendwie am Arsch der Welt vorbei, am Arsch im Kopf, der solche
Inszenierungen schon in den 70er Jahren sah, als das Regietheater die
Klassiker zertrümmerte, Tabus in der moralischen Anstalt brach und den
verstaubten Bildungsbürger vom Sockel stieß. Da war Andreas von Studnitz
ein kleiner Junge. Jetzt holt er die nackten Ärsche wieder aus der
Mottenkiste. Das Bonner Publikum war ja nicht geschockt, sondern schlecht
amüsiert. [...]
Ulrich Bergmann"
(aus:
Der Philotast - Kritisches Online-Magazin zu Gesellschaft, Kunst und
Kultur, Auszüge)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
16.12.2023