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Die Ureinheit, ohne welche ein dramatische Kunstwerk nicht wohl
möglich ist, liegt aber verankert in der inneren Geschlossenheit und
Folgerichtigkeit der Handlung. Prüfen wir nunmehr diesen
wesentlichen Bestandteil dramatischer Baukunst bei den Räubern! Ein
häufig gehörter Tadel, der
gegen den Aufbau unserer Dichtung erhoben wird, erblickt einen
"dramaturgischen Mangel" [Kühnemann] des Stückes darin, dass zwei
Handlungen ohne merklichen Konnex zunächst jede unabhängig von der
andern nebeneinander herlaufen. Viele meinen, nur wenn
Karl sogleich beim Empfang des Absagebriefes die Absicht der
Vergeltung geäußert und sein ganzes Tun und künftiges Leben als einen
Rachezug gegen seinen verleumderischen Bruder aufgefasst hätte, wäre
eine einheitliche dramatische Handlung verbürgt gewesen. Das tut Karl
Moor nicht, an der ganzen Menschheit will er sich rächen! Dieser
Einwand übersieht, wie mir
scheint, zweierlei: 1. Die Brüder dürfen gar
nicht zusammenkommen. Würden,
wo es sich nicht um persönliche, sondern um die allgemeinsten, letzten
Dinge handelt,
Franz
und Karl Mann gegen Mann streiten - nur für Klinger wäre eine solche
Krawallszene Trumpf - so würde durch diese persönliche Zuspitzung des
Konfliktes die Handlung von ihrer ideellen Höhe in den Staub
hineingeschleift werden und damit eine außerordentliche Verengung des
tragisch-ethischen Aspekts stattfinden. Franz und Karl dürfen sich
nicht gegenseitig bestrafen und zugrunde richten, sondern müssen beide,
im Selbstkampf untergehend, ihre Schuld wirklich sühnen. So will es die
Tragödie. 2. Indem jeder der Brüder seinen eigenen Weg geht und einhält,
erfährt aber auch die große ethische Frage, an der sie beide scheitern,
eine doppelte Beleuchtung. In geschlossener, ununterbrochener
Linienführung, ganz straff, ohne episodischen Zierrat, vollzieht sich
die Entwicklung eines jeden, deren gemeinsame,
einigende Basis nicht kürzer
und treffender, als durch das Wort Karls: "Ich bin mein Himmel und meine
Hölle" - bezeichnet werden kann. Tatsächlich laufen also die
Entwicklungsreihen des Brüderpaares, namentlich anfangs,
nur scheinbar parallel
nebeneinander her. Ihr Zusammenhang muss in der Idee des Stücks gesucht
werden. Dann wird man finden, dass die beiden Handlungen auf ihr Ziel
hinrollen wie zwei aus einer Hand geschickt geworfene Kugeln. Ein
gemeinsamer ideeller Mittelpunkt wird von dem Bruderpaar konzentrisch
umkreist. Diese gleichsinnige Bewegung bedingt die Einheit der Handlung.
(aus:
Schnatz 1914, S.75f.)
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