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Schiller, Die Räuber: Komposition

Innere Geschlossenheit und Einheit der Handlung

Franz Schnatz (1914)

 
 
 

Die Ureinheit, ohne welche ein dramatische Kunstwerk nicht wohl möglich ist, liegt aber verankert in der inneren Geschlossenheit und Folgerichtigkeit der Handlung. Prüfen wir nunmehr diesen wesentlichen Bestandteil dramatischer Baukunst bei den Räubern! Ein häufig gehörter Tadel, der gegen den Aufbau unserer Dichtung erhoben wird, erblickt einen "dramaturgischen Mangel" [Kühnemann] des Stückes darin, dass zwei Handlungen ohne merklichen Konnex zunächst jede unabhängig von der andern nebeneinander herlaufen. Viele meinen, nur wenn Karl sogleich beim Empfang des Absagebriefes die Absicht der Vergeltung geäußert und sein ganzes Tun und künftiges Leben als einen Rachezug gegen seinen verleumderischen Bruder aufgefasst hätte, wäre eine einheitliche dramatische Handlung verbürgt gewesen. Das tut Karl Moor nicht, an der ganzen Menschheit will er sich rächen! Dieser Einwand übersieht, wie mir scheint, zweierlei: 1. Die Brüder dürfen gar nicht zusammenkommen. Würden, wo es sich nicht um persönliche, sondern um die allgemeinsten, letzten Dinge handelt, Franz und Karl Mann gegen Mann streiten - nur für Klinger wäre eine solche Krawallszene Trumpf - so würde durch diese persönliche Zuspitzung des Konfliktes die Handlung von ihrer ideellen Höhe in den Staub hineingeschleift werden und damit eine außerordentliche Verengung des tragisch-ethischen Aspekts stattfinden. Franz und Karl dürfen sich  nicht gegenseitig bestrafen und zugrunde richten, sondern müssen beide, im Selbstkampf untergehend, ihre Schuld wirklich sühnen. So will es die Tragödie. 2. Indem jeder der Brüder seinen eigenen Weg geht und einhält, erfährt aber auch die große ethische Frage, an der sie beide scheitern, eine doppelte Beleuchtung. In geschlossener, ununterbrochener Linienführung, ganz straff, ohne episodischen Zierrat, vollzieht sich die Entwicklung eines jeden, deren gemeinsame, einigende Basis nicht kürzer und treffender, als durch das Wort Karls: "Ich bin mein Himmel und meine Hölle" - bezeichnet werden kann. Tatsächlich laufen also die Entwicklungsreihen des Brüderpaares, namentlich anfangs, nur scheinbar parallel nebeneinander her. Ihr Zusammenhang muss in der Idee des Stücks gesucht werden. Dann wird man finden, dass die beiden Handlungen auf ihr Ziel hinrollen wie zwei aus einer Hand geschickt geworfene Kugeln. Ein gemeinsamer ideeller Mittelpunkt wird von dem Bruderpaar konzentrisch umkreist. Diese gleichsinnige Bewegung bedingt die Einheit der Handlung.

(aus: Schnatz 1914, S.75f.)
 

 
   
   Arbeitsanregungen:
  1. Arbeiten Sie heraus, mit welchen Argumenten sich Schnatz gegen den Einwand ausspricht, dass das Fehlen einer Begegnung von Franz und Karl ein dramaturgischer Mangel des Stücks sei.

  2. Was versteht er unter der Einheit der Handlung in den "Räubern"?
    (→Die Lehre von den drei Einheiten)

 →Operatorenkatalog des Landes Baden-Württemberg)

 
      
   
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