"Über
der Umarmung von Mann und Frau, vor und außer der Ehe, hingen in jener Zeit
Ängste und Gefahren wie Schwerter, und sie haben den Zauber der Heimlichkeit
geschärft und narkotisch beschwingt.
Da war das Gefühl der Sündhaftigkeit, der holde Wahn und blinde Rausch, die
Ur-Sünde des ersten Menschenpaares nachzuvollziehen.
Da war das Wissen um peinliche Verbote. Vor- und außerehelicher
Geschlechtsverkehr waren in allen Territorien Gegenstand genauer
strafrechtlicher Androhungen, die, was die Sache für Menschen keineswegs
besser machte, ungleichmäßig, oft willkürlich, gehandhabt wurden. Auf
wiederholten Ehebruch stand in vielen Ländern (darunter Preußen und
Kurbaiern) die Todesstrafe. Vollzogen wurde sie nur selten (zum Beispiel
Ende des 17. Jahrhunderts an einem hohenloheschen Amtmann), im 18.
Jahrhundert wahrscheinlich überhaupt nicht mehr; aber als schreckliche
Drohung schwebte sie über den uneingesegneten Paaren. Massenhaft und
bedenkenlos wurden schimpfliche Strafen wie Prangerstehen oder Karrenziehen
vollzogen, erbärmliche Schauspiele für Gassenjungen und Pöbel aller Stände.
Man muss sich klarmachen, dass das verschwiegene Beieinandersein zweier
Menschen, wenn die Sache herauskam, ein skandalöses Vergnügen niederster
Sorte für Hunderte wurde! Es sei noch erwähnt, dass mancherorts Dirnen, die
ihre speziellen Gesetze übertreten hatten, nackt in den Drillkäfig gesteckt
wurden, der von gröhlenden Buben um und um geschwenkt wurde, dass die
eingesperrten Frauen sich erbrachen; so in Lothringen.
Da war die Angst vor der Geißel der Geschlechtskrankheiten. An denen wurde
zwar fleißig herumgedoktert, aber der Erfolg blieb nur allzu fragwürdig. […]
Aber für das Barock tritt hoch etwas hinzu: ein merkwürdig geschärftes
Gefühl für die Vergänglichkeit aller Freuden, von der allmächtigen Gegenwart
des Todes. […]
Der Liebende, der sich über die Geliebte neigt, sieht hinter ihren glühenden
Wangen und feuchten Lippen den Totenschädel. […] Hier sei nur bemerkt, dass
ihre [der Menschen, d. Verf.] Lebenslust durch schwere Ängste und das
Bewusstsein des Todes geschärft worden ist.“
(Lahnstein
1974, S. 39f.)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
18.01.2022