Bei den meisten Unternehmen gibt es bereits Aufklärungsprogramme für ihre
Arbeitnehmer, etwa zu Gesundheitsfragen, zum Thema Sonderleistungen und
Verfahrensfragen oder zu anderen Problemen, die mit dem Arbeitsplatz
zusammenhängen. [...]
Der hier vorgeschlagene Ansatz stützt sich auf das Kleingruppen-Modell mit
zehn bis fünfzehn Teilnehmern, um Interaktion und Diskussion zu fördern und
um zu erreichen, dass so viele Fragen wie möglich aufgeworfen werden. [...]
Die Hauptsitzung der Aids-Aufklärung am Arbeitsplatz sollte etwa eine Stunde
dauern. Lassen Sie an jeder Sitzung zehn bis fünfzehn Mitarbeiter
teilnehmen. Kollegen aus demselben Bereich, derselben Abteilung oder Gruppe
fühlen sich untereinander wohler als mit Leuten, die sie nicht kennen. Die
Sicherheit, unter Seinesgleichen zu sein, kann die freimütige Äußerung von
persönlichen Sorgen hinsichtlich Aids erleichtern. [...]
Beginnen Sie ihre Einleitung mit einer Darstellung der offiziellen
Linie Ihres Betriebs zu Aids. Weisen Sie in diesem Zusammenhang darauf hin,
dass Aids nicht im Verlauf von normalen Tätigkeiten am Arbeitsplatz
übertragen werden kann. [...] Wenn Sie die Position Ihres Hauses
unmissverständlich darlegen, geben Sie Ihren Mitarbeitern einen starken
Rückhalt für deren Bemühungen, ihre Ängste zu bearbeiten und sich an der
Linie des Betriebes auszurichten.
Die Mitarbeiter sollten Aids-Aufklärung und Wachsamkeit als einen
andauernden Prozess begreifen. Weisen Sie darauf hin, dass Ihr Betrieb sich
verpflichtet fühlt, die Mitarbeiter kontinuierlich mit den aktuellsten
Informationen über Aids zu versorgen [...] .
Sagen Sie den Teilnehmern, worum es in dieser Sitzung geht, damit sie
wissen, was sie zu erwarten haben und was von ihnen erwartet wird. Sie
können z.B. zum Teil oder ganz die folgenden Ausführungen machen: Der
Videofilm "A Epidemic fear of Fear: AIDS in The Workplace" dauert 23
Minuten. Er wird von größeren Betrieben benutzt, um ihre Mitarbeiter über
Aids am Arbeitsplatz zu informieren. Er stellt klar, wie Aids übertragen
wird, und macht klar, dass es kein Risiko einer Aids Ansteckung am
Arbeitsplatz gibt. [...]
Lassen Sie die Teilnehmer wissen, dass im Anschluss an den Film eine
Diskussion über Aids stattfinden wird. Ermuntern Sie sie, sich daran zu
beteiligen und offen und freimütig ihre Gefühle, Sorgen und Meinungen zu
äußern. Weisen Sie darauf hin, dass Sie zwar kein Aids Experte sind, sich
aber bemühen werden, jede ihrer Fragen zu Aids zu beantworten, und soweit
Sie keine Antwort wissen, sich diese aus den entsprechenden
Informationsquellen beschaffen und weitergeben werden.
Die Einführung erfordert ungefähr fünf Minuten. Sie gibt den
Mitarbeitern eine Orientierung über die Aufklärungssitzung zu Aids am
Arbeitsplatz, rückt die Linie des Hauses zu Aids in den Vordergrund
[...] Nach Abschluss der Einführung zeigen Sie den Videofilm.
[...]
Verteilen Sie nach Beendigung der Videovorführung die Broschüre "Aids
am Arbeitsplatz ein Leitfaden für Mitarbeiter" und lassen Sie den
Teilnehmern Zeit, sie zu lesen. Die Broschüre ist dazu gedacht,
Grundinformationen zu vermitteln, häufig gestellte Fragen zu beantworten und
Informationsquellen für detailliertere Antworten anzugeben. [...]
Nachdem die Gruppe die Broschüre gelesen hat, eröffnen Sie die Diskussion.
Sie sollte etwa fünfundzwanzig Minuten dauern. Die Diskussion am Ende der
Videovorführung anzuregen, hat seinen Sinn darin, dass die Gefühle,
Meinungen und Fragen der Teilnehmer zu Aids durch den Videofilm und die
Broschüre stimuliert worden sind. Ziel der Diskussion selbst ist es, Fragen
zu beantworten, zusätzliche Informationen zu vermitteln und eine Möglichkeit
zu schaffen, dass Ängste, Einstellungen und Vorurteile sowohl geäußert als
auch zerstreut werden können. Die Eckdaten dieser Diskussion sind durch die
offizielle Position des Betriebs in Sachen Aids gesetzt, durch die im
Videofilm dargebotenen Tatsachen in Bezug auf die Krankheit, durch die
Broschüre und durch die Ausführungen. Insofern können die persönlichen
Gefühle und Meinungen verantwortungsbewusst und realitätsbezogen ausgedrückt
und behandelt werden.
Eine wirkungsvolle Methode, um die Gruppeninteraktion in Gang zu setzen, ist
es, einfach Fragen zu stellen. Offene Fragen ermöglichen umfassende
Stellungnahmen im Gegensatz zu Alternativfragen, die lediglich mit "Ja" oder
"Nein" zu beantworten sind. Die folgenden Fragen könnten die
Gruppendiskussion fördern:
-
Wie würden Sie reagieren, wenn ein Kollege unter Aids Verdacht stände
oder die Aids Diagnose erhielte?
-
Wie glauben Sie, nachdem Sie den Film gesehen haben, wird Aids
übertragen?
-
Wie hat sich Ihr Verständnis von Aids gewandelt?
-
Wie haben sich Ihre Einstellungen zu Aids verändert?
-
Meinen Sie, Sie haben jetzt ein besseres Verständnis von Aids?
-
Haben Sie noch Fragen zu Aids? Welche?
Sie haben in dieser Gruppendiskussion eine dreifache Rolle.
Erstens müssen Sie die Interaktionen der Teilnehmer erleichtern, so dass
sie das Treffen mit größerer Klarheit über ihre eigenen Stellung gegenüber
Aids sowie mit grundlegenden Kenntnissen über die Krankheit und über die
Einstellung der Firma dazu verlassen. Zweitens müssen Sie spezielle
Fragen beantworten. Drittens müssen Sie emotional aufgeladene irrige
Annahmen und Vorurteile allmählich zurückdrängen.
Ihre eigenen Einstellungen und Gefühle sind bei der Gruppenleitung besonders
wichtig. Wenn Sie durch die Aids Fakten verwirrt sind oder Sie bezweifeln,
wenn Sie die Linie Ihres Betriebes nicht verstehen oder nicht hinter ihr
stehen, wenn Sie andere Handlungskonzepte im Kopf haben, werden Sie Ihre
Aufgabe, eine wirkungsvolle Aids Aufklärung im Betrieb durchzuführen, nicht
erfolgreich erfüllen können. Ihre eigenen Probleme werden bloß die Sorgen
der Teilnehmer zusätzlich komplizieren. Abgesehen von mangelndem Vertrauen
in die Medizin haben die meisten von uns ihre eigenen Ängste, Vorurteile und
irrigen Annahmen über Homosexualität, Drogenkonsum, Promiskuität , Krankheit
und Tod. Sie müssen daher Ihre Probleme im Zusammenhang mit Aids lösen,
bevor Sie eine Aufklärungssitzung zum Thema Aids am Arbeitsplatz
durchführen. [...]
Es ist zu bezweifeln, dass die Sorgen jedes Teilnehmers in einer einzigen
Sitzung abgebaut werden. Die Bedeutung dieses Treffens liegt darin, dass es
den Unterstützungsprozess der Mitarbeiter bei ihren Aids-Problemen
einleitet. Es bildet die Grundlage für ein innerbetriebliches Klima von
ruhiger und verantwortungsbewusster Auseinandersetzung. Es bildet den Beginn
eines Abbaus der völlig normalen emotionalen Aufladung in Sachen Aids und
regt die Menschen an, sich an die Fakten zu halten und ihre Ängste zu
bearbeiten.
(aus:
Haeberle/Bedürftig (Hrsg.), AIDS Beratung 1987, S.252 255, gekürzt)
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
19.12.2023