Wenn man gewöhnlich
vom dualistischen Ständestaat spricht, dann geht man von einer auf
der Ständegesellschaft und ihrer ständischen Einteilung in
unterschiedliche Gruppen mit mehr oder weniger klar definierten
Privilegien und Rechten aus. Zu den Ständen, die von
unterschiedlichen Ständeversammlungen vertreten werden, zählen
gemeinhin der grundbesitzende Geburtsadel, der Klerus und das
Bürgertum in den Städten, das als sogenannter Dritter Stand die
große Mehrheit der Bevölkerung, darunter auch die Landbevölkerung
"repräsentierte", ohne allerdings deren Interessenvertreter zu sein.
In Württemberg
lagen die Verhältnisse etwas anders, der Dualismus von Herrschaft
und Land bzw. Landschaft führte hier aufgrund besonderer Bedingungen
zu einer besonderen Form des dualistischen Ständestaates. Die »württembergischen
Landstände sehen auf Grund der Tatsache, dass ein über größeren
Grundbesitz verfügender Adel praktisch nicht existiert anders aus.
Die
»Landschaft
wird
als Ganzes gesehen, von den vertragsschließenden
Körperschaften der Stände gebildet, neben dem Herzog die Gesamtheit der Städte und
Ämter und die Äbte bzw. die Prälaten der Klöster bzw. nach Einführung der
Reformation verweltlichten Klosterämter.
Das Herzogtum
Württemberg war, auch wenn das etwas seltsam klingt, ein "adelsfreies
Land". (Wehling
1991, S. 17)
Es gab seit Mitte
des 16. Jahrhunderts im Land eigentlich keinen landsässigen Adel mit
größerem Grundbesitz (vgl.
Wintterlin 1907, S.172), seitdem »Herzog
Ulrich (1487-1550) mit Hilfe der württembergischen
oligarchischen
Ehrbarkeit (Stände) auch der Bauernaufstand des
»Armen
Konrad
1514) niedergeschlagen
konnte und ▪ 1534 die
▪
Reformation nach lutherischem Vorbild
einführte.
Das Kammer- und das Kirchengut
waren die eigentlichen Grundeigentümer in
Württemberg.
-
Das unter herzoglicher Verwaltung stehende
»Kammergut
war an die Regierung des Herzogs gebunden und ging im Zuge der
sogenannten »Staatensukzession
an den jeweiligen Thronfolger über, war also rechtlich
gesehen das Eigentum der jeweiligen Fürstendynastie. Verkaufen
durfte der Fürst Landesteile aber seit dem
Tübinger Vertrag (1514)
schon ohne die
Zustimmung der Landschaft (Stände) nicht.
-
Das »Kirchengut
verblieb nach den seit der Einführung der Reformation in
Württemberg durchgeführten Säkularisationen in der Verwaltung
der protestantischen Landeskirche und wurde nach der
Kanzleiordnung von 1553 vom ▪
Kirchenrat
verwaltet und dessen Erträge zweckgebunden
meistens für das Bildungswesen verwendet (vgl.
Walter 1987,
S. 31).
Die »Reichsritterschaft, deren Güter auch inmitten des
landesherrlichen Territoriums liegen, bewahren sich ihre
»Reichsunmittelbarkeit
und geraten daher auch in keine »lehnsrechtliche
Beziehung zum württembergischen Herzog. Weil sie keine Untertanen des
Herzogs sind, erlangen sie auch die württembergische Landstandschaft nicht. Versuche des Herzogs, reichsritterschaftliche Gebilde von solchen
»Reichsrittern, die außerhalb des Landes leben, seiner herzoglichen Gewalt,
zumindest seiner Steuer- und Militärhoheit, einzuverleiben, gelingen nicht, da die
Reichsritter beim Kaiser Hilfe finden. (vgl.
ebd., S.188)
Wer im Herzogtum adelig ist, steht als
landfremder Adeliger im
Dienst des Herzogs oder ist ein von diesem
in den Adelsstand erhobener (nobilitierter) Beamter oder Offizier. Erst
später, nach den territorialen Zugewinnen im Zeitalter »Napoleon
Bonapartes (1769-1821) kommen
mächtige Adelsfamilien ins Land: Fürsten, Grafen und Ritter, die
ursprünglich über keinen Grundbesitz im Land verfügt haben.
Dass der
landsässige Adel weitgehend fehlte, erklärt auch, dass an dessen
Stelle eine Oligarchie einflussreicher Familien trat, die sogenannte
"Ehrbarkeit",
und zum eigentlichen Gegenspieler des Herzogs im Land wurde.
An die Stelle des
grundbesitzenden Adels in Württemberg trat die heterogene, aber
elitäre soziale Gruppe der protestantischen» "Ehrbarkeit",
einer besonderen Gesellschaftsschicht, die in einigen Regionen des
Reiches aufgrund solcher oder ähnlicher Bedingungen entstanden ist.
Diese Oligarchie von etwa 30 äußerst einflussreichen
Familiendynastien in Württemberg
war der wahre Gegenspieler der Herzöge im dualistischen Ständestaat
in Württemberg. Sie besetzte in den Ausschüssen die maßgeblichen
Positionen der Zentralverwaltung des Landes, hatte das letzte Wort
bei strittigen Finanzfragen und vielem mehr und stellte die drei ▪
Landschaftskonsulenten
die wohl auch als die einflussreichsten Wortführer der ▪
Ehrbarkeit im Lande angesehen werden dürfen. (vgl.
Walter
1987, S.29f.).
Zu Ehrbarkeit zählt, wer ein
einflussreiches Amt in der
Gemeinde, der Landschaft, der Staatsverwaltung, der Kirche oder auch der
Universität innehat. Ohne Ausbildung, Besitz und verwandtschaftliche
Beziehungen ist indessen kein Amt zu erlangen, so dass sich das eine stets
aus dem anderen ergibt. Allerdings gab es auch Möglichkeiten, über das
besondere dreistufige Bildungssystem in Württemberg
(»Lateinschule,
»Klosterschule, »Evangelisches
Stift Tübingen) mit dem »Landexamen
der Klosterschule und einem abgeschlossen Studium der
»evangelisch-lutherischen Theologie
am Tübinger Stift in der Tasche in die Schicht der Ehrbarkeit
aufzusteigen.
Die
▪ Vorstellungen der Ehrbarkeit, was den
württembergischen Staat ausmacht, stand dabei absolutistischen Vorstellungen
vom Territorialstaat klar entgegen. Die Ehrbarkeit und die württembergischen
hohen Beamten sehen im Staat eben "kein einheitliches, sondern immer noch
eher ein körperschaftliches Gebilde", in dem jede Körperschaft gewisse
unveräußerliche Rechte besitzt. (vgl.
Vann
1986, S.210)
Für die von der
Ehrbarkeit dominierte Landschaft und ihre Institutionen war das
Herzogtum eben keine (früh-)moderner Staat, sondern "vielmehr ein
»Land«, eine ältere, gewissermaßen gewachsene Gestalt des
Gemeinwesens", die "nicht auf einem politischen System, sondern auf
örtlicher, landsmannschaftlicher Zusammengehörigkeit, auf der
Gemeinsamkeit von Handel und Wandel, auf der Gleichheit von
Überlieferung und Herkommen" (Storz
1981, S.33) beruhte.
Zudem ist für sie das Gemeinwesen vor allem ein
Kostenunternehmen. Genau so verstehen es wohl auch die Verfasser des
▪
Tübinger Vertrags von 1514, denen es vor allem darum geht, fürstlicher Misswirtschaft
einen Riegel vorzuschieben.
Die Landschaft und ihre Vertreter verstehen sich und ihre Aufgabe
zuallererst als Interessenvertretung von Behörden, vertreten wenn man so
will, den "Kommunalismus als Staatsprinzip"
(Wehling
1991, S.17). Die Behörden werden dabei von einer
vergleichsweise geringen Anzahl von Familien, meist über mehrer Generationen
hinweg, personell besetzt.
Wer die Landstandschaft erlangt, gehört zu
einer politisch und sozial bevorrechtigen Gruppe. Die große Mehrheit des
Volkes wird daher auch nur mittelbar von ihr vertreten.
Natürlich repräsentiert
auch der württembergische Landtag, der vom Herzog einberufen werden konnte, nur einen Teil der
württembergischen Bevölkerung.
Die Mitspracherechte, die er in der Politik
erlangte, bleiben im Grunde auf die Ehrbarkeit und die städtische Oberschicht beschränkt. Nur etwa 60 der
ca. 1200 württembergischen Dörfer erlangen überhaupt die Landstandschaft und
können Vertreter entsenden. Es dauert
bis ans Ende des 18. Jahrhunderts, ehe sie über Gemeindeversammlungen und Amtsversammlungen einen gewissen Einfluss auf den Landtag erhalten.
Dessen ungeachtet kommen in den Landtagen nicht nur die Interessen der Städte
zum Ausdruck, denn dazu sind die Verbindungen von Stadt und Amt in der Regel
zu eng. (vgl.
Fenske 1981., S.18)
Wer im Landtag Sitz
und Stimme erhält, ist also nicht vom Volk gewählt, sondern ist
Vertreter eines bestimmten Standes bzw. der Ehrbarkeit im Lande,
repräsentiert eine bestimmte Verwaltungseinheit wie z. B. Städte und
Ämter, Verwaltungsbezirke, deren führende Funktionen von Mitgliedern
der Ehrbarkeit bekleidet werden. Der "gemeine Mann", gewöhnliche
Untertan, wird von dieser Versammlung jedenfalls nicht
repräsentiert.