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Als
Friedrich Schiller
(1759-1805)am 16. Januar 1773 auf Geheiß von
Herzog Carl Eugen in die
Militär-Pflanzschule eintritt, hat sie schon die stattliche Zahl von 400
Schülern (Eleven) erreicht. Zwei Monate später wird ihr vom Herzog der
Status einer Militärakademie verliehen, was zu einer Ausweitung des
Unterrichtsangebots auf universitäre Fächer führt, die den höheren
Jahrgängen angeboten werden.
In ihrem knapp 24 Jahre dauernden Bestehen
durchlaufen fast 1.500 Eleven die Karlsschule, wobei, in ihrer Stuttgarter
Zeit, noch 700 Studierende aus der Stadt selbst dazu kommen. (vgl.
Pfeiffer 1905, S.214)
Vom Beginn des Jahres 1774 an lässt Carl Eugen die
Eltern seiner Eleven einen Revers unterzeichnen,
worin diese sich verpflichten, ihren Sohn nach Abschluss seiner Ausbildung
in die herzoglichen Dienste zu übergeben. Die Verpflichtung, die die Eltern
eingehen, wird ihnen im Revers mit einer Anstellungsgarantie erleichtert,
die der Herzog den Eleven gewährt (vgl.
Alt Bd. I, 2004, S.83, 97)
Die Auswahl seiner Eleven nimmt der Herzog selbst vor, der über den
Leistungsstand der besten Schüler an den Lateinschulen seines Landes bestens
unterrichtet ist. An ihn müssen nämlich die Eltern ihre Gesuche um Teilnahme
an den jährlichen Landexamen richten. Ferner lässt er sich auch jährlich
Übersichten über ihre besten Absolventen vorlegen (vgl.
Buchwald 1959, S.124) Die
Entscheidung des Herzogs diesen oder jenen Jungen in seine Anstalt zu
beordern, ist, ein Akt der Willkür. Daran kann auch angesichts
anderslautender Interpretationen eigentlich nicht der geringste Zweifel
bleiben und, wie
Reed (1998, S.6) betont, verfehlt jeder noch so "wohlgemeinte Versuch,
aus sicherer Geschichtsferne die Willkür vermenschlichen zu wollen, [...]
das zentrale Prinzip der Aufklärung, auf das der Herzog sich gern beruft,
nämlich dass sich der Mensch aus sich selbst bestimmen soll."
Die Karlsschule ist "Kaserne, Kloster und Universität" zugleich, wie
Safranski (2004, S. 36) pointiert und schwarz, ja
tiefschwarz, ist die Pädagogik, um mit dem von
Katharina Rutschky (1977/2001)
geprägten Begriff "schwarze Pädagogik"
in einer Steigerung zu spielen, mit der in der "Sklavenplantage" des Herzogs
(Schubart) die Erziehung der Eleven bewerkstelligt wird. So aufgeschlossen
sich der Herzog gegenüber Ideen und Gedankengut einer
naturwissenschaftlich-praktisch ausgerichteten Aufklärung zeigt, so wenig
hält er auf der anderen Seite von den Erziehungsprinzipien des französischen
Aufklärers und Philosophen »»Jean-Jaques
Rousseau (1712-78), der in seinem "Emil oder über die Erziehung"
(1762) das allmähliche Wachsenlassen und Entfaltenlassen der Natur zum
Grundprinzip seiner dagegen äußerst liberal wirkenden Erziehungskonzeption
macht. (vgl.
Safranski (2004, S. 33)
Die
institutionalisierte "Gemütsspionage" (Alt) bei gleichzeitiger
Verunmöglichung kleinster privater Freiräume ist Dreh- und Angelpunkt des
pädagogischen Konzeptes, das die "Entindividualisierung" des einzelnen
zum Prinzip macht. Ihm sind die Prinzipien von Subordination, Disziplin
und auch der gegenseitigen Konkurrenz (vgl.
ebd.), die den Alltag der Eleven bestimmen, gleichgeordnet
beizugesellen.
In Uniformen gesteckt, werden die Eleven mit ihren "gestreifte(n)
Zwillichkitteln, dergleichen Hosen, wollene(n) Kappen, Papilloten ohne
Puder" (Erinnerungen von Schillers Mitschüler Scharffenstein, zit. n.
Alt Bd. I, 2004,
S.85) ebenso gleich wie gefügig gemacht. Und nicht nur die Uniform, sondern
auch die von allen zu tragenden langen Zöpfe sind es, die den Aufsehern
täglich vielfältige Möglichkeiten zur Schikane der Zöglinge liefern. Mal
sitzt eben die Perücke nicht richtig, mal schließt die Gürtelschalle nicht
mehr und ein ander Mal sind es Flecken auf der Parade- oder Alltagsuniform
aus stahlfarbenem Tuch, die den Aufsehern Lust und den Eleven Pein bereiten.
Der Tagesablauf der Eleven folgt
militärischen Mustern: "Aufstehen sommers 5 Uhr, winters 6 Uhr, Musterung,
Rapport, Frühstück, Unterricht von 7 bis 11, Montursäubern und Musterung
durch den Herzog, 12 Uhr Mittagessen, Spaziergang gruppenweise mit Aufsicht,
Unterricht von 14 bis 18 Uhr, Erholungsstunde 18 bis 19 Uhr, Musterung,
Rapport, Schlafzeit ab 21 Uhr."
(Safranski
2004, S. 32)
Wer
in der Karlsschule Aufsicht über die Eleven
führt, ist in ein streng
hierarchisches System eingegliedert, an dessen Spitze als "Intendant"
(Leiter) der Einrichtung Christoph von
Seeger (1740-1808) steht, ein Patriarch alter Schule zwar, aber von
den Schülern doch wegen seiner Umgänglichkeit, seinem in Konfliktfällen
gezeigten Verständnis und seiner Liberalität wegen durchaus geschätzt.
(vgl.
Alt Bd. I, 2004,
S.84) Aber natürlich kann auch er "nur ausgleichen, mildern und in Ordnung
halten, was der Herzog bestimmte." (Buchwald 1959,
S.122). Der Sohn eines evangelischen Geistlichen besucht in seiner Jugend die
Seminare Blaubeuren und Bebenhausen, zieht aber einer weiteren Ausbildung
als evangelischem Pfarrer eine Militärkarriere vor. Nach ersten
Kriegserfahrungen in einem Kürassier-Regiment darf er mit Erlaubnis des
Herzogs in Tübingen Mathematik studieren, um seine Erkenntnisse für das
Militärwesen einzubringen. 1761 wird er zum Leutnant befördert und bekommt
ein paar Jahre später (1765) die Aufsicht über Planierungsarbeiten und den
Gartenbau auf der Solitude. Sein Nachfolger in diesem Amt wird später der
Vater
Friedrich Schillers,
Johann Caspar Schiller, der 1775 zum
Intendanten der Hofgärtnerei auf der Solitude ernannt wird. Zum
Hauptmann befördert (1768) wird Seeger 1770, nicht zuletzt wegen seiner
Kenntnisse in der Gartenbaukunst, zum Intendanten des Militärwaisenhauses
auf der Solitude ernannt, an dessen Entwicklung er, Obrist geworden, weiter
als Intendant teilhat. Er bleibt auch noch 1782 im Amt, als die Karlsschule,
mittlerweile in Stuttgart, zur Hohen Karlsschule erhoben wird und vom
Kaiser den Rang einer Universität zugesprochen bekommt. (vgl.
Sting
2005, S.553.f)
Unter der Leitung Seegers sorgen in der
"Bildungskaserne" (Alt Bd. I, 2004,
S.81) mehrere Offiziere und
ihnen zugeordnete Unteroffiziere für Disziplin und Ordnung und sorgen u. a.
in einer vier Mann starken Wachformation am streng gesicherten Schlosstor
dafür, dass sich keiner der Eleven zeitweilig oder gar auf Dauer aus dem
Staube macht. Damit nicht genug. Auch einfaches Dienstpersonal und
Hilfslehrer werden zur Aufsicht über die Eleven eingesetzt. Wenn es zum
Essen in die Speisesäle geht, sorgen sie miteinander für den militärischen
Gleichschritt auf dem Weg dahin, wachen über das beim Essen verordnete
Schweigen der Eleven, beaufsichtigen sie bei den Reinigungsarbeiten im Haus
und drillen die Zöglinge bei der durch und durch militärisch geprägten
Körperertüchtigung.
Zu der Machtausübung von oben über die Eleven kommt aber noch ein
ausgefeiltes System gegenseitiger
sozialer Kontrolle, das der Herzog seinen Eleven abverlangt. Er
fordert einzelne Eleven auf, über sich selbst und ihre Mitschüler einen
Rapport zu verfassen. Damit will er in erster Linie die Überzeugungen und
den Rang des Eleven in der Elevengruppe in Erfahrung bringen, möchte sich
darüber informieren, wer als Wortführer anzusehen ist. Zugleich freilich
will er mit der darin geübten Kritik und Selbstkritik wohl auch ergründen,
ob seine Eleven über Menschenkenntnis verfügen. Ohne sich im geringsten
anfechten lassen zu müssen, verlangt er 1774 gar von den älteren Eleven
einen Aufsatz darüber zu verfassen, wer unter ihnen die geringste moralische
Würde besitze. Als aufgeklärter Monarch will er dabei allerdings kein
vordergründiges "Anschmieren" und "Verpetzen" einzelner sehen, sondern ein
auf Psychologie gegründetes Urteil abgegeben haben, das die
Argumentationsfähigkeit des Eleven unter Beweis stellen soll. Aber auch das
kann letztlich nicht den Eindruck mildern, dass solche Berichte mit dem Ziel
der Entsolidarisierung "ein System der
wechselseitigen Gemütsspionage, Überwachung, Denunziation, Kontrolle und
Bespitzelung" installieren, "in dem die Eleven nicht nur Opfer, sondern auch
Täter sein konnten." (Alt Bd. I, 2004,
S.95) Kein Wunder, dass "Misstrauen, Furcht, Verstellung und gegenseitiges
Konkurrenzdenken" (ebd.)
viele Beziehungen der Eleven untereinander kennzeichnen.
Immer ist aber auch der herzogliche Wille im Unterricht präsent. Denn wie
kaum ein anderes verfolgt Carl Eugen seine pädagogische Experimentieranstalt
mit einer außergewöhnlichen Hingabe, die für Schüler und Lehrer stets zwei
Seiten hat: "allerhöchste Gunst, Anfeuerung, unermüdliche Förderung, Schutz
gegen Missgunst von kirchlicher und ständischer Seite - aber auch ständige
Kontrolle, tägliches Hineinreden und Reglementieren, allerdings nur selten
Auswirkungen allerhöchster übler Laune." (Lahnstein
1981, S.43)
© Gert Egle, teachSam -
29.09.2013 |
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