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Das Deutsche Kaiserreich 1871 - 1918

Nationalstaatsbildung und Reichsnationalismus

Deutsche Geschichte

 
GESCHICHTE
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Heutzutage wird die Geschichte des • Deutschen Kaiserreichs häufig im Kontext der verschiedenen Wege in die westliche Moderne gesehen. Im Zentrum stehen die unterschiedlichen Wege zum »Nationalstaat in Europa. Dies war langer Prozess, der sich in unterschiedlichen Regionen auf der Grundlage unterschiedlicher Ausgangsbedingungen bis 1918 hingezogen hat und dabei sehr verschiedene Wege eingeschlagen hat.

Im Rahmen der europäischen Nationalstaatsbildung gehört die Entstehung des Nationalstaates in Deutschland neben Italien und Griechenland zu den Staaten, die man als junge Nationalstaaten bezeichnet, da sie sich erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts auf Grund ihrer besonderen Ausgangsbedingungen dahin entwickelten. Die Entwicklung in Mitteleuropa unterschied sich dabei von der im Westen und Norden sowie im Osten des Kontinents, die andere Wege zum Nationalstaat beschritten haben.

In den sog. alten Nationalstaaten Westeuropas (Frankreich, Spanien, Großbritannien, Portugal, Belgien, Niederlande, Schweden, Norwegen, Dänemark und Schweiz)  entwickelte sich der Nationalstaat schon lange vor 1800 in einem eindeutig umgrenzten Territorium. Diese "alten" Nationalstaaten ersetzten im Zuge ihrer Entwicklung die monarchische Souveränität durch das Prinzip der »Volkssouveränität. (Transformierender Nationalismus) Die entscheidende Triebkraft dieser Entwicklung war die Französische Revolution von 1789 und die Auswirkungen der Eroberungskriege Napoleons bzw. , aus anderer Perspektive, die Befreiungskriege gegen die napoleonische Vorherrschaft in Europa. Im nördlichen und westlichen Europa entstanden dabei vielfach konstitutionelle Monarchien, die sich auch auf ein starkes Bürgertum stützen konnten, um auf dem Weg zur politischen Modernisierung voranzuschreiten.

In Mitteleuropa, vor allem im Deutschen Reich, aber auch in Italien, vollzog sich die Nationalstaatsbildung erheblich komplizierter. Hier waren die maßgeblichen politischen Kräfte in unterschiedlichen Herrschaftsverbänden lange nur sehr zögerlich bereit, einen Nationalstaat zu erreichen. Der unifzierende Nationalismus in Mitteleuropa sollte im Zuge der Nationalstaatsentwicklung also Herrschaftsverbände zusammenbringen, die sich als unabhängige und souveräne Staaten verstanden und als solche agierten. Dementsprechend konnte sich auch die Nationalbewegung nicht wie in den westlichen und nördlichen Staaten Europas auf schon vorhandene (gesamt-)staatliche Strukturen und Traditionen stützen, sondern verstand sich in Ermangelung dessen meistens als Sprach- und Kulturgemeinschaft ("»Kulturnation"). Die deutsche und die italienische Nationalbewegung wollte daher, die in viele kleinere staatliche Einheiten organisierte "Nation" zu einem Nationalstaat vereinen. Zugleich zielte sie darauf, ein nach dem Muster der »Französischen Revolution gestaltetes politisches System zu verwirklichen, das eine freiheitliche Ordnung im Innern, u. U. auch die Demokratie verwirklichen sollte. Allerdings waren die nationale und politische Fragen nicht die einzigen Probleme, die in dieser Zeit gleichzeitig angegangen werden mussten. Die mit der »Industrialisierung ab der Mitte des 19. Jahrhunderts sich verschärfende "»Soziale Frage", deren Lösung die aufkommende Arbeiterbewegung dringlich forderte, führte letzten Endes auch dazu, dass der Fokus der auf Modernisierung zielenden gesellschaftlichen Kräfte eben nicht allein auf die Einheits- und Freiheitsfrage gelegt werden konnte. Insgesamt führte die sich überlagernden Probleme dazu, dass der politische Modernisierungsprozess in den unter solchen Umständen neu gegründeten Nationalstaaten in Mitteleuropa (Italien 1861/70) und im Deutschen Reich (1871) im Vergleich zu anderen Staaten um Jahrzehnte langsamer vollzog.

In Osteuropa dauerte der Weg zum Nationalstaat am längsten und musste die meisten Schwierigkeiten überwinden. Um dahin zu gelangen, mussten sich die neuen Nationalstaaten in längeren Kämpfen aus den Imperien in Osteuropa (»Österreich-Ungarn, »Russland und dem »Osmanischen Reich) befreien und diese Abspaltung (Sezession) behaupten (Sezessionistischer Nationalismus). Polen gelang dies lange nicht, seine Versuche wurden von Russland, Österreich-Ungarn und Preußen (»Polnischer Aufstand 1863) niedergeschlagen. Polen wird erst 1918 ein Nationalstaat. Rumänien, Serbien, Bulgarien und Montenegro schafften es hingegen sich gegen das schwächelnde Osmanische Reich 1878 durchzusetzen. Da die neuen Nationalstaaten aber wie die Imperien, von denen sie sich abspalteten, selbst multiethnische Gebilde (»"Vielvölkerstaaten") waren, ging auch hier die Modernisierung nur schleppend voran. In den neuen Nationalstaaten schlug man im Umgang mit der nationalen Heterogenität der Bevölkerung dabei einen anderen Weg ein als die Imperien, aus denen sie hervorgegangen waren. Während diese nämlich die multikulturellen Strukturen jahrhundertelang geduldet hatten, wollten die neuen Nationalstaaten diesen ein Ende setzen. Mit Vertreibungen, in Bürgerkriegen und mit ihrem ausgeprägten Antisemitismus taten sie alles dafür, um ihren Nationalstaat »"ethnisch zu säubern", also eine homogene nationale Bevölkerung zu erzwingen. Nicht zuletzt in diesen "ethnischen Konflikten" dürfte begründet liegen, dass autoritäre und diktatorische Regime, die sich diesen Zielen verpflichteten und sie umsetzten, so große Unterstützung gefunden haben. Modernisierungsprozesse, die auch darauf beruhen, dass Kompromisse geschlossen und immer wieder ein Ausgleich zwischen den Interessen verschiedener gesellschaftlicher und politischer Gruppen stattfindet, hatten im Rahmen solcher Konfliktlinien lange keine Chance.

Der Reichsnationalismus nach der Reichsgründung 1871

Nach der »Reichsgründung 1871 wurden die alten partikularstaatlichen Identifikationsmuster durch einen neuartigen, übergreifenden »Reichsnationalismus ergänzt. Dazu konnte zuallererst das Kaisertum dienen und die Narrative, die sich um die militärischen Erfolge in den Reichsgründungskriegen rankten sowie die Person des "Reichsgründers" »Otto von Bismarck (1815-1898). Die preußische Vorrangstellung im Reich führte zu einer "ausgesprochen protestantische(n) Prägung, die dem neuen Nationalstaat einen geradezu heiligen Charakter verleihen konnte." (Kruse 2012), die selbst Mythen aus dem frühen Mittelalter (z. B. Hermann den Cherusker) nutzte, um den Reichsnationalismus sakral zu überhöhen.

Von zentraler Bedeutung waren aber auch liberale Vorstellungen von nationaler Freiheit und Selbstbestimmung, die auf den nationalliberalen Einfluss bei Reichsgründung und Verfassungsgebung zurückgingen. In deren Mittelpunkt stand allerdings von Anfang an der Gedanke an "Freiheit von äußerer Fremdbestimmung" sowie "der sinnstiftende Bezug auf die deutsche Kulturnation, wie er in Denkmälern für Schiller und Goethe seinen klassischen Ausdruck fand. Deutschtum erschien als eine höherwertige sittliche Kultur, überlegen nicht nur slawischer *Unkultur', sondern auch der als oberflächlich abqualifizierten, westlichen Zivilisation. Die Idee der Reichsnation verband sich schließlich mit Vorstellungen von einem positiven historisch-politischen Sonderweg Preußen-Deutschlands, wie sie von vielen Historikern propagiert wurden. Dieser deutsche Sonderweg hatte zum einen, anders als in Osteuropa, eine hochmoderne Staats- und Gesellschaftsordnung hervorgebracht, die zum andern aber, anders als im Westen, nicht von revolutionärem Umsturz und demokratischer Selbstregierung geprägt war, sondern von der Führung der Nation durch den starken Staat der preußischen Militärmonarchie." (ebd.)

Die nationalistische Reichsbegeisterung hatte dabei aber auch stets eine verschwörungstheoretische Komponente, die äußere (z. B. den französischen "Erbfeind") und innere »Reichsfeinde (nationale Minderheiten wie Dänen, Franzosen, Litauer, Masuren, Polen, aber auch  alle politischen Gegner der offiziellen Reichspolitik) bestimmte, "gegen die sich die Nation zusammenschließen und verteidigen müsse."  Vor allem die Sozialdemokraten wurden mit den »Sozialistengesetzen (1878-1890) als "varterlandslose Gesellen" diffamiert und damit aus der deutschen Nation ausgegrenzt. Aber auch vor antisemitischen Diskriminierungen machte der Reichsnationalismus nicht halt und drang mehr und mehr in das politische Denken und Bewusstsein auch der gebildeten und gehobenen Schichten ein. Dabei waren es vor allem auch die Studenten und die studentischen Burschenschaften, unter denen sich der Antisemitismus schnell verbreitete. In der der Folgezeit verband er sich "zunehmend mit einer völkischen Konzeption des Nationalismus, die auf die biologische Reinheit des deutschen Herrenvolkes zielte." (ebd.)

In der wilhelminischen Phase des Kaiserreichs kamen es zu einer weiteren Radikalisierung des Reichsnationalismus. Da waren zunächst einmal die imperialistischen Ziele des Reiches, die dem Reich neben den anderen imperialistischen Großmächten den ihm vermeintlich zustehenden "Platz an der Sonne" mit einem entsprechenden Anteil an der kolonialen Aufteilung der Welt bringen sollte. Die zusehends aggressive "Weltpolitik", die daraus resultierte, wurde dabei "von neuen, bürgerlich geprägten Agitationsverbänden angetrieben, die die monarchische Regierung von rechts propagandistisch unter Druck zu setzen versuchten und dabei einen radikalen Nationalismus entwickelten." (ebd.)

Solche Verbände waren z. B. die 1887 gegründete »Deutsche Kolonialgesellschaft, der »Deutsche Ostmarkenverein(1894), der »Deutsche Flottenverein (1898), der »Reichsverband gegen die Sozialdemokratie (1904) und der »Deutsche Wehrverein (1912). Der »Alldeutsche Verband tat sich dabei bereits seit 1891 hervor, indem er "einen besonders radikalen, pangermanisch-völkischen Nationalismus" vertrat und außer einer expansionistischen Außenpolitik auch darauf hinarbeitete, eine Schaffung homogene, national, politisch und rassisch einheitliche »Volksgemeinschaft mit präfaschistischem Charakter zu schaffen. Die Welt sollte am "»deutschen Wesen genesen", wie der Lyriker »Emanuel Geibel (1815-1884) im Schlussvers seines Gedichts Deutschlands Beruf (1861) so ähnlich ausdrückte, und dementsprechend hielten mehr und mehr »sozialdarwinistisch begründete Vorstellungen von der kulturellen und rassischen Unterlegenheit der kolonialisierten Völker, der slawischen Völker Einzug in das politische Denken.

Der radikale nationalistische Ton und die rassistischen Ziele dieser Interessengruppen fanden allerdings nicht überall Anklang. Vor allem die Sozialdemokraten entwickelten ganz andere Vorstellungen von der Nation, die auf einen Patriotismus gründeten, für den die nationale Souveränität nach außen und die Volkssouveränität im Inneren sowie die internationale Verständigung die elementaren Grundpfeiler darstellten.

Gert Egle, zuletzt bearbeitet am: 05.10.2023

 
 

 
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