Das erst später (erst seit 1512) so genannte
▪
Heilige
Römische Reich Deutscher Nation entsteht nach
dem
»Aussterben der
ostfränkischen Karolinger, die über das »ostfränkische Reich nach den
Reichsteilungen unter den Nachfolgern »Karls des Großen (747-814, Röm. Kaiser
seit 800) geherrscht haben.
Unter den nachfolgenden sächsischen,
salischen und staufischen Herrschern wird die aus der Antike stammende
universale Reichsidee erneuert.
In der Bezeichnung des Deutschen Reiches als "Heiliges Römisches
Reich Deutscher Nation" wird daher der Anspruch der in Rom zum Kaiser
gekrönten deutschen Könige zum Ausdruck gebracht, die römische Reichsidee
und damit die Schirmherrschaft über die gesamte Christenheit zu
repräsentieren.
Darüber hinaus verweist das erst seit 1157 verwendete Beiwort »Heiliges«
(sacrum) in der Reichstitulatur darauf, dass die Kaiser der Entsakralisierung des
Kaisertums im »Investiturstreit zwischen Kaiser und Papst um die Einsetzung
der Bischöfe in ihre Ämter (2. Hälfte des 11.Jh.) entgegenwirken wollten.
Zur Bezeichnung verwendet man die Begriffe "Sacrum Imperium" oder "Imperium
Romanorum".
Was das Heilige
Römische Reich unter dem Blickwinkel der Verfassungsgeschichte
darstellt, ist nicht einfach zu sagen. Mit modernen
verfassungsrechtlichen Kategorien lässt es sich jedenfalls nicht
sinnvoll beschreiben: "Es war kein Staat im heutigen Sinne des
Wortes, aber auch kein Staatenbund. Es hatte keine systematische
schriftliche Verfassung; es kannte keine Rechtsgleichheit, auch
nicht als Ideal, nicht einmal ein Reichsbürgerrecht; es hatte kein
geschlossenes Territorium mit festen Grenzen; es besaß keine
souveräne höchste Gewalt, verfügte nicht über eine zentrale
Exekutive, eine Bürokratie, ein stehendes Heer usw. – mit anderen
Worten, ihm fehlte fast alles von dem, was moderne Staatlichkeit
kennzeichnet." (Stollberg-Rilinger
2018, Kindle-Version. Kap.I. Was war das «Heilige Römische Reich
Deutscher Nation»?)
Das Heilige
Römische Reich entstand in einem über viele Jahrhunderte sich
vollziehenden Prozess, in dessen Verlauf ein Gebilde gestaltet
wurde, das einen nur lose integrierten politischen Verbund sehr
unterschiedlicher Glieder bestand. Diese standen zu ihrem
gemeinsamen Oberhaupt, dem Kaiser, einem persönlichen
Treueverhältnis.
Der Begriff »Reich«
(Imperium) stand dabei für die übergeordnete Herrschergewallt des
Kaisers. Dabei bezeichnete der Begriff Imperium keinen
bestimmten geografischen Raum, also auch kein bestimmtes
Territorium, in dem diese Herrschergewalt gelten sollte. Stattdessen
verstand man darunter "eine universale, transpersonale Gewalt, die
sich losgelöst von einem bestimmten Land oder Volk denken ließ" (ebd.),
was immer wieder auch als universale Kaiseridee bzw. Reichsidee
bezeichnet worden ist.
Die Attribuierung
als "römisch" stellte das Reich in den Traditionszusammenhang mit
dem antiken römischen Kaisertum.
»Karl der Große (747-814,
röm. Kaiser
seit 800) war der erste mittelalterliche Herrscher im Westen, der nach
der römischen Kaiserwürde griff, sich im Jahr 800 vom Papst zu
Kaiser krönen ließ, um das fränkische Königtum mit einem universalen
Herrschaftsanspruch auszustatten und ihm zugleich eine
heilsgeschichtliche Legitimation zu geben. »Otto
I., der Große (912-973) knüpfte an diese Tradition an, als er
sich 961 an der Spitze seines Heeres nach Italien aufmachte und sich
am
2. Februar 962 in Rom von Papst »Johannes
XII. (937-964) als erster »römisch-deutscher
König zum Kaiser krönen ließ. Damit gelang es ihm, das
ostfränkische Königtum mit der römischen Kaiserwürde zu verbinden.
Nach Otto I. erlangten nahezu alle deutschen Könige den römischen
Kaisertitel und stützten damit die Erzählung von einer
translatio imperii, wonach die römische Kaiserwürde von den
Römern auf die Franken übergegangen sei. Auch wenn dies eine reine
Fiktion war, die mit der Krönung durch den Papst als Oberhaupt
der römischen Kirche nur rituell und symbolisch vollzogen wurde,
ließ sich nach Ansicht der mittelalterlichen deutschen Könige daraus
der Anspruch auf "Schirmherrschaft über die gesamte Christenheit und
Überordnung über alle anderen Königreiche" (ebd.),begründen,
zumal sie damit auch "zugleich in die heilsgeschichtliche Rolle des
römischen Weltreichs ein(traten), des Reiches also, in dem Christus
geboren worden war und das den Rahmen für die Ausbreitung des
Evangeliums über den ganzen Erdkreis geboten hatte." (ebd.)

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Im Unterschied zum
Römischen Kaisertum wurde das das Reich aber noch als "heilig"
(sarcrum) bezeichnet. Das Adjektiv wurde auch erst seit der Zeit
Kaiser
Friedrich I., genannt Barbarossa (1122-1190) und der »Kreuzzüge
gebräuchlich und sollte "die Gleichberechtigung der kaiserlichen und
der päpstlichen Gewalt, des weltlichen und des geistlichen Schwerts
zum Ausdruck zu bringen, die seit dem 11. Jahrhundert von der
Papstkirche bestritten wurde." (ebd.)
Seitdem der »habsburgische
König »Maximilian
I. (1459-1519) sich 1508 «Erwählter Kaiser» nannte, ohne dass er
vom Papst gekrönt worden war und es auch später nicht wurde,
schüttelten die deutschen Könige die Bindung des Kaisertitels an die
Verleihung durch den Papst ab und ▪
Karl V. (1500-1558) war denn auch der letzte, der sich 1530 vom
Papst in Bologna auch noch zum »römisch-deutschen
Kaiser krönen ließ. Zuvor war er aber schon 1519 zum König
gewählt und 1520 in Aachen im »Kaiserdom
zum »römisch-deutschen
König gekrönt worden. Für seine Vorstellung einer »Universalmonarchie,
wonach dem Kaiser Vorrang vor allen Königen zukam, war die
Kaiserwürde so bedeutsam, dass er – auch wenn er wie sein Großvater
»Maximilian
I. den Titel "Erwählter Kaiser des Heiligen Römischen Reiches"
angenommen hatte – sich 1530 von Papst »Clemens
VII. (1478-1534) in
»Bologna zum
Kaiser krönen ließ (im Übrigen der zweite und letzte »Habsburger,
der außer »Friedrich
III. (1415-1493) die Krönung durch den Papst anstrebte und
erwirkte).
Lange Zeit hat man
dem »Heiligen
Römischen Reich (HRR) Staatlichkeit grundsätzlich abgesprochen,
weil es es sich als Gesamtgebilde nicht zu einem modernen
Territorial- und Nationalstaat entwickelt hat. In der rückschauenden
Betrachtung wurde es deshalb oft "als ein nur noch
in unzähligen Einzelsouveränitäten zerfallenes
Monstrum hingestellt" (Burkhardt
2009, S.7) Doch bei genauerem Hinsehen entpuppt sich diese
"Schauerlegende [...] von der deutschen
«Kleinstaaterei», die willige Kartographen des 19. und
20. Jahrhunderts nachträglich als «buntscheckigen
Flickenteppich» illustrierten" (ebd.)
als ein "Negativbild vom unaufhaltsamen Niedergang des «Alten
Reiches» sollte als
Kontrastfolie den unaufhaltsamen Aufstieg Preußens historisch
legitimieren." (ebd.)
Das
▪ "Heilige Römische Reich Deutscher Nation" ist
in der frühen Neuzeit des 16. und 17.Jahrhunderts ein multinationales Gebilde,
das zwar in der Mitte Europas eine gewaltige Ländermasse umfasst. Aber im
Vergleich zu dem zur gleichen Zeit existierenden zentralisierten
Flächenstaat Frankreich, stellt es ein "hochpluralistisches Konglomerat"
(Wehler
1987, S.45) dar,
"eine schier unentwirrbare Gemengelage von großen absolutistischen
Territorialstaaten, von ständisch mitregierten Landesfürstentümern,
theokratischen Herrschaften mit geburtsaristokratischen Leitungsgremien,
halbautonomen Städten mit patrizischen Geschlechteroligarchien, Adelssitzen
mit privatwirtschaftlichem Charakter, obskuren Zwergobrigkeiten - eine wahre
»Milchstraße von Reichsritterschaften und Reichsstädten, Abteien und
Bistümern, Mark-, Land- und Rauhgrafschaften«". (ebd.)
In jedem Falle gibt
es
In Europa keinen "Normalweg" (Schorn-Schütte
2009,
S.98) zur Entstehung einer modernen Staatlichkeit, "an dem alle anderen Wege
zu messen wären." (ebd.)
Nicht immer führt er über die sukzessive Monopolisierung staatlicher Gewalt durch eine
absolute, vom Gottesgnadentum legitimierte monarchisch-fürstliche Spitze,
also salopp gesagt "ganz von oben", sondern auch über ▪
andere Wege mit weitaus mehr Akteuren.
Was gemeinhin als
strukturelle Schwäche
des Reiches ausgelegt und als Partikularismusproblem beschrieben
wird, ist als "Föderalismusfähigkeit" (Burkhardt
2009, S.8, Hervorh. d. Verf.) der tragende Pfeiler dieses
politischen Systems und stellt die besondere "politische
Kernkompetenz der deutschen Geschichte" dar. (ebd.,
Hervorh. d. Verf.)
Natürlich verliehen
ständische Hierarchien und Dynastien, Mächtige und Mindermächtige,
das ganze "hochpluralistisches Konglomerat" (Wehler
1987, S.45), dem Reich einen einigermaßen exotischen Anstrich und haben
eine wichtige Rolle in der Politik der Zeit gespielt, dennoch
aber darüber sollte man nicht die
tragenden Bauformen des politischen Systems mit Zukunft
übersehen.
Im
ganzen ursprünglich zu groß, im einzelnen zu klein, gelang es
dem Reich deutscher Nation früh, einen
einzigartigen dritten Weg politischer Organisation zu
finden: den Staatsaufbau
auf zwei Ebenen. Dabei darf die gesamtstaatliche Ebene nicht
allein dem Kaiser zugeschrieben und die Reichsstände ihm
gegenübergestellt werden. Vielmehr liegt das Erfolgsgeheimnis des
deutschen Föderalismus darin, das die Landesstaaten und Bünde die
gesamtstaatliche Ebene selbst mittrugen und institutionell
ausgestalteten. Dafür blieb freilich noch fast alles zu tun, aber
das Ausbauprogramm wurde am Ende des Mittelalters klar erkennbar." (Burkhardt
2009, S.8, Hervorh. d. Verf.)
Dass dieser Weg des
Staatsaufbaus auf der Ebene der föderalen Organisationsform des
Reiches bei Abstimmung, Absprache und gemeinsamer Regelung
bestimmter Politikbereiche (Landfriede, öffentlichem und privatem
Recht, Finanzen, äußere Sicherheit etc.) strukturell
konfliktträchtig war und nicht immer zu dauerhaften und brauchbaren
Lösungen auf Reichsebene führte, die die Modernisierung
voranbrachten, liegt in der Natur des föderalistischen Prinzips. Sie
lässt sich je nach zugrunde gelegter Leitperspektive als Stärke oder
Schwäche dieser politischen Organisationsform beschreiben.
Da, wo sich die
Vorzüge der föderalen Struktur entfaltet haben, hat sie jedenfalls
"ein vergleichsweise hohes Maß an Rechtssicherheit,
Friedensfähigkeit und Partizipation" (ebd.).
Der Grund, weshalb
sich diese föderativen Strukturen auf Reichsebene ausgebildet haben
und über Jahrhunderte hinweg Bestand hatten, geradezu zu einer
"deutschen Tradition" (ebd.)
werden konnten, lässt sich auf die besonderen "Startbedingungen des
Heiligen Römischen Reiches" (ebd.)zurückführen:
"Auf der einen Seite war hier das Erbe des Römischen Reiches mit dem
universal gedachten Kaisertum an die Deutschen gekommen und
legitimierte früh einen nach Italien und Europa ausgreifenden
Oberherrschaftsanspruch. Gerade der aber erwies sich als zu groß für
eine administrative Durchdringung von oben unter den vormodernen
Möglichkeiten." (ebd.)
Die fehlende
Möglichkeit das Reich von oben bis in seine untersten Gliederungen
"durchregieren" zu können, schuf, selbst wenn die Medienrevolution
mit der Erfindung des Buchdrucks und die Übernahme des römischen
Rechts hier neue Akzente setzten, einen "Freiraum" für die
regionalen Gewalten, die den Verwaltungsaufbau mit seiner
Durchdringung des gesamten Lebens in ihren Territorien in eigener
Regie, unterschiedlichen Formen und mit einer zeitlich versetzten
Dynamik in Angriff nahmen. Aber auch sie waren in ihrer Mehrheit
nicht in der Lage, ihre Landesherrschaft unter den
zeitgeschichtlichen Vorzeichen (Konfessionalisierung, Türkengefahr
etc.) auf sich allein gestellt zu sichern und waren darauf
angewiesen "Bündnisse und Einungen [zu] schließen und schließlich
die Reichsgewalt selbst gemeinsam mit[zu]organisieren." (ebd.)
Die
Erlangung von ▪
Schlüsselmonopolen staatlicher Macht, wie sie die ▪
frühneuzeitliche
Staatenbildung auszeichnet, und die Gestaltung der verschiedenen
Prozesse zur ▪
Sozialdisziplinierung als Mittel der Staatsentwicklung
erfolgten im Heiligen Römischen Reich auf beiden Ebenen, dem Reich
und den Reisständen. Und dieser Dualismus prägte auch ▪
viele landständisch verfasste Territorien.
Wenn man zu Zeiten
des Heiligen Römischen Reichs danach fragt, wer in Deutschland
während dieser Zeit eigentlich der Staat ist, kann sich an der
Antwort orientieren, die Johannes (Burkhardt
2009, S.13f.) gibt: "Der Kaiser hat den »Ewigen
Landfrieden verkündet; gebraucht, gefordert und ausgehandelt
aber wurde er von den »Reichsständen.
Die »Landfriedensbewegung,
regionale Friedenseinungen und reichsständische Bünde hatten
vorgearbeitet und wurden zur Durchsetzung, Unterstützung und als
föderative Krisenfeuerwehr auch weiter benötigt. Auszuhandeln war
diese grundlegende Rechtsetzung nicht nur mit dem Kaiser, sondern
auch untereinander zwischen den Reichsständen, die um des
allgemeinen Friedens willen ja selbst auf ihr »Fehderecht
verzichten mussten. Es ist eine weltgeschichtliche Besonderheit,
dass das Gewaltmonopol des Staates nicht einfach von einer oberen
Instanz auferlegt wurde, sondern von regionalen Gewalten gemeinsam
für den Gesamtstaat organisiert wurde."
Zieht man die
föderative Kompetenz der deutschen Geschichte als
Leitperspektive heran, erweisen
sich die Kategorien der älteren Geschichtswissenschaft nur noch
bedingt als hilfreich, die die frühneuzeitliche Staatenbildung auf
im Heiligen Römischen Reich als einzig und allein als "einen
langsamen Prozess der Ansammlung von Herrschaftsrechten in der Hand
von Landesfürsten" (ebd.,
S.97) beschrieben hat und damit den "Übergang vom »Personenverbandsstaat«
zum »institutionellen Flächenstaat«"
(Mayer 1939, zit. n.
ebd.)
markiert hat.
Auch wenn die
wichtigsten Impulse für die frühneuzeitliche Staatsbildung in
Deutschland vor allem von den nach dem »Augsburger
Religionsfrieden (1555) geschaffenen
konfessionalisierten Territorialstaaten ausging, wo im Allgemeinen deren
monarchisch-fürstliche Verwaltung nach und nach den Platz der
Reichsorganisation einnahm (vgl.
Oestreich
1974, S.13), ist und bleibt das Reich
kein Torso.
Seine wichtigsten
Verfassungsinstitutionen, der Reichstag, ein Reichsgericht und die
Reichskreise, haben 300 Jahre Bestand. Das Reich war nicht nur eine
Wahlmonarchie, sondern entwickelte, unter dem Blickwinkel seiner
Staatsform betrachtet, zumindest seit der »Reichsreform
ab 1495, auch "wenn das auch noch lange niemand so ausgedrückt
hätte (...) aus den hergebrachten und zeitbedingten Formen bereits
eine
konstitutionelle, ja parlamentarische Monarchie (...)
in der noch nicht demokratische, aber föderale Kräfte
verfassungsmäßige Grenzen zogen und mitregierten" (Burkhardt
2009, S.20, Hervorh. d. Verf.).
Das Heilige
Römische Reich war "ein Rechtsverband mit
gemeinsamen höchsten Rechtsprechungsinstanzen und gemeinsamer
Gesetzgebung; es war ein Friedensverband,
dessen Glieder sich gegenseitig beizustehen hatten und nicht
gegeneinander Krieg führen durften (es gleichwohl aber öfter taten);
es war ein Leistungsverband mit
gemeinsamen Steuern und Diensten zu gemeinsam finanzierten und
organisierten Aufgaben." (Stollberg-Rilinger
2018, Kindle-Version. Kap.. II. Ein Körper aus Geist und
Gliedern)
Es dauerte
allerdings seine Zeit, bis "aus der persona verbundenen Gemeinschaft des Adels als
Herrschaftsstand mit eigenem Recht" (ebd.),
eine neue Ordnung geschaffen wurde, in der es galt die "in langer Tradition
wurzelnde(n) Partikularinteressen von Klerus, Adel und Stadtbürgertum (...)
abzuschleifen zugunsten eines »gemeinen Besten«, das zunehmend von oben
verordnet wurde, durch den Staat und seine mit einer umfassenden
Polizeigesetzgebung steuernd und ordnend eingreifenden Bürokratie." (Schilling
1987, S.155)
Seit dem Ende des
▪
Dreißigjährigen Krieges vollzieht sich die
weitere (Verfassungs-)Entwicklung auf deutschem Boden fast ausschließlich
auf der Ebene der Territorialstaaten, deren Landesherren im »Westfälischen
Frieden 1648 die fast unumschränkte Landeshoheit bestätigt bekommen.
"Von oben", also dominiert von der monarchisch-fürstlichen Spitze, ging dies
vor allem in den Großterritorien Deutschlands wie z. B. Brandenburg-Preußen,
Österreich, Sachsen und Hannover vonstatten, während viele andere mittlere
und kleinere Territorien entweder lange "»Schwellenstaaten«" (Schilling
1994a, S.135) auf dem Weg zu moderner Staatlichkeit blieben oder, allein
auf sich gestellt und eben zu klein, dazu mit räumlich zum Teil weit
auseinander liegenden Herrschaftsgebieten essentielle Voraussetzungen für
eine solche Entwicklung überhaupt nicht besaßen und sogenannte
"»Minderstaaten«" (ebd.)
blieben.
Am Ende des ▪
Dreißigjährigen Krieges
(1618-1648) war der Kampf zwischen dem Kaiser und den Reichsständen zugunsten
der letzteren so weit entschieden, dass dem Kaiser nicht mehr viele
Möglichkeiten blieben, in die Innenpolitik der einzelnen Staaten und
Herrschaften einzugreifen. Die großen Mächte ließen sich da ohnehin nicht
dreinreden. Sie gingen daran, ihre eigenen Herrschaftsgebiete nach dem
Scheitern absolutistischer Bestrebungen auf Reichsebene durch Ausschaltung
der Landstände und des feudalen Adels zu absolutistischen Territorialstaaten
nach dem Vorbild des
französischen »Absolutismus
»Ludwigs XIV.
(»L' état c'est moi«) umzugestalten. Dennoch bewahrt sich das Reich
vielfach totgesagte Reich auch unter diesen Bedingungen "eine fortdauernde
Vitalität" (Vann
1986, S. 146), insbesondere gegenüber den mittleren und kleineren
Herrschaften im Reich.
Zu einer absoluten
Herrschaft nach französischem Vorbild brachten es nämlich letzten
Endes nur die Großterritorien im alten Reich. In
Brandenburg-Preußen, Österreich, Sachsen, Bayern und Hannover
entwickelte sich eine souveräne, absolutistische Form territorialer
Königs- bzw. Fürstengewalt, die auf der sukzessiven Monopolisierung
der politischen Gewalt nach innen und außen in einer über das
Gottesgnadentum legitimierten Staatsgewalt beruhte. Die Art und
Weise, wie in den Großterritorien die Landeshoheit ausgebaut wurde,
brauchte "in Rechtsqualität und realer Machtstellung den Vergleich
mit außereuropäischen Staaten nicht zu scheuen". (vgl.
Schilling 1994a, S.134)
Etliche mittlere, vor allem aber alle kleineren Staaten brachten es aber
meistens nur zu einer ▪ "halbmodernen Landeshoheit" und mussten sich weiterhin
gefallen lassen, dass ▪
Reichsgerichte und ▪
Reichskreise regulierend in ihre inneren Angelegenheiten eingriffen. (vgl.
Schilling 1994a, S.135)
Das galt sogar in dieser Zeit für ▪
Württemberg,
das zwar die Rolle einer regionalen Vormacht spielte, dem aber immer wieder,
zuletzt auch unter ▪
Herzog Carl Eugen (1728-93)
in seinen fortwährenden Auseinandersetzungen mit den Ständen vom Kaiser bzw.
den kaiserlichen Behörden, die ▪
Grenzen seiner Macht aufgezeigt wurden.
Dort wo sie zu
absoluter Herrschaft gelangten, regierten die Landesfürsten souverän, d. h. ihre Landeshoheit galt fortan voll und
unbeschränkt. Sie konnten fortan Bündnisse untereinander und mit fremden
Staaten schließen, außer gegen den Kaiser und das Reich, und waren somit
nach Staats- und Völkerrecht mit ihren Territorien Staaten geworden.
Dadurch
wurde auf der anderen Seite das Reich und die kaiserliche Gewalt, auch wenn
die alten Verfassungsformen und Organe (Kaiser, »Reichstag,
»Reichshofrat
und »Reichskammergericht
als oberste gerichtliche Instanzen und die Einteilung in »Reichskreise)
beibehalten wurden, weiter geschwächt, zumal sich die Fürsten, mit diesem
Ziel im Auge, sich auch nicht scheuten, sich gegen den Kaiser an das
aufstrebende Frankreich anzulehnen. Dies war z. B. beim ersten, allerdings kaum
bedeutsamen »"Ersten Reinbund"
»einiger Fürsten von 1658-1668 der Fall.
Im Ganzen jedenfalls waren auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reiches
nach dem »Westfälischen
Frieden 1648 etwa 300 souveräne Territorien
entstanden, von denen einige größer, die Mehrheit freilich klein bzw. sehr
klein waren.
Alle besaßen die so genannte »Reichsstandschaft
und waren, sieht man einmal von den Vorrechten der 8 »Kurfürstentümer
ab, einander gleichberechtigt, zumindest theoretisch. Dazu kamen noch etwa
1400 reichsunmittelbare Herrschaftsgebiete geringsten Umfangs, die
zwar dem Reich unterstanden, aber diese Reichsstandschaft mit Sitz und
Stimme auf dem »Reichstag
nicht besaßen, aber dennoch weitgehend unabhängig in Verwaltung,
Gerichtsbarkeit, Besteuerung und sogar bei der Festlegung der Religion ihrer
Untertanen agieren konnten. (vgl.
Eckhardt/ v. Rosen - v. Hoewel 1949/1971, S.58-61)
Angesichts dieser
territorialen Zersplitterung des Reichs und der
strukturbedingten Probleme des Föderalismus auf Reichsebene wundert es
nicht, dass dies schon zeitgenössische Gelehrte auf den Plan rief, die dem
Reich
einen "einem Monstrum ähnlichen Körper"
bescheinigten, "der sich im
Laufe der Zeit durch die fahrlässige Gefälligkeit der Kaiser, durch den
Ehrgeiz der Fürsten und durch die Machenschaften der Geistlichen aus einer
regulären Monarchie zu einer so disharmonischen Staatsform entwickelt hat,
dass es nicht mehr eine beschränkte Monarchie, wenngleich der äußere Schein
dafür spricht, aber noch nicht eine Föderation mehrerer Staaten ist,
vielmehr ein Mittelding zwischen beiden. Dieser Zustand ist die
dauernde
Quelle für die tödliche Krankheit und die inneren Umwälzungen des Reiches,
da auf der einen Seite der Kaiser nach der Wiederherstellung der
monarchischen Herrschaft, auf der anderen die Stände nach völliger Freiheit
streben" (»Samuel
Pufendorf (1632-1694) , De statu imperii Germanici, 1667, zit. n.
Meid 31989, S.85)
Und von hier aus
war es nur ein kurzer Weg bis zur oben genannten "Schauerlegende",
die die preußische Perspektive auf die Entwicklung des modernen
Staates auf deutschem Boden ideologisch flankierte.
Die Verfassungsgeschichte des Heiligen Römischen Reiches
lässt sich nach
Eckart u. a. (1949/1971)in drei Phasen einteilen:
Dabei können die
beiden letzten Phasen auch unter der ▪
frühen Neuzeit (1256-1806)zusammengefasst werden.
Gert Egle, zuletzt bearbeitet am:
26.09.2023